Rolls-Royce Ghost 6.6 V12 im Test | Luxus trifft auf Leistung

3:18 Min. 13.09.2012

Rolls Royce Ghost

Kein Rolls-Royce zuvor hat die kleine Kühlerfigur so durch den Wind gejagt wie der 570 PS starke Ghost in seinem ersten Test. Von wegen komfortable Chauffeurs-Kutsche: Dieser Rolls macht auch passionierte Piloten glücklich.

Euer Lordschaft, die Harfe plingt. Wenn dieser Ruf durch die heilige Interieur-Halle eines Rolls-Royce Ghost fliegt, wird es nicht nur Zeit, den Gurt anzulegen. Ihre Lordschaft – finde den Fehler – sitzt auch auf einem der Schwerleder-Frontsessel und damit dem vermeintlich falschen Platz. Denn nur dann erklingt elektronisch der Troubadix unter den Gurtwarnern. Hinten rechts, wo sonst der Chef im Rolls-Royce Ghost thront, gibts – wie im Fond üblich – keine akustische Anschnall-Warnung.

Fahren oder gefahren werden – nie war die Frage so drängend wie im Rolls-Royce Ghost, dem Kleinsten und Dynamischsten der britischen Luxus-Familie. Der erste 40/50 hp von 1906 bis 1925, besser bekannt als Silver Ghost, stammt aus einer Zeit, als Autos noch umgebaute Kutschen waren. Damals saßen die Herrschaften nicht zwingend hinten, weil es repräsentativer war, sondern weil sie oft nicht fähig waren, ein Auto zu steuern, vom herben Anlass-Prozess mit Frontkurbel ganz zu schweigen. Wenn das Ding zurückschlug, knackten schon mal Knochen.

Heute klickt es nur sacht, wenn der Fahrer des Rolls-Royce Ghost den Startknopf drückt und damit die Urgewalt eines 6,6 Liter großen V12 weckt. Gefühlt liegt ein ganzes Empire zwischen seinen 570 PS und der euphemistisch als „ausreichend“ bezeichneten Leistung früherer Tage. Rolls-Royce baute vormals einfach keine Hochleistungsmotoren und machte aus der PS-Not eine Image-Tugend.

Ganz anders heute: Sanft grummelnd trollt sich der mächtige Biturbo im Rolls-Royce Ghost in den Leerlauf. Obwohl er im Grunde seines direkteinspritzenden Herzens ein echter Bayer aus dem Motorenwerk in München ist, gönnt er sich zehn Prozent mehr Hubraum als sein Bruder aus dem 760i, macht 780 Nm.

Der 5,40-Meter-Baby-Rolls – ihm fehlen immerhin 44 Zentimeter zum Phantom – umschmeichelt die Hand am nicht mehr ganz so dürren Volant. Fein schmiegt sich das Leder glücklicher Alpenkühe in den Griff, und die Cremigkeit, mit der der Rolls-Royce Ghost auf Lenkbewegungen antwortet, begeistert. Dabei legt er aber jene eitle Ignoranz gegenüber schnellen Kurskorrekturen ab, die die Rolls-Flotte früher so ozeandampferig machte. Wir wollen nicht so weit gehen und dem Rolls-Royce Ghost Agilität unterstellen, aber es hebt schon die Laune, ihn umweit geschwungene Kurven zu hieven. Staatstragend schiebt den Rolls-Royce Ghost die rein hydraulische Lenkung in Position. Wer es zu heftig angeht, erntet schwere Seitenlage. Und weil wir schon dabei sind, den Rolls-Royce Ghost artfremd zu bewegen: Sein Slalom-Tempo liegt mit rund 59 km/h fünf km/h über dem des Phantom und damit auf dem respektablen Niveau eines Mercedes ML. Regelrecht keck drückt die Auto-Hoheit Rolls-Royce Ghost mit dem angetriebenen Heck, bevor sie die Frontreifen hemmungslos dem Untersteuern widmet.

Der Rolls-Royce Ghost atmet lange Wellen einfach in seine Luftfedern hinein und versteift sich nur bei fiesen Querfugen. Wobei es ein kleines Wunder ist, wie die Reifen ihre Runflat-Niederquerschnitts-Eigenart fast kaschieren. Drei Dinge muss ein Rolls eben unbedingt können: Komfort, Komfort und Komfort. Den zelebriert der Rolls-Royce Ghost vor allem mit seiner flüsterleisen Art: 68 Dezibel bei 160 km/h – das schaffen andere nicht bei 80. Wer die massiven Selbstmörder-Pforten im Fond schließt, schafft ein Refugium der Stille. Ein Ort der Entspannung und des herrlichen Schlafs, wenn die Fondbank elektrisch in angedeutete Liegeposition surrt und der V12 einen in den Schlummer summt.

Der Ghost ist eine mobile Kathedrale des Luxus – extrem teuer, aufreizend unvernünftig und begeisternd komfortabel. Wie kein Rolls-Royce zuvor weckt er mit 570 PS die Lust aufs Selbstfahren.

Mehr Details