Markierungen für Motorradfahrer: Einfach, effektiv und günstig

1:32 Min. 26.06.2023

Fahrbahnmarkierungen in Linkskurven

Motorradfahrer und Linkskurven. Beziehungsstatus: Kompliziert. Aus der Sicht des vierrädrigen Gegenverkehrs betrachtet, fahren einem in kurviger Landschaft regelmäßig Motorradfahrer auf der eigenen Spur entgegen. Meist in des Autos Rechtskurven, was für den Zweiradler Linkskurven sind. Aber: selten mit Absicht. Sondern, weil Linkskurven für einspurige Fahrzeuge eine Herausforderung sind. Und um diese Herausforderung etwas zu erleichtern, finden sich seit 2016 in Österreich und Luxemburg Balken oder Ellipsen auf der Straße. Seit dem Sommer 2023 sind zwei Kurven auf der Panoramastraße im Landkreis Düren gleichsam mit Kreisen markiert.

Die neuartigen Markierungen auf den Straßen sollen Motorradfahrern helfen, eine fahrdynamische Grundfahrübung ständig zu wiederholen. Und die lautet: Linkskurven werden rechts angefahren und Rechtskurven links. Klingt paradox, ist allerdings überlebenswichtig. Wer das nicht beherzt und zu flach zum Scheitelpunkt einlenkt – also eine Linkskurve zu weit links und zu nahe am Mittelstreifen anfährt – bleibt mit den Rädern zwar auf der eigenen Spur. Motorrad und Fahrerkörper fahren per Schräglage jedoch auf der Gegenspur. Die zusätzlichen Markierungen leiten den Fahrer dazu, länger rechts zu fahren, später einzulenken und in der Mitte der eigenen Fahrspur über den Scheitelpunkt zu fahren.

Positiver Nebeneffekt: Am Kurvenausgang kann man das Motorrad besser auf die nächste Kurve lenken, da es fast mittig der eigenen Spur die Kurve verlässt. Wer die Kurve schneidet, kommt meist am äußeren Fahrbahnrand raus, was eine eventuell folgende Gegenkurve unnötig verkompliziert. Für Rechtskurven gilt der Grundsatz gleichermaßen, obwohl die Konsequenzen selten lauten, man wäre in den Gegenverkehr geraten. Der Grund, weshalb das System funktioniert, ist die fast genetische Furcht von Motorradfahrern vor weißen Fahrbahnmarkierungen, die vermeintlich rutschig sind.

In den seltensten Fällen schneiden Motorradfahrer mit Absicht die Linkskurve. In den überwiegenden Fällen spielt die Furcht eine Rolle. Die Furcht davor eine Kurve rechts anzufahren, auf der vermeintlich schmutzigen Seite. Mit dem Straßenrand voller Sand und Dreck oder gar dem unbefestigten Waldrand und vermeintlicher Sturzgefahr. Das Ganze mit einem wegrutschenden Vorderrad, dem sogenannten Lowsider. Ein weiterer Grund ist der zu kurze Blick vor das Motorrad. Anstatt weit vor das Motorrad zu schauen und den Straßen-, genauer gesagt den Kurvenverlauf mit Weitblick einzuschätzen, schauen Motorradfahrer überwiegend kurz vor das Vorderrad, ebenso aus Furcht, ein Schlagloch oder Ähnliches zu übersehen. Demnach steuern sie ihr Motorrad nur kurzsichtig auf der Straße und nicht ganzheitlich mit der Straße. Und das ist ebenfalls eine fahrdynamische Grundübung: Beim Anbremsen an eine Kurve den Kopf heben, um eben nicht durch das Bremsnicken den Blick unwillkürlich zu senken.

Zuerst etabliert wurde das System im Jahr 2016 in Österreich: Sechs Kurven am Großglockner, 14 in der Steiermark und 19 in Tirol wurden zu Testzwecken mit Balken oder Ellipsen markiert. Die Ergebnisse sprachen für sich: Am Tulbingerkogel im Wienerwald verzeichneten die Unfallforscher um Martin Winkelbauer vom Kuratorium für Verkehrssicherheit (dem Äquivalent zum Deutschen Verkehrssicherheitsrat) direkt nach der Maßnahme keine schweren Unfälle mit Verletzten mehr. "Das alles gab’s für rund 1.000 Euro an Material- und Lohnkosten", freut sich Martin Winkelbauer. Er hatte seinerzeit die Untersuchung der Wirkung solcher "Kringel" erst initiiert und dann geleitet.

In einer weiteren Erhebung sank die Zahl der Crashes in sieben Kurven von 16 auf sieben im Vergleichszeitraum. Im Jahr 2022 wurden die 19 Kurven in Tirol eingehend untersucht. Hier ging mit den Markierungen ab Juni 2019 die Zahl der Stürze und Kollisionen um 80 Prozent zurück! Bei neueren Untersuchungen erwiesen sich Balken in ihrer Wirkung den Kreisen und Ellipsen ("Kringel") gegenüber als ebenso wirksam. Trotzdem favorisiert Martin Winkelbauer die Kringel: "Sie lassen sich eindeutig identifizieren. Zudem ist der Materialaufwand deutlich geringer – man kann mit der gleichen Menge Folie bis zu fünfmal so viele Kurven entschärfen."

In einem ersten Modellversuch ist dieses einfache und effiziente System in Deutschland angekommen. Den Vorreiter machte am 17. Mai 2023 der Kreis Düren in Nordrhein-Westfalen. Dort leiten ellipsen-förmige Markierungen auf der L218 Motorradfahrer zwischen Vossenack und Schmidt sicherer durch die Kurven. Diese "Panoramastraße" war ein Unfallschwerpunkt: 2021/2022 gab es dort 34 Unfälle, bei 28 davon waren Motorradfahrer beteiligt. Das Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen begleitet den Versuch wissenschaftlich, etwa per Video- und Wärmebildanalyse der gewählten Positionen und Kurvenlinien. Die Ergebnisse werden nach zwölf Monaten Erprobung als Grundlage für die Entscheidung dienen, ob und in welchem Umfang die (Farb-)Markierungen dauerhaft Eingang in straßenverkehrsrechtliche Vorschriften finden.

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