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Chipmangel, Super-Rechner, Vernetzung
VW & Co. in Not - baut China die besseren E-Autos?

Fast alle deutschen Hersteller fahren mit ihren E-Autos in China hinterher. Offiziell fehlen Chips. Dass die Probleme ernster sind, zeigt ein Blick auf die chinesische Konkurrenz.

Deutsche Autobauer in China
Foto: auto motor und sport

Volkswagen verfehlt 2021 seine Verkaufsziele für die neuen Elektromodelle der ID-Familie in China. Statt einem geplanten Absatz von bis zu 100.000 Stück rechnet man in Wolfsburg nur noch mit maximal 80.000 verkauften Elektro-VW. 2022 sollen es dann 160.000 ausgelieferte ID-Modelle werden. Das sind, egal ob man jetzt 2021 oder 2022 betrachtet, rund 20% weniger, als man sich ursprünglich vorgenommen hatte. Laut einem VW-Statement liegt der lahmende Absatz vor allem am Halbleitermangel, der China bereits seit Monaten trifft. Das ist, nach allem was man über den chinesischen Markt in Erfahrung bringen kann, auch nicht falsch. In China wurden nach vorläufigen Daten des Herstellerverbands CAAM im November 2021 2,47 Millionen Pkw und Nutzfahrzeuge abgesetzt. Und damit fast 11 Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Dass vor allem der selbst unter Beschuss stehende VW-Chef Herbert Diess das Argument mit den fehlenden Halbleitern wahrscheinlich nicht so richtig gelten lässt, zeigt die Entscheidung, den bisherigen VW-Markenchef Brandstätter nach China zu schicken. Exklusive VW-Probleme? Von wegen. In Sachen Elektroauto haben alle deutschen Hersteller in China schwer zu kämpfen. Weil die chinesische Konkurrenz mit brutal kurzen Innovationszyklen, gefälligem Design, ambitionierter Technologie und immer besser werdender Verarbeitung nervt. Eine Zielgruppenbefragung der Unternehmensberatung Kearney aus dem Jahr 2021 zeigt das Ausmaß des Problems: 55 Prozent der befragten Chinesen ziehen es in Betracht, in den nächsten ein bis fünf Jahren ein Premium-Auto eines heimischen Herstellers zu kaufen. Premium-Autos. Genau dort verdienen vor allem die deutschen Autohersteller in China bislang gutes Geld.

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Tatsächlich ist es übrigens überhaupt nicht so schwer nachvollziehbar, dass die deutschen Autobauer in China tatsächlich ein größeres Problem haben könnten, also einfach "nur" fehlende Computerchips. Die Autos, egal ob VWs ID-Elektromodelle, BMWs i-Baureihe oder die EQ-Familie von Mercedes, verfügen im Vergleich zur vor allem chinesischen Konkurrenz über wenig bis keine Alleinstellungsmerkmal und lassen sich deshalb nur mit sehr viel Aufwand, bzw. Rabatten verkaufen. Wer sich im Netz umsieht findet reichlich Stimmen chinesischer Kunden, die sich nach einem Besuch beim VW-Händler zum Beispiel über das wenig revolutionärem Infotainmentsystem des VW ID.4 X lustig machen. Das liegt unter anderem an Autos wie dem GAC Aion V Plus. In Europa ist die Marke GAC weitgehend unbekannt. GAC steht für die Guangzhou Automobile Group, Aion ist eine der vollelektrischen Submarken des Konzerns. Und der V fährt im 4,70-Meter-Segment ziemlich genau zwischen dem VW ID.4 (der in China ID.4 X heißt) und dem VW ID.6, den es bislang nur in China gibt. Über dessen Design lässt sich immer streiten. Aber es eckt zumindest nirgends auffällig an.

GAC Aion V Plus
GAC Aion
Der Aion V Plus informiert um sauber strukturierten Cockpit über zwei große Displays, der zentrale Touchscreen ist 15,6 Zoll groß. Natürlich funkt das Infotainment im 5G-Netz und bietet vom Video-Streaming mit den Lieben zu Hause bis zum TV-Stream alles an Annehmlichkeiten, was der elektrifizierte Chinese so gewohnt ist.

200 Kilometer Reichweite in 5 Minuten

Viel spannender ist eh der Blicks ins Auto. Und in die Technik. Der Aion V Plus informiert um sauber strukturierten Cockpit über zwei große Displays, der zentrale Touchscreen ist 15,6 Zoll groß. Natürlich funkt das Infotainment im 5G-Netz und bietet vom Video-Streaming mit den Lieben zu Hause bis zum TV-Stream alles an Annehmlichkeiten, was der elektrifizierte Chinese so gewohnt ist. Je nach gewählter Akku-Kapazität (70, 80 und 95 kWh) fährt der V Plus bis zu 702 Kilometer weit, allerdings nach der NEDC-Norm, die vergleichbar mit der europäischen NEFZ ist. Wichtiger als die theoretische Reichweite: Der V Plus hat laut GAC den weltweit ersten Graphen-Akku und eine neu entwickelte Ladetechnologie an Bord, die GAC "AESafe" nennt. Die macht es nach Angaben der Herstellers möglich, an den eigens entwickelten 480-kW-Schnellladern mit einer absurd hohen Ladeleistung zu laden. Ganz praktisch soll der V Plus bis zu 200 Kilometer Reichweite in 5 Minuten laden können.

1000 Kilometer Reichweite

Noch ein bisschen mehr ambitionierte Technik? Kein Problem, die steht mit den GAC Aion LX gleich nebenan. Der soll ab 2022 dank eines Akkus mit einer Kapazität von 144,4 kWh auf eine NEDC/NEFZ-Reichweite von mehr als1000 Kilometer kommen. Laut GAC basieren die verwendeten Lithium-Ionen-Zellen auf einer NMC-Kathode sowie einer siliziumhaltigen Anode. Diese Technologie macht es laut GAC möglich, die Batterien leichter und kleiner zu machen, die Performance bei tiefen Temperaturen zu verbessern und die Energiedichte zu erhöhen. Das aufgeräumte LX-Plus-Cockpit kommt mit extrem wenigen Tasten und Schaltern aus, dominant sind die beiden großen Bildschirme. Viel wichtiger ist aber die ambitionierte Phalanx an Assistenzsystemen. Wer das Top-Modell ordert, bekommt ein Elektro-SUV vor die Tür gestellt, das zumindest in Sachen Hardware fit ist für die so genannten Level-4-Autonomie, sprich: für das vollautonome Fahren. Heißt: 3 Laser-Sensoren (LiDAR) ergänzen das eh schon dicht gepackte Netz aus Kameras (12), Radar- (6) sowie Ultraschall-Sensoren (12). Ziel: Der möglich perfekte und sichere Rundumblick. Um die damit anfallenden Daten in Echtzeit verarbeiten zu können, verbaut GAC zudem einen Hochleistungsrechner, der 200 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde (TOPS) ausführen kann.

Xpeng G3 G9
Xpeng
Das XPilot 4.0-Bordsystem von XPeng bietet eine Rechenleistung von 508 TOPS, integriert Kamerasysteme an der Front und in den Flanken, verschiedene Lidar-Systeme und einen 5G-Transmitter für eine schnelle Datenanbindung. Damit soll der G9 teilautonome Fahrten vom Start bis zum Einparkvorgang unterstützen. Die Chinesen sehen sich aber auch für spätere vollautonome Anwendungen gerüstet.

Super-Rechner & Super-Sensoren

Klingt extrem ambitioniert. Und ist es wahrscheinlich auch. Was aber nicht heißt, dass es nicht chinesische Autobauer gibt, die das bereits 2022 übertreffen wollen. Einer davon ist Hozon, der auf dem Heimatmarkt bislang vor allem mit günstigen, modern gezeichneten Elektro-SUV vertreten war. Mit dem Neta S, einer neuen Mittelklasse-Limousine, will Hozon jetzt die in den absoluten High-End-Bereich durchstarten. Der Neta 6 kommt laut Hozon mit gleich 6 Laser-Sensoren (LiDAR) und einer Rechenleistung von 1000 TOPS. Hinzu kommen 1000 Kilometer NEDC-Reichweite und ein angeblich komplett eigenständiges Betriebssystem. Over-the-Air-Updatefähigkeit versteht sich von selbst. Viel mehr technische Details gibt es, wie bei so vielen der neuen Hersteller aus China, aktuell noch nicht.

Das sieht bei XPeng deutlich anders aus. Der Hersteller aus Guangzhou verkauft sein Elektro-SUV G3 inzwischen auch in Norwegen und bereitet von dort aus die weitere Europa-Expansion vor. XPeng setzt bei allen Modelle auf ein Design, das global funktioniert. Das gilt auch fürs Cockpit, das fast vollständig über einen riesigen Touchscreen bedient wird. Das neue SUV-Flaggschiff von XPeng heißt G9, der auf einer neu entwickelten Fahrzeugarchitektur (X-EEA 3.0) aufbaut. X-EEA 3.0 setzt auf eine zentrale Super-Recheneinheit und verschiedene lokale Steuerungsmodule mit ultraschneller Vernetzung. Das XPilot 4.0-Bordsystem bietet eine Rechenleistung von 508 TOPS, integriert Kamerasysteme an der Front und in den Flanken, verschiedene Lidar-Systeme und einen 5G-Transmitter für eine schnelle Datenanbindung. Damit soll der G9 teilautonome Fahrten vom Start bis zum Einparkvorgang unterstützen. Die Chinesen sehen sich aber auch für spätere vollautonome Anwendungen gerüstet. Zum elektrischen Antrieb an sich halten sich die Chinesen noch zurück. Klar ist, die Plattform setzt auf 800-Volt-Technik, die Akkus lassen sich mit bis zu 480 kW laden und können so in fünf Minuten Strom für 200 Kilometer Reichweite bunkern. Neben XPeng hat auch Nio inzwischen ein Bein in der Tür zum europäischen Markt. Auch Nio tritt zunächst in Norwegen an, ebenfalls mit zwei auch in Europa gut verdaubaren SUV: ES6 und ES8 positionieren sich im Bereich der mittelgroßen und großen SUV und sind mit Akkus bis 100 kWh zu haben. Alleinstellungsmerkmal: Die Akkus können an Wechselstationen in wenigen Minuten getauscht werden. In Europa wird Shell diese Wechselstationen gemeinsam mit Nio betreiben. Wie selbstbewusst Nio die Sache angeht, zeigt die neue Mittelklasse-Limousine ET5, die Ende 2021 vorgestellt wurde. Optisch in den Abmessungen ein echter Konkurrent fürs Model 3 von Tesla, soll der ET5 ab 2023 auch nach Europa kommen. Mit einem bis zu 150 kWh großen Akku (1000 Kilometer Reichweite nach chinesischer Norm), LiDar-Sensoren und einem leistungsstarken Super-Rechner an Bord, der autonome Fahrfunktionen per Abo buchbar machen soll. Software-Aktualisierungen und neue Funktionen kommen ganz selbstverständlich per "Over-the-Air-Update" aus dem Internet. Zum Vergleich: Auch in China müssen Kunden mit einem deutschen Fahrzeug meist in die Werkstatt für Software-Updates. Das nervt im technologieverliebten China ganz besonders.

Nio ET5 Elektro-Limousine 2021
Nio
Nio positioniert sich mit dem ET5 als direkter Tesla-Konkurrent. Die E-Limousine startet im September 2022 in China. Natürlich mit Wechsel-Akku.

Einheitsware statt High-Tech

Wer heute in China zu einem VW-Händler geht, findet dort in Sachen Elektroantrieb vor allem Fahrzeuge, die auf dem Modularen Elektro-Baukasten (MEB) basieren. Der VW ID.4 heißt in China, je nachdem bei welchem Kooperationspartner man landet (SAIC-VW oder FAW-VW), zum Beispiel ID.4 X und unterscheidet sich in Sachen Design oder Ausstattung nur marginal von den Fahrzeugen, die wir aus Europa kennen. Das heißt aber eben auch, dass chinesische Kunden im Cockpit mit sehr viel Plastik, kleinen Displays und vergleichsweise bescheidenen Assistenzsystemen klarkommen müssen. Ohne Fahrer an Bord einparken? Gibt's weder bei VW, noch bei einem anderen deutschen Autobauer. Das Thema Over-the-Air-Update liegt bei VW in den Kinderschuhen, bei BMW sind sie da immerhin schon ein Stück weiter. Sprachbedienung? Gibt's natürlich auch in den meisten Modellen aus deutscher Herstellung. Einen KI-gesteuerten, intelligenten Assistenten, wie ihn chinesischen Kunden zum Beispiel von Nio kennen, haben nicht nur die Wolfsburger nicht zu bieten. Der direkte Cockpit-Vergleich zwischen VW ID.4 X und dem XPeng G3 zeigt das Dilemma: Die Chinesen haben längst gelernt, wie moderne Cockpits und Autos auszusehen haben. VW und die restlichen deutschen Autobauer können bestenfalls mithalten. Und das ist zu wenig, um gegen die neuen Konkurrenten bestehen zu können, die meistens auch noch deutlich günstiger sind.

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Ja, da bekomme ich moderne Technik für mein Geld.Nein, dem traue ich noch nicht so ganz.

Fazit

Die deutschen Autobauer bekommen langsam aber sicher in China Probleme, auch wenn das in Wolfsburg, Stuttgart oder München noch niemand zugeben will. Probleme, die deutlich über fehlende Computerchips hinausgehen. Viele der Elektroautos, die aus Deutschland kommen, sind vielen chinesischen Kunden schlicht nicht modern genug. Die chinesische Konkurrenz baut Hochleistungsrechner in Autos, setzt auf innovative Akku-Technologien, protzt mit Riesen-Reichweiten sowie absurd hohen Ladeleistungen und hat längst genügen Design-Kompetenz aus Europa abgeworben, um jeglichen Gestaltungs-Faux-Pas zu verhindern. Wer will, bekommt in China ein 20.000-Euro-Elektro-SUV, das alleine den Weg in eine Parklücke findet. Und die Deutschen? Kämpfen nach wir vor mit der sauberen Implementierung von Over-the-Air-Update.

Natürlich ist vieles, mit dem die großen und kleinen chinesischen Newcomer werben, auch in China noch lange nicht auf der Straße. Und nur weil man ein Auto mit allem vollstopft, was sich an Sensoren und Rechnerpower auftreiben lässt, fährt das Auto deshalb noch lange nicht alleine vom Büro zurück nach Hause. Aber die High-End-Versprechen helfen den Verkäufern  in den Showrooms, Träume zu verkaufen. Bei VW & Co. gibt's da im Moment vor allem die harte digitale Realität. Und die reicht nicht, um damit die verwöhnte chinesische Kundschaft zu beeindrucken.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten