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VW-Boss Diess auf der Mitarbeiter-Versammlung
„Der nächste Golf darf kein Tesla sein!“

VW-Boss Herbert Diess sieht sich seit Wochen der Kritik ausgesetzt – nun zeigte sich auf der ersten Betriebsversammlung in Wolfsburg seit der Corona-Pandemie: VW und sein Boss stehen enorm unter Druck.

Elon Musk bei Herbert Diess VW ID.3
Foto: Volkswagen

Im Vorfeld wurde bereits heftig über die Demission des CEO spekuliert, schließlich beraten Aufsichtsrat, das Land Niedersachsen und Arbeitnehmerverteter bereits im Vermittlungsausschuss über die aktuellen Probleme – die da sind: Chipmangel, Absatzeinbußen, schlechte Auslastung der Werke, Qualitätsprobleme bis hin zum hohen Tempo der Konzernumbaus und einem schlechten Kommunikationsstil des Chefs. Dazu gesellen sich noch die bei vielen als anbiedernd empfundene Nähe zu Tesla-Boss Elon Musk – und eben jetzt die Betriebsversammlung an der Diess nicht teilnehmen wollte, da eine Reise zu Investoren in die USA anstand.

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Aber Herbert Diess stellte sich der Belegschaft, die wegen Corona zum Großteil die Versammlung per Livestream verfolgte – nur wenige tausend waren in der Halle 11 in Wolfsburg anwesend.

Betriebsrat spricht von Angst in der Belegschaft

"Wie Sie in den letzten Monaten öffentlich aufgetreten sind", zeigte sich die mächtige Betriebsratschefin Daniela Cavallo angriffslustig, "da frage ich mich wirklich, ob Ihnen selbst diese Lage hier an unserem Standort eigentlich bewusst ist und wie das in der Belegschaft ankommt." Statt einer Million Autos rollen nur 400.000 Modelle vom Band, es gebe Kurzarbeit und einen Produktionsstand wie in den 50er Jahren. Aber, "nicht das Werk oder die Beschäftigten sind ineffizient, nein, natürlich nicht! Uns fehlen schlicht die Teile, mit denen wir unsere Autos bauen können", stellt Cavallo fest.

"Das, was wir bei den Halbleitern sehen, ist ein Armutszeugnis, es ist ein Armutszeugnis für einen Weltkonzern! Und es ist die Verantwortung von Ihnen, sehr geehrte Konzernvorstände!" Die Betriebsratchefin, seit Mai 2021 im Amt, kritisierte weiter die Social-Media-Postings von Diess sowie seinen Umgang mit "unserem größten Konkurrenten. Die Faszination, die Sie offenbar gegenüber Herrn Musk empfinden und den Elan, den Sie in die Kontaktpflege mit ihm stecken, das würden wir Beschäftigten uns auch für unsere aktuell großen Herausforderungen im Konzern sichtbar wünschen", so Cavallo weiter. Den VW-Werkern sei "eindeutig bewusst, dass sich sehr viel im Zuge der Elektromobilität und Digitalisierung verändern wird, sogar muss". Statt eines konstruktiven Dialogs, würde Diess die Belegschaft mit den Spekulationen über einen Stellenabbau verunsichern. "Sie haben Angst", beschreibt Daniela Cavallo die Stimmung in der Belegschaft, "Angst um ihre Arbeit, um ihre Familien, um ihre Existenz. Und Sie streuen immer wieder Salz in die Wunde, und das ohne Not."

Diess verteidigt sich und fordert

Herbert Diess schlägt in seiner Rede versöhnlichere Töne an: "Frau Cavallo und ich sind uns einig: Wir müssen miteinander reden. "Ich freue mich wirklich auf den persönlichen Austausch, den wir sicher alle vermisst haben." Nur gemeinsam mache man Volkswagen zukunftssicher. An die Arbeiter gerichtet sagte er: "Mir ist klar: Sie wollen zurück ins Werk. Der Unmut ist völlig angebracht: Sie wollen Volkswagen voranbringen statt zuhause rumsitzen. Das verstehe ich. Und so dramatisch die Lage ist, ich möchte auch auf Gutes hinweisen: Durch eine Betriebsvereinbarung wird das Kurzarbeitergeld auf nahezu 100 Prozent aufgestockt. Das ist gut. Das gibt es in anderen Werken in der Welt nicht.

Die Marke Volkswagen hat dieses Jahr bislang 27 Prozent der geplanten Produktion verloren. In China haben unsere Joint Ventures fast 30 Prozent verloren, Skoda liegt bei minus 32 Prozent." Schuld sei die Halbleiterkrise. Erst am Dienstag habe man im Vorstand beschlossen, dass man eine bestmögliche Auslastung der Werke erreichen wollen. Aber es gebe keine Entwarnung. "Auch nächstes Jahr wird uns der Chip-Mangel begleiten. Die Versorgung wird besser, aber wir werden nicht jedes Auto bauen können." Langfristig will Diess in das Chip-Design einsteigen, das Projekt Trinity werde wenige große leistungsfähige Rechner haben, "die wir zum Teil selbst entwickeln und in Halbleiterfabriken fertigen lassen werden."

Diess bestellt VW Golf GTI

Auch der Kritik in Bezug auf Tesla nimmt der VW-CEO auf. "Ich werde oft gefragt, warum ich uns andauernd mit Tesla vergleiche. Ich weiß, dass es einige nervt." In der Verbrennerwelt sei VW Spitze, "das können wir – vielleicht so gut wie niemand anderes." Schließlich habe er sich zuletzt erst einen VW Golf GTI bestellt, für ihn das beste Auto der Welt.

Doch in der neuen Auto-Welt, da weht dem Konzern heftiger Gegenwind um die Nase, es seien neue Stärken gefragt und Software würde entscheiden, wer sich wie viele Marktanteile sichern kann. Und dieser Wandel sei nochmals schwieriger als der Umstieg vom Verbrenner auf das Elektroauto. Entsprechend würde das Auto künftig das komplexeste Tech-Produkt der Welt – und "wenn wir es nicht bauen, bauen es andere. Daher ist die Entscheidung gefallen: Wir müssen uns ranhalten – mit allen Kräften." Deshalb wurde mit Cariad eine eigenen Software-Firma gegründet.

Tesla-Produktivität deutlich höher

Trotzdem, Tesla setzt aktuell Standards, sie bauen ihr Auto um die Software herum, Updates seien für Tesla-Kunden schon Alltag. Und Diess warnt weiter: Der Hauptkonkurrent werde schnell lernen, Qualität und Produktion würden verbessert. Bei der Produktivität läge Tesla bei zehn Stunden pro Auto, das VW-Werk in Zwickau liegt aktuell bei über 30 Stunden, 20 Stunden sollen es im kommenden Jahr sein – ursprünglich waren 16 Stunden geplant.

"Diese Zahlen sind es, die mich dazu bewegen, auf diesen neuen Wettbewerb hinzuweisen und nicht die Augen zu verschließen. Selbst wenn ich nicht mehr über Elon Musk spreche: Er bleibt da und revolutioniert unsere Industrie und wird schnell immer wettbewerbsfähiger", warnt Diess und sagt weiter: "Nur wer die Konkurrenz versteht und im Blick hat, kann gewinnen. Tesla ist heute Benchmark, aus China drängen zudem weitere starke Startups in unseren Markt. Ralf Brandstätter und ich haben in den vergangenen Wochen einige Autos aus China getestet. Wir müssen gestehen: Sie sind richtig gut."

Grünheide darf Wolfsburg nicht kaputt machen

Und auch die neuen Wettwerber wie Apple, Google oder Foxconn, mit viel Kapital und Kompetenz bei der Software und Elektronik ausgestattet, sehen enorme Wachstumschancen und wollen Marktanteile. "Wir wollen auch in Zukunft erfolgreich sein. Deshalb müssen wir unseren Weltkonzern rechtzeitig zum Umsteuern bewegen. Die Betonung liegt auf rechtzeitig!", fleht Diess nahezu. "Damit meine ich jetzt. Ich sagen Ihnen allen ganz klar: Wir dürfen uns unseren Standort, unsere Konzernzentrale, nicht von Tesla in Grünheide kaputtmachen lassen!"

Gerade Wolfsburg sei wichtig für den Konzern, müsse die Speerspitze sein. Mit der Verantwortung für unsere Super-Plattform, die SSP. Das erste Auto darauf ist das Projekt Trinity, in dem Diess eine große Chance im Kampf um das elektrische und autonome Fahren sieht.

Gleichzeitig ist das Projekt nicht nur ein Fahrzeug, sondern auch die Bezeichnung für den Wandel bei VW. Unter Trinity soll die Zusammenarbeit effizienter gestaltet werden und die Produktionszeiten schneller ausfallen. Mit Trinity soll das Werk Wolfsburg die wichtigste Fabrik des Konzerns werden. "Nur wenn wir zu Hause beweisen, dass wir zukunftsfähig sind, können wir ihn auch weltweit im Wettbewerb bestehen. Der nächste Golf darf kein Tesla sein! Der nächste Golf darf nicht aus China kommen! Die nächste Ikone muss wieder ein Wolfsburger sein! Trinity!"

Jobs werden weniger – neue Jobs kommen

Zum Schluss seiner Rede appelliert er an die VW-Mitarbeiter: "Steuern Wir um! Machen Wir Volkswagen zukunftssicher." Ich möchte, dass Ihre Kinder und Enkelkinder auch 2030 noch einen sicheren Job hier bei uns in Wolfsburg haben können. Darum geht es mir heute. Deswegen bin ich da. Die heute bestehenden Jobs werden innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahren sicher weniger – vor allem in der Verwaltung auf Konzernebene, aber auch in der Produktion und in der Entwicklung. Es werden neue und andere Jobs dazukommen. Aber nicht Herbert Diess oder Daniela Cavallo entscheiden darüber. Die Kunden entscheiden, indem sie entweder ein Auto aus Brandenburg oder ein Auto aus Wolfsburg kaufen."

Mit Blick auf die nahe Zukunft verrät Diess, man habe sich im Aufsichtsrat gemeinsam mit den Betriebsrat darauf geeinigt bei der nächsten Sitzung am 9.12.2021 ein Zielbild für Wolfsburg zu entwickeln. "Wir nennen das Vision 2030."

Umfrage
Ist Herbert Diess der richtige Mann an der VW-Konzernspitze?
16762 Mal abgestimmt
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Fazit

VW-Boss Diess eckt an, bei der Belegschaft, beim Betriebsrat, ja auch beim Aufsichtsrat. Sein Kommunikationsstil ist gewöhnungsbedürftig, ebenso das Tempo, mit dem er den riesigen Tanker Volkswagen in Richtung Elektomobilität steuert. Auf dem Weg dahin vergisst er offenbar seine Mitarbeiter mitzunehmen, verprellt sie mit unbedachten Aussagen und peinlichen Postings. Trotzdem, der eingeschlagene Weg ist der richtige, der einzige, um VW nach der Verbrenner-Ära an die Spitze zu führen. Das hat Diess auf der Versammlung in Wolfsburg vor den Mitarbeitern eindrücklich und emotional klar gemacht – nur erhört werden muss er noch.

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Erscheinungsdatum 03.07.2024

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