Software-definierte Fahrzeuge werden zu digitalen Plattformen

Die große Revolution in der Auto-Elektronik
Das Software-definierte Fahrzeug

Veröffentlicht am 28.06.2025
Das Software-definierte Fahrzeug
Foto: Bosch

Wer sich mit dem Wandel der Automobilindustrie beschäftigt, stolpert unweigerlich über den Begriff "Software-defined Vehicle" (SdV). Dabei ist Software keineswegs neu im Automobilbau. Seit den 1980er-Jahren spielt sie eine wichtige Rolle, anfangs in Motorsteuergeräten oder ABS-Systemen, später auch im Assistenz- und Infotainment-Bereich. Schon in konventionellen Fahrzeugen stecken Millionen Zeilen Programmcode.


Was ist dann das Besondere an Software-definierten Fahrzeugen? Wie unterscheiden sie sich von früheren Auto-Generationen? Und was haben ihre Besitzer davon? Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir uns mit Michael Hörig unterhalten, der bei Bosch Mobility für die zentrale Technologie- und Entwicklungsstrategie zuständig ist. Er ist der ideale Ansprechpartner für dieses Thema – als größter Automobilzulieferer der Welt gestaltet Bosch den Wandel zum SdV aktiv mit.

Hörigs Beobachtung nach war die Entwicklung früher tatsächlich eher Hardware-orientiert. Software kam als notwendiger Bestandteil ins Spiel, um etwa ein ESP-Steuergerät zum Laufen zu bringen. Solche Steuergeräte wurden mit maßgeschneiderter Software entwickelt und im Paket an die Automobilhersteller geliefert. In Spitzenmodellen kamen über 100 dieser spezialisierten Kleinrechner zum Einsatz. Eine nachträgliche Funktionserweiterung war ausgeschlossen, da hierfür neue Hardware mit angepassten Programmen hätte entwickelt werden müssen.

Bosch

Innovationen durch Software

Heute entstehen neue Funktionen häufig über Software, was einen völlig anderen Aufbau der elektronischen Komponenten erfordert. Anstelle von Dutzenden Einzelsteuergeräten setzen Software-definierte Fahrzeuge auf wenige leistungsstarke Zentralrechner. Diese steuern eine Vielzahl von Aufgaben, was die Komplexität der Hardware reduziert und die Integration neuer Programme erleichtert. Die meisten Hersteller nutzen zwei bis fünf solcher Rechner, in denen ganze Funktionsbereiche – sogenannte Domänen – zusammengefasst werden. Beispiele für solche Domänen sind der Antrieb, die Assistenzsysteme, das Infotainment und der Bereich Fahrwerk, Lenkung und Bremse.

Die Umstellung führt zudem zu einer Trennung von Hardware und Software. So wird es möglich, Software unabhängig vom ausführenden Rechner zu entwickeln und zu aktualisieren. Das Fahrzeug kann auf diese Weise auch nach dem Kauf kontinuierlich verbessert oder im Funktionsumfang erweitert werden.

Als Verbindung zwischen den Software-Anwendungen (Apps) und den Domänenrechnern ist ein Betriebssystem erforderlich. Einige Automobilhersteller entwickeln eigene Betriebssysteme, viele setzen aber auf vorhandene Systeme wie Android Automotive. Auch Bosch hat diesen Wandel bereits vollzogen: 40 000 Entwickler sind bei Bosch Mobility unter anderem mit der Programmierung von Apps und Betriebssystemen beschäftigt – auch für Hardware, die von anderen Herstellern stammt.

Mit der Cloud verbunden

Ein weiteres zentrales Merkmal des Software-definierten Fahrzeugs ist die Vernetzung mit der Cloud des Herstellers. Per Mobilfunkverbindung können Autos Software-Updates drahtlos empfangen ("Over the Air", OTA), wie man es vom Smartphone kennt. Diese Aktualisierungen reichen von Fehlerbehebungen über Sicherheits-Patches bis hin zu komplett neuen Funktionen.

Damit ist auch klar, was Autobesitzer von der neuen Elektronik-Architektur haben. Die Möglichkeit, weitere Funktionen per Update aufzuspielen, gehört sicherlich zu den größten Vorteilen. Attraktive Beispiele hierfür sind das Freischalten von zusätzlicher Motorleistung und die Installation weiterer Infotainment- und Funktions-Apps. Sie können bis zu neuen Funktionen für Matrix-LED-Scheinwerfer reichen, die dann Warnhinweise auf die Straße beamen.

Die Steuerung mehrerer Einzelsysteme durch einen Domänenrechner erlaubt zudem tiefgreifendere Eingriffe in die Abstimmung eines Autos. Heutige Fahrmodi lassen nur kleinere Korrekturen zu, etwa bei Stoßdämpferhärte oder Lenkkraftunterstützung. Als Beispiel für die neuen Freiheiten nennt Hörig das von Bosch entwickelte "Vehicle Motion System", mit dem sich das Fahrverhalten umfangreich anpassen lässt. Beispiel ESP: Musste das Stabilitätsprogramm bisher allein über Bremseingriffe ein Schleudern des Fahrzeugs verhindern, kann das neue System auch die Lenkung selbst ansteuern.

Voraussetzung hierfür ist ein "Steer-by-Wire"-System, das Lenkbefehle per Datenleitung überträgt. Der Fahrer spürt dadurch nicht mehr direkt, in welcher Stellung sich die Räder befinden. Dies ermöglicht stärkere Eingriffe und kann dem Auto gleichzeitig einen viel agileren Charakter verleihen. Das Vehicle Motion System soll bald in Serie gehen; in welchem Modell, verrät Bosch aber noch nicht.

Mehr Sicherheit durch Vernetzung

Bereits in Millionen von Fahrzeugen integriert sind hingegen die "Connected Map Services" von Bosch. Hier werden Schwarmdaten aus vernetzten Fahrzeugen mit Umfeldinformationen zu Wetter, Falschfahrern oder Staus kombiniert. So entsteht ein umfassendes Lagebild, das weit über das hinausgeht, was der Fahrer oder die bordeigenen Sensoren erfassen können. Warnmeldungen lassen sich dadurch deutlich früher absetzen, lange bevor ein Fahrzeug eine Gefahrenstelle erreicht.

Ein weiteres Beispiel für den Nutzen Software-definierter Fahrzeuge ist der Bosch-Service "Battery in the Cloud". Dieser Dienst optimiert die Leistung und Lebensdauer von Batterien in Elektrofahrzeugen. Dafür werden Batteriedaten wie Ladezustand, Temperatur und Fahrstil kontinuierlich in die Cloud übertragen und dort mittels Künstlicher Intelligenz analysiert. Dies erlaubt nicht nur eine genaue Bewertung des aktuellen Batteriezustands, sondern ermöglicht auch die Erstellung individueller Ladeprofile, um der Zellalterung entgegenzuwirken.

Rechenleistung auf Vorrat

Um auch für zukünftige Funktionserweiterungen gerüstet zu sein, müssen Fahrzeuge bereits zum Serienstart über Reserven bei der Rechenleistung verfügen, auch wenn diese anfangs nicht benötigt werden. Andernfalls werden die Zentralrechner von Update zu Update immer langsamer oder können größere Programme gar nicht erst verarbeiten. Die Dimensionierung dieser Reserven ist nach Hörigs Erfahrung ein wichtiger Abstimmungsprozess zwischen den Autoherstellern und ihren Zulieferern wie Bosch.