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VW Aufsichtsratssitzung am 9. Dezember
Vorstands-Umbau - Skoda-Chef soll VW leiten

Herbert Diess bleibt Vorstandschef des VW-Konzerns, erhält aber neue Rollen – und mehr Unterstützung. Oder sind die Neuzugänge im nun zwölfköpfigen Gremium eher Aufpasser?

12/2020, Herbert Diess VW Volkswagen Vorstandsvorsitzender
Foto: Volkswagen AG

Mit den üblichen – teils heftigen – Nebengeräuschen haben der VW-Aufsichtsrat und der Konzernvorstand ihre neue Planungsrunde abgehalten. Und auch das ist ja inzwischen in Wolfsburg üblich: Als Ergebnis steht eine ungewöhnlich starke Personal-Rochade, die allerdings längst nicht so stark an Diess' Macht kratzt wie von vielen Beobachtern erwartet. Diess wird mit der Volkswagen-eigenen Software-Schmiede Cariad, die künftig direkt vom Konzernvorstand verantwortet wird, sogar die Oberaufsicht für ein weiteres Ressort erhalten. Diese hatte zuvor Audi-Chef Markus Duesmann inne. Klar ist aber auch: Der Vorstand wird insgesamt größer, was als Maßnahme gewertet werden kann, den Einfluss von Diess von unten her zu begrenzen. Der sagt dennoch fast trotzig: "Ich fühle mich durch die Berufungen deutlich gestärkt und kann mich weiterhin nicht über mangelnde Verantwortung beklagen."

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Brandstätter rückt in Konzernvorstand auf

Dass mit dem bisherigen VW-Markenchef Ralf Brandstätter Diess' großer Gegenspieler – vielleicht sogar designierter Nachfolger – in den Konzernvorstand aufrückt, muss der CEO dennoch hinnehmen. Brandstätter wird offiziell vom 1. Januar an das neue Konzern-Ressort "Volkswagen Pkw" verantworten. Er erhält zudem mehr Mitspracherecht in der Markengruppe Volumen, die er gemeinsam mit Diess steuern wird – wobei "die Verantwortung bis mindestens Mitte 2022 bei mir" bleibe, wie Diess in der Pressekonferenz nach der finalen Aufsichtsratssitzung bemerkte. Ab 1. August wird Brandstätter dann das neue China-Ressort im Konzernvorstand leiten. Einen Monat früher wird ihn der bisherige Skoda-Chef Thomas Schäfer als Verantwortlicher der Kernmarke im Konzernvorstand beerben. Schäfer wechselt aber bereits zum 1. April 2022 nach Wolfsburg und steigt bei der Marke Volkswagen als COO ein.

Doch damit sind die Personalien noch lange nicht abgehandelt. Audi Vertriebsvorständin Hildegard Wortmann übernimmt zum 1. Februar 2022 das wiedereingeführte Vertriebs-Ressort des VW-Konzerns – somit verantwortet Wortmann den Vertrieb aller VW-Konzernmarken. Zeitgleich führt Volkswagen einen weiteren Vorstandsposten ein, und zwar für "IT und Organisation". Diesen übernimmt mit Hauke Stars eine Technologie- und Finanzmarktexpertin. Ebenfalls zum 1. Februar steigt Manfred Döss als Vorstand für Integrität und Recht ein und übernimmt damit jenen Posten, den zuvor Hiltrud Werner innehatte. Der bisherige Chefjurist ist ein Vertrauter der Unternehmerfamilie Porsche/Piëch – auch die hat offenbar keine Lust, auf ständige, von Diess ausgehende Konfrontationen. Zusätzlich wird der ursprünglich bis April 2023 laufende Vertrag des Personalvorstandes Gunnar Kilian vorzeitig längerfristig verlängert.

Säbelrasseln vor der finalen Sitzung

So laut, wie das Säbelrasseln vor der finalen Aufsichtsratssitzung war, wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn Diess' Macht stärker beschnitten worden wäre. Dabei sind die Verdienste des Konzernchefs unumstritten. Die harte Wende zum E-Antrieb, obwohl schon kurz nach dem Bekanntwerden der Manipulationen an Dieselmotoren noch vor seiner Berufung eingeleitet, brachte ihm Anerkennung und gilt als richtig. Aber für Herbert Diess ist dieses konsequente Manöver erst der Anfang. Er will den ganzen Konzern noch viel stärker und vor allem schneller umbauen. Sein großes Vorbild: Elon Musk und Tesla. Daraus macht Diess keinen Hehl. Persönliche Treffen mit Elon Musk postet er auf Linkedin, immer wieder hält er seinen Managern aber auch der Belegschaft den Erfolg des US-Herstellers vor. "Der nächste Golf darf kein Tesla sein", warnte er gar zuletzt. Weil er sich, wie er selbst sagte, Sorgen macht um den Konzern. Die nächste Generation E-Autos (Project Trinity) soll unbedingt eine Revolution bei der Elektronik sowie bei der Produzierbarkeit bringen und setzt auf eine neue Architektur sowie eine Einheitszelle für den Akku (siehe Galerie).

Zur Sorge hat der CEO allen Grund: Chipmangel, Absatzeinbußen und schlechte Verkaufszahlen bei E-Autos vor allem auf dem wichtigsten Markt China, schlechte Auslastung der Werke, Qualitätsprobleme vor allem bei der Software und deren schleppende Weiterentwicklung. Die ID.-Modelle sind im Reich der Mitte bei dort so wichtigen Features wie Vernetzung, Elektronik und Assistenzsystem technologisch allenfalls Mittelmaß. Bei Batterien und vor allem deren Schnellladefähigkeit dasselbe Bild.

Arbeitnehmer oder CEO – wer regiert VW?

Die Frage ist natürlich: Wer hat daran Schuld? Diess sieht die Gründe in den verkrusteten Strukturen des Riesenkonzerns mit mehr als 600.000 Mitarbeitern weltweit, bei dem Arbeitnehmervertreter mit im Aufsichtsrat sitzen, wo der Betriebsrat ähnlich viel zu sagen hat wie der Vorstandsvorsitzende.

Die Arbeitnehmervertreter hingegen sehen die Fehler im Management, also bei Diess. Und empfinden Verweise auf ein Unternehmen wie Tesla als Affront. Elon Musk ist ja nicht nur für E-Autos und Raketen bekannt, sondern auch dafür, dass er weder von Gewerkschaften noch von Betriebsräten etwas hält. Geschichten über Mitarbeiter mit Burnout und vergleichsweise schlechte Bezahlung sind zahlreich und bei der Errichtung der Giga-Factory in Grünheide zeigt sich das Unternehmen auch nicht gerade als großer Freund von Umweltauflagen. Hinweise auf den großen Wasserbedarf seiner Fabrik im trockenen Brandenburg wischt Musk lachend beiseite: "Das ist doch hier keine Wüste". Dafür gibt sich Tesla als unerschrocken gegenüber Behördenauflagen: Die Fabrik hat das Unternehmen ohne endgültige Baugenehmigung weitgehend fertiggestellt.

Diess will radikalen Wandel und kommuniziert radikal

Kein Wunder also, dass es aus Wolfsburg immer wieder Misstöne zu hören gibt, seit Diess dort CEO ist. Laut und wütend wird es gern zum Jahresende hin. So 2020 im Dezember, als Diess zuvor "verkrustete Strukturen" im Konzern bemängelt hatte und sich der Aufsichtsrat in der Folge nicht zu einer vorzeitigen Vertragsverlängerung für den VW-Chef durchringen konnte, auf die dieser gedrungen hatte.

2021 ging es bereits im Oktober los und hat sich locker bis Dezember gehalten – wobei der jetzt erfolgte Umbau des Vorstands keineswegs bedeutet, dass es künftig ruhiger zugehen wird in Wolfsburg. Ausgangspunkt waren erneut klare Worte von Diess, was die Situation des Konzerns angeht. Als Diess ein Szenario für den Standort Wolfsburg vorrechnete, das 35.000 Jobs kosten würde, interpretierte der Betriebsrat das als Angriff und sprach Diess das Misstrauen aus. Berichten des Handelsblatts zufolge betriebt die bei VW auch im Aufsichtsrat starke Arbeitnehmerseite seine Ablösung, obwohl dessen Vertrag erst im Juli bis 2025 verlängert worden war. Mit dem nun starken Bekenntnis für die deutschen Standorte – vor allem mit der zuvor so nicht absehbaren Perspektive für die VW-Heimat Wolfsburg – dürfte der Betriebsrat jedoch besänftigt sein. Zumindest bis zum nächsten Jahresende.

Diess kann bleiben, aber nicht als Alleinherrscher

Die Vertreter der Eigner-Familien (Hans Michel Piëch und Wolfgang Porsche) standen bislang immer hinter Herbert Diess, dessen operative Führung VW auf einen erfolgversprechenden Kurs gebracht hat. Es gab aber auch Schattenseiten wie die Software-Probleme bei ID.3 und Golf 8, in dessen Nachgang Diess den Chefposten für die Kernmarke VW an Ralf Brandstätter abgab. Der hat es nun in den Konzernvorstand geschafft, muss aber die Herkulesaufgabe schaffen, das aktuell schleppend laufende China-Geschäft anzukurbeln. Das ist einerseits undankbar. Andererseits kann sich Brandstätter da beweisen. Ist er erfolgreich, hat er vielleicht später das Rüstzeug zur Hand, um Diess als Vorstandschef zu beerben.

Brandstätter scheint zumindest weniger konfrontativ mit der Arbeitnehmerseite umzugehen. Wie Diess sieht er die Notwendigkeit, dass der Konzern Autos wie Tesla in erheblich kürzerer Zeit bauen muss. Sein Plan: Zur Produktion des neuen E-Autos Trinity (2026) soll nahe Wolfsburg ein neues Werk entstehen. Es soll zum Standort des Stammwerks dazuzählen, wo dann vor allem noch Verbrenner gebaut werden sollen. Selbst einen Arbeitsplatzabbau sieht Brandstätter auch – betont aber gleichzeitig, dass der über Altersteilzeit und Vorruhestand geregelt würde. "Diese Instrumente sind ausreichend", so Brandstätter.

Die Frage ist, wie viel Beinfreiheit Diess in der neuen Konstellation bleibt. Schon bei der Ausarbeitung der aktuellen Investitionspläne war er laut Handelsblatt nicht mehr dabei. Brandstätter und Personalvorstand Gunnar Kilian haben demnach die Verteilung neuer Modelle auf die Standorte mit den jeweiligen Betriebsräten verhandelt. Auch das neue IT-Ressort ist offenbar gegen Diess' Willen implementiert worden. Das soll der Entwicklung von Software zusätzlichen Schub zu geben. Das scheint angesichts der Probleme nicht nur in China dringend nötig – die Frage ist natürlich, auf welchem Wege kann das gelingen. Die Antworten auf solche Fragestellungen gestaltete im VW-Konzern bislang maßgeblich Herbert Diess. Und er wählte auch die Art, wie er seine Ideen kommunizierte. Wenn er nur diese Wahl künftig nicht mehr alleine treffen kann, könnte er das als Chance begreifen. Wenn er denkt, er müsse sich schon bei Ideen zur geplanten Strategie auf die Zunge beißen, könnte er auch beim persönlichen Vergleich mit Elon Musk zu dem Schluss kommen, dass es der Tesla-Chef besser hat.

Umfrage
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Fazit

Die meisten externen Beobachter dürften die Amtszeit von Herbert Diess als vorteilhaft für VW bewerten, das gilt vermutlich sogar für die öffentliche Wahrnehmung: Vom Diesel-Saulus zum Elektro-Paulus. Der Blick auf die Produkte ist zwiespältiger: Der schnelle Ausbau der Palette an E-Autos steht auf der Haben-Seite, deren anfangs billige Anmutung und die Software-Probleme selbst bei etablierten Modellen wie dem Golf haben Renommee gekostet.

Gänzlich umgedreht dürfte das Bild des Konzerns aus der Innensicht sein, was viel damit zu tun hat, dass Diess glaubt, aus Reibung entstehe Gutes und versucht, Lösungen aus Konflikten zu gewinnen. Das funktioniert aber mit der speziellen Struktur von Volkswagen nicht so recht: Gegen den Betriebsrat erreicht hier niemand was, heißt es aus Wolfsburg gerne mal. Das zu beachten, kann heißen, dass auch der CEO nicht öffentlich Ideen kommuniziert, die die Arbeitnehmerseite als Angriff interpretieren könnte. Wer Stellenabbau thematisiert, kann sich dessen sicher sein – und muss sich nicht wundern, wenn er sich Feinde macht. 

Feinde mag Diess als konfliktfreudige und durchsetzungsstarke Führungskraft nicht fürchten. Aber als Vorstand des gesamten Konzerns wird es sein Problem, wenn er auf seinem schwierigen Transformationsweg die Unterstützung entscheidender Teile des Konzerns verliert. 

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