Als die Mercedes-Leute Ende 2019 das erste Mal von ihrem Wunderauto EQXX sprachen, zweifelten viele – am E-Auto generell und an den 1.000 Kilometern Reichweite, die die Schwaben in Aussicht stellten. Zumal sie die nicht einfach mit besonders großen Akkus erreichen wollten – das könne ja jeder, so Entwicklungsvorstand Markus Schäfer. Klang das noch eher wie eine Schutzbehauptung, weil man vielleicht eben nicht Akkus mit noch mehr Kapazität als die 108 kWh des EQS darstellen konnte, wirkte der Plan, die Reichweite aus der Effizienz und die aus bahnbrechender Aerodynamik zu holen, längst nicht so spektakulär, wie eine vierstellige Reichweite.
Einen rekordverdächtigen cw-Wert von 0,20 hat schließlich schon der EQS und schafft mit seinem Reisen-Akku dennoch \"nur\" 780 Kilometer WLTP-Reichweite. Aber: Die neuste Batterietechnik und die innovativsten Entwicklungsmethoden sollten den EQXX zu einem Meilenstein der Automobilgeschichte machen. Man wolle an die Historie von Technik-Ikonen wie dem C111 anknüpfen.
Große Fußstapfen. Denn auch wenn Mercedes stets bemüht ist, den EQXX auf den Spuren des legendären Mercedes C111 wandeln zu lassen, der eine echte Straßenzulassung erhalten hat: Der EQXX bleibt vorerst ein Prototyp und Einzelstück. Mit dem C111 hat er bis dahin vor allem gemeinsam, dass er nur zwei Sitze hat. Die Fondtüren des EQXX sind nur eine Attrappe und nicht mehr als eine Designfinte, ebenso wie die Notsitze hinten – fast das erste gebrochene Versprechen, denn eigentlich war von einem Reiseauto im Kompaktklasseformat für vier die Rede. Immerhin: Auf die Straße soll der EQXX auch.
Pünktlich zur CES, der Consumer Electronic Show in Las Vegas, ist es rund 18 Monate nach den Ankündigungen so weit: Der EQXX feiert seine Weltpremiere – und, so viel sei verraten, die Schwaben haben trotz fehlender Türen nicht zu viel versprochen. Optisch erinnert das Forschungsfahrzeug zwar an das 2016 vorgestellte Concept IAA (cw-Wert von 0,18), darüber hinaus blickt man mit dem Auto aber weit in die Zukunft.
Auch wenn der EQXX bis dato vor allem Fahrtwind aus dem Windkanal abbekommen hat, ist das Datenblatt beeindruckend: Der cw-Wert liegt bei 0,17, die Batterie kommt trotz bescheidener Abmessungen auf knapp 100 kWh Kapazität und der Verbrauch soll bei Reisetempo tatsächlich unter 10 kWh pro 100 Kilometer liegen. Alles wie versprochen. Zum Vergleich: in Benzin oder Diesel umgerechnet wäre der EQXX damit ein echtes Ein-Liter-Auto – trotz seiner rund 1750 Kilogramm. Damit ist er aber immerhin 200 Kilo leichter als ein VW ID.3. Der bringt mit seinem vergleichbaren Radstand von knapp 2,8 Metern, aber nur rund 80 Prozent der Batteriekapazität mit.
Damit die Sache mit den 1.000 Kilometern klappt, haben die Schwaben das gesamte Auto auf Effizienz getrimmt – man sagt ihnen ja eine große Affinität zu Sparsamkeit nach. Beim EQXX hieß Effizienzsteigerung vor allem der Aerodynamik arbeiten und runter mit dem Luftwiderstand. Mit einem cw-Wert von 0,17 liegt der EQXX stolze drei Hundertstel unter dem Rekordhalter für Serienfahrzeuge, dem Mercedes EQS mit seinen 0,20. Dazu muss man wissen: Jedes Hundertstel erhöht die Reichweite um rund 2,5 Prozent.
Der gute cw-Wert macht aber allein noch keinen niedrigen Luftwiderstand. Der berechnet sich nämlich aus dem Produkt des Koeffizienten von 0,17 und der Stirnfläche des EQXX. Die klein zu halten war also die nächste Aufgabe von Designern und Aerodynamikern. Das Auto durfte also weder hoch noch breit werden. Die Stirnfläche beim EQXX liegt unter 2,2 m², also unter dem Niveau des Mercedes CLA oder eines Smart Fortwo. Die Stirnfläche des EQS hingegen misst, unter anderem wegen der dicken Batterie im Fahrzeugboden, rund 2,5 m². Allein die Zell-Module des EQS sind rund 20 cm hoch. Das heißt der Luftwiderstand, also das Produkt aus cw-Wert und Stirnfläche, verringert sich im Vergleich von 0,502 auf maximal 0,374 – zumindest, wenn der bewegliche Heckdiffusor des EQXX ausgefahren ist. "Der holt die Windabrisskante am Heck weiter nach oben und macht damit das Paket aus Verwirbelungen kleiner", erklärt Alexander Wäschle von der Mercedes Aerodynamik und zeigt dabei eine Animation der veränderten Luftführung auf seinem Tablet. "Das sorgt für mehr Effizienz".