Seit drei Wochen steht der Audi A1 nun schon bei Klaus Menhofer in der Werkstatt. Ein Streifschaden rechts, Tür und Seitenteil des Autos in der seltenen Farbe Aubergine-Metallic sind verschrammt. Der Werkstatt-Inhaber aus Pfronten (Bayern) und der Audi-Besitzer würden den Kasko-Schaden gerne nachhaltig reparieren – mit einer gebrauchten Tür. Doch die kommt erst nach drei Wochen an – stark beschädigt.
Nachfrage beim Verkäufer, der Plattform Claimparts, die europaweit rund 5,5 Millionen Gebrauchtteile im Angebot hat. Die Spedition habe das Teil beim Transport beschädigt und dann in einem Zentrallager vergessen, so Geschäftsführer Oliver Hallstein: "Das ist einer unserer schlimmsten Fälle. Aber zum Glück passiert das extrem selten." Insgesamt betrage die Reklamationsquote bei Claimparts nur rund 2,8 Prozent und liege damit weit unter der von Autoherstellern.
Gebrauchtteile zum Teil beschädigt
Bei einem aktuellen Skoda Fabia Combi kam die Secondhand-Tür (hinten rechts) pünktlich bei Menhofer an – und war auf einer Börse für Gebrauchtteile sogar rund 282,43 Euro billiger als vergleichbare Neuware. Allerdings mussten der Werkstatt-Chef und seine Kollegen zunächst Anbauteile entfernen und neue Grundierungen auftragen. Bis auf wenige Euro war der Preisvorteil so schnell weg. "Eine neue Tür bestelle ich, nehme sie aus der Schachtel, baue sie ein", sagt Menhofer. Dass man mit Gebrauchtteilen preiswerter reparieren könne, "stimmt nicht ohne Weiteres". Zumal moderne Autos immer schwieriger zu demontieren seien. "Es gibt Stoßfänger, die aus über hundert Einzelteilen bestehen." Lohnen könne es sich aber, wenn die Farben von Auto und Ersatzteil zueinanderpassen. Dann entfalle zumindest der Lackieraufwand.
Statt zu tauschen, setzt Menhofer aber lieber instand. Zwar seien hierfür Spezialwerkzeug sowie gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte nötig. Am Ende sei diese Reparatur-Art aber häufig die billigste Variante und auch am nachhaltigsten. Nach Allianz-Berechnungen verbraucht das Ausbeulen einer ID.3-Fronttür rund ein Fünftel weniger CO2 als der Tausch gegen eine gebrauchte.
Versicherungstarif könnte sinken
Noch ist der Markt für Zweite-Hand-Reparaturen von Kaskoschäden nicht richtig in Fahrt. Aber: In etwa drei Jahren rechnet die Allianz mit einem "gut funktionierenden" Gebrauchtteilehandel und einem Einsparpotenzial von bis zu zehn Prozent bei den Reparaturkosten. Auch die Autoversicherung könnte dann perspektivisch billiger werden. Sobald es in Deutschland "eine ausreichende Verfügbarkeit von gebrauchten Ersatzteilen auch für jüngere Modellreihen gibt", könnte die Allianz nach eigenen Angaben einen "Kfz-Tarif planen, der die Verwendung von verfügbaren gebrauchten Teilen beinhaltet".
Der Versicherer hofft, dass auch seine Mitbewerber bald auf Secondhand setzen, um so gemeinsam mehr Druck auf die Ersatzteilpreise der Autohersteller auszuüben. Denn bei Originalteilen können diese die Preise quasi diktieren. Zudem verlagert die Autoindustrie ihre Gewinnmarge zunehmend vom Autoverkauf in den Aftermarket.
Autoindustrie kann Teilepreise fast diktieren
"Mobilität wird so insgesamt teurer. Sie muss aber für jeden bezahlbar bleiben", sagt Christian Sahr, Leiter des Allianz Zentrums für Technik (AZT). Laut Gesamtverband der Versicherer (GDV) sind die Ersatzteilpreise von 2014 bis 2024 pro Jahr um durchschnittlich 5,4 Prozent gestiegen, während die Inflationsrate im gleichen Zeitraum im Schnitt bei 2,4 Prozent lag. Beispiel: Der Durchschnittspreis einer hinteren Seitenwand hat sich in zehn Jahren mehr als verdoppelt.
Der Gedanke der Allianz: Gebrauchtteile könnten mehr Wettbewerb in die Branche tragen, so die Preispolitik der Autoindustrie unter Druck setzen und im Ergebnis für weniger stark steigende Preise sorgen. Dass die Hersteller die Pläne des großen Versicherers ernst nehmen, zeigt das Beispiel Mercedes. Der Hersteller vertreibt mittlerweile über sein Gebrauchtteile Center (GTC) selbst Teile mit Vorleben.
Nachhaltigkeit als Motiv
"Wir machen das nicht primär, um Kosten zu sparen", sagt AZT-Chef Christian Sahr. Seinem Unternehmen gehe es um Nachhaltigkeit. Die Allianz gleiche auch Unwetterschäden aus, Umweltschutz liege daher im unmittelbaren Firmeninteresse. Der Versicherer präsentiert in einer Beispielrechnung, wie hoch die CO2-Ersparnis gegenüber Neuteilen ausfallen kann. Der Einbau einer gebrauchten Fahrertür beim VW ID.3 spare 78,4 Prozent oder 64,9 Kilogramm des Klimagases ein. Hochgerechnet auf alle Reparaturen könnten in Deutschland unter Idealbedingungen 420.000 Tonnen weniger CO2 ausgestoßen werden.
Laut Allianz können aktuell rund 25 Außenteile mit Ersatz aus zweiter Hand repariert werden – etwa Türen sowie Front- und Heckklappen, aber auch Spiegel, Scheinwerfer oder Rückleuchten. Einschränkung: "Sicherheitsrelevante Teile wie Lenkungen, Achsteile oder Räder werden nicht genutzt", sagt Christian Sahr.
Besuch bei einem professionellen Recycler
Doch wo sollen all die Teile herkommen? Einen Teil der Antwort gibt es kurz vor der Grenze zu den Niederlanden. In Meppen (Niedersachsen) zerlegen rund 70 Mitarbeiter von Autorecycling Kempers Autos. Firmenchef Ayton Kempers zeigt einen Golf VIII mit veritablem Heckschaden. Von hinten betrachtet wäre der VW ein Fall für die Presse, die Frontpartie aber ist völlig unversehrt. Also wird der Wagen zerlegt, die intakten Gebrauchtteile angeboten. Auch fabrikneue, völlig intakte Fahrzeuge stehen hier. Warum sie hier sind, darf Kempers nicht verraten. Oft aber stehen rechtliche Gründe einer Zulassung im Wege.
Kempers könnte noch viel mehr Autos zerlegen. Hauptproblem: Es fehlt an bezahlbarem "Material", denn Altautos landen meist im Ausland. Für den jungen Firmenchef liegt der Grund vor allem darin, dass Exporteure in Restwertbörsen für Totalschäden das meiste Geld auf den Tisch legen können. Ihre Fixkosten sind oft niedriger als die moderner Recycling-Betriebe, die sich an strenge Umweltvorgaben halten müssen. "Hier könnte es eine Idee sein, dass nur zertifizierte Verwerter Gebote abgeben dürfen", sagt der 28-Jährige und nennt beispielhaft bekannte Missbrauchs-Szenarien. So gebe es selbst für komplett zerstörte Wracks von Luxusmodellen oft hohe Gebote.
Die Vermutung: Den Käufern komme es hier vor allem auf Fahrgestellnummer und Papiere an, um so gestohlene Autos "legalisieren" zu können. Zudem könne ein Wrack unter bestimmten Voraussetzungen im Ausland erneut ohne Vorführung beim Zulassungsamt angemeldet, versichert und dann verbotenerweise als gestohlen gemeldet werden. Oder oberflächlich repariert als "unfallfrei" in deutschen Gebrauchtwagenportalen landen.
Gebrauchtteil-Angebot in Frankreich Pflicht
Wie Auto-Recycling gut funktionieren kann, zeigt das Beispiel Frankreich. Werkstätten müssen ihren Kunden dort auch ein Reparaturangebot mit Gebrauchtteilen machen. Weil viele Franzosen sich für die im Schnitt rund 300 Euro günstigeren Recycling-Reparaturen entscheiden, werden im Nachbarland mehr Altautos professionell zerlegt. Der Markt funktioniert: In Frankreich fallen von 40 Millionen zugelassenen Autos pro Jahr etwa 1,2 Millionen "zur Entsorgung an", während es in Deutschland nur rund 300.000 sind – bei etwa 50 Millionen zugelassenen Pkw.
Für Deutschland wünscht sich die Allianz ähnliche gesetzliche Vorgaben wie auf der anderen Rheinseite. "Wir würden es befürworten, wenn der Gesetzgeber ähnliche Rahmenbedingungen wie in Frankreich einführen würde", so AZT-Leiter Sahr. Das Argument: Der Kunde könne sich frei entscheiden und müsse nicht in jedem Fall mühsam davon überzeugt werden, dass Alt so gut sein kann wie Neu. Die Allianz hat in einer Umfrage herausgefunden: 89 Prozent der Befragten würden einer Reparatur mit gebrauchten, aber vollständig intakten und zertifizierten Ersatzteilen zustimmen. Konkret darauf angesprochen macht es jetzt in der Anfangsphase schon jeder Zweite.
Forderung: Unfallautos zu Verwertern
Deutschlands größter Versicherer betont gegenüber auto motor und sport, dass er bereits heute Totalschäden "gezielt nicht in Restwertbörsen" steuere, sondern Verwertern zuführe, so Christian Sahr. "Da gibt es eine klare Anweisung an unsere Sachverständigen. Hier haben wir einen Riesenhebel." Problem nur: Andere Versicherer ziehen noch nicht mit. Ein Hoffnungsschimmer ist die neue EU-Altauto-Verordnung, die das Auto-Recycling ab Ende 2026 stärken soll.
Claimparts-Chef Hallstein geht davon aus, dass in Deutschland jährlich von 600.000 Totalschäden etwa 60.000 bis 80.000 "zur Teilegewinnung geeignet" sind. Von 30 relevanten Teilen eines Autos könnten in der Regel pro Auto 20 noch einmal genutzt werden. Konzentriert man sich auf die 25 wichtigsten Modelle aller drei- bis zehnjährigen Autos, lassen sich 80 Prozent der nachgefragten Teile anbieten.
Mehr Umsatz verzeichnet Hallstein auch, weil viele Hersteller neue Ersatzteile derzeit gar nicht oder nur stark verzögert liefern können. Benutzte Komponenten können da ein Ausweg sein. Zumal sie in aller Regel jünger als das Auto sind, in dem sie ihr neues Leben starten. Zudem macht Claimparts das Vorleben der Ersatzteile nachvollziehbar; ab Ende 2025 können Werkstätten über einen QR-Code die Historie abrufen. Die Lackschichtdicke wird seit Januar gemessen und auf der Bestellplattform angegeben. Werkstatt-Mitarbeiter können den gewünschten Artikel auf vielen Fotos von allen Seiten begutachten.
Recycler Kempers behandelt die Secondhand-Ware, als wäre sie neu: Bevor ein Scheinwerfer den Betrieb verlässt, wird er im Mini-Studio fotografiert, im Versandkarton passgenau ausgeschäumt verpackt. "Wir brauchen das Bewusstsein, dass Gebrauchtteile nicht schlechter als Neuteile sein können", sagt Kempers.
Längst hat Claimparts nicht mehr nur Karosserieteile für die Reparatur nach Unfällen im Angebot. Auch Mechanik-Komponenten ermöglichen in vielen Fällen eine zeitwertgerechte, preiswerte Reparatur älterer Autos. Und mindestens zwölf Monate Garantie gibt es auch noch.