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Schadensregulierung
Vorsicht, Falle!

Zunehmend versuchen Versicherer, sich mit Tricks aus der Verantwortung zu stehlen. Sie streichen berechtigte Schadenersatzansprüche zusammen – auf Kosten der Geschädigten.

Kaufberatung, MKL, 03/2012 - Versicherung
Foto: MotorPresseStuttgart

Es war ein Unfall, wie er tausendfach passiert: Ende Oktober steuert Anja B. kurz nach acht Uhr einen Parkplatz vor der Bäckerei im Geisenhoferweg in Miltenberg an. Dann kracht es fürchterlich: Eine andere Autofahrerin setzt mit Schmackes aus einer Parklücke zurück und donnert in die hintere Fahrerseite des Wagens von Anja B.

Am sieben Jahre alten VW Touran des Unfallopfers entsteht ein Schaden, dessen Reparatur laut Sachverständigen-Gutachten rund 2.100 Euro kosten wird. Auf dieser Basis will die Touran-Fahrerin entschädigt werden. Das ist ihr gutes Recht, denn Unfallopfer dürfen frei entscheiden, ob sie das Auto reparieren lassen. Oder auch nicht und jene Summe einfordern, die ein Gutachter oder die Werkstatt in ihrem Kostenvoranschlag angesetzt hat – im Branchen-Jargon fiktive Abrechnung genannt.

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Anja B. staunt nicht schlecht, als ihr die Allianz-Versicherung die Abrechnung präsentiert: Die kalkulierten Lohnkosten sind um 353,60 Euro gekürzt, beim Posten Lackierung wurden 204,10 Euro abgezogen, und auch die Erstattung für Ersatzteile wurde zusammengestrichen. Erst nachdem die Miltenbergerin einen Verkehrsrechtsanwalt einschaltet, lenkt die Versicherung teilweise ein und überweist nochmal 300 Euro.

"Die Kosten für die Lackierung sind immer noch offen", sagt Rechtsanwalt Frank Häcker aus Aschaffenburg, der das Unfallopfer vertritt. Anja S. verzichtet jedoch darauf, den Betrag einzuklagen, denn sie hat keine Rechtsschutzversicherung, die die Kosten übernehmen würde.

Die fehlt auch Lars D., doch er will seinen Streit mit der HUK Versicherung notfalls vor Gericht ausfechten. Bei einem unverschuldeten Unfall war sein Alfa Romeo 159 schwer beschädigt worden, so dass ein Sachverständiger einen Totalschaden attestierte. Laut Gutachten beläuft sich der Schaden auf 12.000 Euro – Wiederbeschaffungswert 15.000 Euro, abzüglich eines Restwertes von 3.000 Euro.

Mit dem lapidaren Hinweis auf einen angeblich niedrigeren Wiederbeschaffungswert, der von einem von der HUK Versicherung beauftragten Gutachter ermittelt worden war, kürzt das Unternehmen den Schadenersatz kurzerhand um 1.500 Euro.

Versicherer warten bis zum Rechtsstreit

Das will Lars D. nicht hinnehmen und wendet sich an Anwalt Häcker. Nach langem Hin und Her bietet die HUK schließlich großzügig an, Halbe-Halbe zu machen und will 750 Euro nachlegen. "Ich habe meinem Mandanten abgeraten, auf das Angebot einzugehen", sagt Häcker. Und Lars D. will es jetzt wissen und lässt Klage einreichen. Postwendend erklärt die HUK, dass sie es nicht auf einen Rechtsstreit ankommen lässt, und zahlt den noch offenen Betrag.

Eine solche Taktik ist immer wieder zu beobachten, wie der Aschaffenburger Anwalt weiß: "Man wartet ab, ob der Geschädigte tatsächlich seine Ansprüche einklagen will." Weil relativ viele Autofahrer nicht rechtsschutzversichert sind und deshalb den Gang vor den Kadi scheuen, lohnt sich ein solches Regulierungsverhalten offensichtlich für die Branche.

Bei rund 3,5 Millionen Haftpflichtschäden mit einem Volumen von zirka 9,3 Milliarden Euro, die pro Jahr zu regulieren sind, rechnet sich das Streichkonzert für die Assekuranzen. Branchenkenner gehen davon aus, dass diese so jährlich dreistellige Millionenbeträge verdienen – auf Kosten der Geschädigten.

Und sie sind enorm kreativ bei der Auslegung der Rechtslage – siehe Kürzung der Werkstatt-Stundenverrechnungssätze bei fiktiver Abrechnung. Dabei herrscht in der Rechtsprechung nach einem Urteil, das der Bundesgerichtshof bereits vor zehn Jahren fällte, die Meinung vor, dass der Geschädigte sich nicht auf freie Werkstätten verweisen lassen muss. Ähnliches gilt, wenn das Auto tatsächlich repariert werden soll und der Versicherer eine Werkstatt empfiehlt, die die Arbeiten gleichwertig, aber zu einem viel günstigeren Gesamtpreis erledigen könnte. Das ist immer heikel, wenn der Unfallwagen noch in der Garantiezeit ist. Diese ist nämlich an eine Reparatur in der Markenwerkstatt gebunden. Und wenn die Garantie gefährdet ist, kann die Reparatur nicht mehr gleichwertig sein. Für Laien erschließen sich solche Feinheiten nicht.

Versicherer kürzen oft illegal

Plumpe Versuche, das Unfallopfer über den Tisch zu ziehen, entlarvt meist nur ein Anwalt. Beispielsweise die Dreistigkeit, den Schadenersatz für ältere Fahrzeuge um die Mehrwertsteuer zu kürzen. "Bei älteren Autos ist kein Steuerabzug möglich, weil sie auf dem seriösen Markt praktisch nicht zu haben sind. Nur bei Totalschäden neuer oder neuwertiger Fahrzeuge wie Leasing-Rückläufern falle bei der Wiederbeschaffung Umsatzsteuer an und könne auch abgezogen werden. "Was auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu haben ist, wird pauschal mit 2,2 Prozent versteuert.

Ärger gibt es auch regelmäßig um Restwertangebote, wenn das Auto nach einem Unfall als wirtschaftlicher Totalschaden eingestuft wird, der Besitzer das Auto aber reparieren lassen will, um es weiter zu fahren. "In solchen Fällen darf die Versicherung nicht auf höhere Restwertangebote verweisen und entsprechende Abzüge machen", so Anwalt Häcker klar.

Ähnliches gilt für die Taktik der Sachbearbeiter, den Rotstift mit dem Argument "neu für alt" anzusetzen: Muss beispielsweise ein Kindersitz nach einem Unfall ausgetauscht werden, sind Helm oder Lederkombi zu ersetzen oder ist die Brille zu Bruch gegangen, sind Abzüge bei der Neuanschaffung nicht zulässig. Eine weitere Position wird von den Versicherungen gerne geschmälert oder völlig ignoriert: Menschen, die nach einem Unfall arbeitsunfähig sind, haben Anspruch auf Kostenerstattung für eine Haushaltshilfe – egal, ob Freunde und Verwandte einspringen oder Profis ans Werk gehen.

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