Volkswagen muss den Start mehrerer Elektro-Modelle nochmals um mehr als ein Jahr nach hinten verschieben – darunter sind der elektrische Golf 9 / ID.Golf oder der SUV-Nachfolger des ID.4. Beide Elektroautos sollten ursprünglich bereits 2026 auf der neuen Scalable Systems Platform (SSP) aufbauen. Die ersten Modelle aus VWs Super-Baukasten werden nun aber wohl frühestens 2029 erscheinen. Bis dahin wird der aktuell genutzte Modulare Elektro-Baukasten (MEB) ein Upgrade zum MEB+ erhalten.
Die Idee des einheitlichen Mega-Baukastens SSP stammt noch aus der Zeit von Herbert Diess. Er verkündete auch das ursprüngliche Ziel, bereits 2026 mit den ersten SSP-Modellen auf den Markt zu kommen. Im Jahr 2021 mussten die Wolfsburger die selbst gesetzte Deadline um zwei Jahre nach hinten auf 2028 verschieben. Nun sind es weitere 15 Monate und das Jahr 2029. Hauptgrund für die erneuten Verzögerungen sind Software-Probleme aus dem eigenen Hause Cariad.
Pariser Klima-Abkommen rückt näher
Gemäß dem Pariser Abkommen plant der Volkswagen-Konzern, seinen CO₂-Fußabdruck pro Auto über den gesamten Lebenszyklus bis 2030 im Vergleich zu 2018 um 30 Prozent zu reduzieren. Im selben Zeitraum wird erwartet, dass der Anteil der Verkäufe von Elektrofahrzeugen auf rund 50 Prozent steigt. Bis 2040 sollen nahezu 100 Prozent der Neuwagen (in den Hauptmärkten) emissionsfrei sein. Spätestens 2050 will VW vollständig klimaneutral sein. VW rechnet damit, dass sich Umsatz- und Profit zunächst von Autos mit Verbrennungsmotor (ICEs) hin zu batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) und später stärker in Richtung Software und Dienstleistungen verschieben.
Noch 2021 ging VW davon aus, dass der Verbrenner-Markt in den folgenden zehn Jahren um über 20 Prozent zurückgehen wird, während der Absatz von Elektrofahrzeugen schnell wachsen und Verbrennerfahrzeuge als führende Technologie überholen wird. Derzeit leiden allerdings alle Elektrowerke wegen mangelnder E-Auto-Nachfrage unter zu geringer Auslastung.
Nach wie vor sieht der Konzern die größte Entwicklungschance im Umsatz mit Software. Allerdings kommt die eigene Software-Tochter Cariad längst nicht auf einen grünen Zweig. Bis 2030 wollte Volkswagen ursrpünglich 1,2 Billionen Euro mit Software-Produkten umsetzen – zusätzlich zum erwarteten Geschäft mit BEVs und ICEs. Das wäre rund ein Drittel des gesamten Mobilitätsmarktes. Mittlerweile erkaufen sich VW, Audi oder Porsche externe Software-Lösungen. Sogar ein Joint Venture mit Rivian ist mittlerweile entstanden.
SSP: Der neue Super-Baukasten für alle
Technisch will Volkswagen mit dem SSP massiv auf Vereinheitlichung setzen: Zunächst soll aus der Vielzahl der Architekturen, die VW bislang als Baukästen bezeichnet hat, nur mehr eine werden, die bei allen Marken zum Einsatz kommt. Die Pkw-Marken fasst VW zu drei Gruppen zusammen: Volumen (VW, Seat, Skoda), Premium (Audi, Bentley, Lamborghini, Ducati) und Sport (Porsche, Rimac-Bugatti).
Die neue Architektur nennt der Konzern SSP (Scalable Systems Platform). VW selbst bezeichnet sie als Mechatronics-Plattform der nächsten Generation. Modelle aller Marken und Segmente können zukünftig auf der SSP gebaut werden – über die Laufzeit sind das mehr als 40 Millionen Konzernfahrzeuge. Zum Vergleich: Bislang baute VW Verbrenner auf Basis von drei Baukästen: MQB (Volumen-Segment), MLB (Audi ab A4) und MSB (für sportlichere Fahrzeuge), 80 Prozent der mehr als 10 Millionen Autos Jahresproduktion standen zuletzt auf dem MQB.
Die Verbrenner-Baukästen löst VW nach und nach ab – mit den Elektroauto-Architekturen MEB (Modularer Elektrobaukasten für Segmente ähnlich derer des MQB) und PPE (Premium Plattform Electric für Segmente ähnlich wie MLB und MSB). Die SSP wiederum wird perspektivische beide E-Architekturen ersetzen.
Differenzierung durch Plattformgrößen und Module
Die SSP ist laut VW auch der Schlüssel für das autonome Fahren. Angst vor dem Einheitsauto muss man laut dem Vielmarken-Konzern nicht haben. "Durch die Kombination verschiedener Module mit unterschiedlichen Plattformgrößen haben die Marken des Konzerns weiterhin eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich voneinander zu differenzieren", so VW.
Die SSP sollte ganz am Anfang sogar 2025 erstmals zum Einsatz kommen und unter dem ersten Serienauto aus dem Leuchtturmprojekt Artemis (Audi Landjet, 2025) stecken. Der weitere Zeitplan: 2026 sollte das Volumenmodell Trinity folgen, einem VW mit weitreichenden Autonom-Fähigkeiten im Segment um die 35.000 Euro. Dem Trinity sollte dann mit Apollon eine weitere Premium-Plattform folgen.
Eine Software für alle
Die Bezeichnung Mechatronics zollte der zunehmenden Bedeutung der Elektronik im Auto Tribut. Die Software für die Elektronik in allen Fahrzeugen des Konzerns sollte von der unternehmenseigenen Programmier-Schmiede Cariad (vormals software.org) stammen, die ein Betriebssystem (VW.OS) für alle Konzernfahrzeuge entwickeln sollte. Anfangs hieß die Software-Architektur E3 2.0 und sollte frühestens ab 2025 zur Verfügung stehen. Die Vorgänger-Version E3 1.2 debütierte 2023.
"Dieser einheitliche Software-Stack wird für den Volkswagen Konzern und seine Marken die eigene technische Grundlage für datenbasierte Geschäftsmodelle, neue Mobilitätsdienste und autonomes Fahren (Level 4) werden", so VW. Bis 2030 will der Konzern weltweit bis zu 40 Millionen seiner Fahrzeuge auf Basis der neuen Software-Stacks auf die Straße bringen und damit über den größten Bestand an Echtzeitdaten in der gesamten Branche verfügen.
Die Software-Architektur von Cariad umfasst ein skalierbares Betriebssystem (VW.OS) sowie eine Cloudanbindung (VW.AC). Bis 2025 wollte VW den Anteil selbst entwickelter Software im Fahrzeug von 10 Prozent auf 60 Prozent steigern. Strategische Unternehmensbeteiligungen sowie Partnerschaften sollen den Rest abdecken.
Autonomes Fahren und Services als künftiges Geschäft
Die neue Software soll nicht nur Over-the-air-Updates und das Zubuchen von Funktionen auch nach dem Kauf zum Alltag machen, sondern auch das autonome Fahren nach Level 4. Auch das soll sich dann zeitlich befristet hinzubuchen lassen – für beispielsweise 7 Euro die Stunde. Der damalige CEO von Cariad, Dirk Hilgenberg, glaubte, dass Software fürs autonome Fahren bis 2030 eine bedeutende Einnahmequelle für den Konzern werden wird. Die neue einheitliche 2.0 Plattform soll den Weg "für ein ganz neues digitales Ökosystem und damit auch für neue datenbasierte Geschäftsmodelle" ebnen. Dabei helfen soll die Auswertung eines umfangreichen Pools an Echtzeitdaten der voll vernetzten, autonomen Fahrzeuge.
Batterien weiter Schlüssel-Technologie
VW sieht eigene Batterietechnologie, Ladeinfrastruktur und Energiedienstleistungen als zentral für die Zukunft. Darum will der Konzern mit neuen Partnerschaften eine selbst kontrollierte Batterielieferkette inklusive aller Teilbereiche von den Rohstoffen bis zum Recycling aufbauen. Das Ziel ist ein geschlossener Kreislauf in der Wertschöpfungskette als nachhaltigster und kostengünstigster Weg zur Herstellung von Batterien. Helfen solle eine Einheitszelle, für die VW ein Kostensenkungspotenzial von bis zu 50 Prozent sieht, weil sie bis zu 80 Prozent aller Anwendungsfälle im Konzern bis 2030 abdeckt.
Sechs Giga-Fabriken in Europa mit einer Gesamtkapazität von 240 Gigawattstunden bis 2030 sollen die Batterieversorgung sichern. Den ersten Standort in Skellefteå, Schweden, wird Northvolt AB betreiben. Der VW-Konzern hatte weitere 500 Millionen Euro in diesen Zellpartner investiert, allerdings platzte der geplante Produktionsstart für 2023. Mittlerweile gibt es eine Taskforce in Wolfsburg, die sich mit dem Northvolt-Thema befasst.
Für den zweiten Standort in Salzgitter hat der Volkswagen-Konzern Mitte Juli 2021 einen Vertrag mit dem chinesischen Zellspezialisten Gotion High-Tech als Technologiepartner für einen Produktionsstart im Jahr 2025 unterzeichnet. Mit Gotion will VW das Volumensegment der Einheitszelle in dem deutschen Werk entwickeln und industrialisieren. Spanien will VW zu einem Elektrostandort machen – mit der gesamten Wertschöpfungskette von Elektroautos.
Spanien wird Elektro-Standort, eigene Ladeinfrastruktur wie Tesla
Der Konzern prüfte ebenso den Aufbau einer Giga-Fabrik gemeinsam mit einem strategischen Partner. In der letzten Ausbaustufe, zum Ende des Jahrzehnts, könnte das Werk über eine Jahreskapazität von 40 Gigawattstunden verfügen. Zudem war vorgesehen, die sogenannte "Small BEV Family" des Konzerns ab 2025 ebenfalls in Spanien zu produzieren. Darüber hinaus wollte VW ein komplettes Energie-Ökosystem rund ums Auto und die Ladeinfrastruktur aufbauen, das den Kunden komfortables Laden ermöglicht und VW neue Erlösquellen erschließen soll.
Aber auch öffentliche Ladeinfrastruktur in Asien, Europa und Amerika will VW weiter ausbauen, auf Basis bestehender Initiativen wie CAMS in China oder Electrify America in den USA. Insgesamt will der Konzern 18.000 HPC-Ladepunkte in Europa, 17.000 in China und 10.000 in den USA und Kanada aufbauen. Thomas Schmall, CEO Volkswagen Group Components, sagte: Eine von VW kontrollierte Batterie-Lieferkette erlaube die Hoheit über den größten Kostenblock und die besten und nachhaltigsten Batterien anzubieten. E-Autos sollen sogar zu mobilen Power Banks werden, die durch bidirektionales Laden vollständig in das Energienetz integriert werden können. Für VW verspreche das bis 2030 zusätzliche Erlöse im Energiemarkt.
Autonomes Fahren wirklich schon 2030?
Bis 2030 wollte der Volkswagen Konzern auch Systemfähigkeiten für autonome Shuttle-Flotten aufbauen, einige davon selbst besitzen und damit stärker als Mobilitätsdienstleister in vier Geschäftsbereichen auftreten. Das Ziel: Selbstfahrende Systeme anbieten, sie ins Fahrzeug integrieren, Flottenmanagement und eine Mobilitätsplattform anbieten. Mit Argo AI entwickle Cariad parallel Fähigkeiten zum autonomen Fahren nach Level 4. Damit wollte VW das größte neuronale Netzwerk von Fahrzeugen auf den Straßen weltweit schaffen.
Der Volkswagen Konzern wollte bereits im Jahr 2025 seinen ersten autonomen Mobilitätsdienst in Europa anbieten, kurz darauf in den USA. Die hieraus erwarteten Gewinne seien sehr vielversprechend: Bis 2030 soll der Gesamtmarkt für Mobilität als Dienstleistung allein in den fünf größten europäischen Märkten 70 Mrd. US-Dollar betragen. Christian Senger, CTO von Volkswagen Nutzfahrzeuge, sagte im Jahr 2021: "Bis zum Ende des Jahrzehnts wird das autonome Fahren die Welt der Mobilität vollständig verändern. Gemeinsam mit ARGO AI entwickeln wir ein in der Branche führendes selbstfahrendes System, mit dem wir völlig neue Mobilitätsdienstleistungen und autonome Transportdienste anbieten können. Der Volkswagen Konzern strebt an, einen starken Wettbewerbsvorteil im Bereich der Mobilitätslösungen zu erreichen".