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Schlaglochreport 2013
Warum unsere Straßen verrotten

Jedes Jahr nach dem Winter machen tausende Schlaglöcher den Straßenzustand zum Aufreger-Thema. Doch egal wie zahlreich, die Löcher sind nur oberflächliche Symptome tiefer liegender Krankheiten. Deutschland lässt seine Straßen langsam verrotten.

Straßenschäden, Schlagloch
Foto: Archiv

Jeder kennt so eine. Eine wie die Tulpenstraße in Dortmund, die Luxemburger Straße in Trier, die Ehmannstraße in Stuttgart oder die Feilitzschstraße in München: Rumpelacker, Flickenteppiche. In der Duisburger Moltkestraße klaffte in diesem Frühjahr ein 80 Zentimeter tiefes Loch, Berlin sperrte zeitweise 50 Straßen wegen zu starker Schäden, beschränkte etwa in der Hildegard-Jadamowitz-Straße das Tempo zum Teil auf fünf km/h. Stefan Schulze vom Essener Presseamt zum Beispiel erzählt von 10.000 Löchern, mit denen die Straßen der Stadt im April dieses Jahres übersät waren. Reparaturkosten für ein einziges Loch: zwischen 70 und 100 Euro.

Besonders betroffen: kommunale Straßen, die regelmäßig auch von Bussen und Lkw malträtiert werden. Normalerweise hält eine Straßendecke 30 bis 50 Jahre. Schwerlastverkehr kriegt sie in einem Bruchteil der Zeit klein. Mindestens die Hälfte der Gemeindestraßen ist kaputt, davon geht der ADAC aus und rechnet aktuell mit drei Milliarden Euro, die allein zur Ausbesserung der Schlaglöcher in den kommunalen Straßenbau fließen müssten.

Fortschreitender Substanzverlust

Zwar bekommen die Kommunen finanzielle Zuweisungen. Die Stadt Stuttgart etwa, eine der reichsten Kommunen Deutschlands, führt im aktuellen Haushalt knapp 54,5 Millionen Euro aus dem Verkehrslastenausgleich vom Land und den Kreisen, dazu werden 1,5 Millionen dezidiert für den Straßenbau verbucht. An Bußgeldern sackt man über 23 Millionen ein. Aber der Stuttgarter Etat zum Straßenerhalt beträgt nur gut acht Millionen Euro. "Die kommunale Straßeninfrastruktur ist chronisch unterfinanziert" sagt Carsten Hansen, Referatsleiter Verkehr beim Deutschen Städte- und Gemeindebund: "Es fehlen jährlich 2,15 Milliarden Euro. Die Erhaltungsaufwendungen fressen uns auf. Aus der Lkw-Maut sehen die Gemeinden keinen Cent, aber gerade für das kommunale Netz ist das Schadenspotenzial immens." Denn die Gemeinden dürfen über die Zuweisungen nicht gänzlich frei verfügen, dürfen sie nicht zum Erhalt und zur Reparatur verwenden, sondern sind gehalten, sie in Neubauprojekte oder Umgestaltungen zu investieren, wie Carsten Hansen erklärt.

Die Folge: Dringend sanierungsbedürftige Straßen verrotten weiter, während andere gebaut oder verkehrsberuhigt werden. So kommt es zu massiven Verkehrsbeeinträchtigungen, Substanzverlust – etwa die Hälfte des städtischen Anlagevermögens steckt in den Straßen – und explodierenden Reparaturkosten.

Lange bekannte Probleme

Die macht Jürgen Mutz, Leiter der Tiefbauabteilung Mitte/Nord in Stuttgart, an einem Beispiel deutlich: "Stellen Sie sich vor, als Hausbesitzer entdecken Sie, dass ein Dachziegel kaputt ist. Was machen Sie? Sie ersetzen ihn sobald wie möglich, weil das relativ einfach und günstig machbar ist. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie tun lange Zeit nichts, weitere Ziegel brechen, es regnet nicht nur einmal rein, sondern immer wieder. So in etwa ist das mit den Straßen ebenfalls."

Um ernsthaft gegen diesen Verfall und damit den Verlust öffentlichen Vermögens anzugehen, müssten die Kommunen laut ADAC jährlich acht Milliarden Euro bereitstellen. Tatsächlich sind es nur fünf. Das Deutsche Institut für Urbanistik spricht deshalb davon, dass sich mittlerweile ein Finanzloch von 22 bis 23 Milliarden Euro auftut. Ein vermeidbarer Wertverlust und vermeidbare Kosten, hätte man gleich den ersten kaputten Dachziegel repariert.

Auch auf Bundes- und Landesebene leistet sich Deutschland den Verfall seiner Straßen. Fast ein Fünftel der 12.800 Autobahnkilometer bekommt eine schlechtere Zustandsnote als 3,5, ein Warnwert, der eigentlich unmittelbaren Sanierungsbedarf anzeigt. Der gilt unterdessen sogar für mehr als 40 Prozent der Bundesstraßen.

Schon 1999 hatte die von der Bundesregierung eingesetzte Pällmann-Kommission in ihrem Bericht zur Verkehrsinfrastruktur-Finanzierung auf eine "Instandhaltungskrise" hingewiesen. 13 Jahre später folgert die "Daehre-Kommission", dass trotz fachlicher Einigkeit der Experten entsprechende politische Entscheidungen bis heute ausstehen und dass "alle Aktivitäten, für den Verkehr einen höheren Anteil aus den Haushalten zu sichern, ins Leere gelaufen sind". Im Abschlussbericht ist außerdem die Rede von "unzureichenden Anstrengungen", ein hochwertiges Verkehrsnetz zu erhalten "und in der Qualität den wachsenden Anforderungen anzupassen".

Immer höhere Verkehrsbelastung

Heißt: Einerseits steigt die Belastung der Straßen stetig, andererseits wird immer weniger investiert. Und das führt nach Einschätzung der Daehre-Kommission zu nicht weniger, als dass "der Wirtschaftsstandort Deutschland wie auch die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger ... ernsthaft gefährdet sind". Es geht ans Eingemachte.

Dass überall der Mangel an finanziellen Mitteln beklagt wird, heißt indes nicht, dass zu wenig Geld da wäre. Es heißt, dass es nicht so verteilt wird, wie man es zum einen im persönlichen Interesse der Autofahrer und zum anderen im volkswirtschaftlichen Interesse aller tun sollte. "Es ist genügend Geld vorhanden, man muss es nur anders einsetzen", befindet für den ADAC Klaus Reindl. Der Staat kassiere im Jahr 53 Milliarden Euro an kraftfahrzeugabhängigen Steuern. Doch flössen davon nur 14 Milliarden zurück in den Verkehrsbereich.

Aus der Mineralölsteuer allein beliefen sich die staatlichen Einnahmen 2010 auf fast 34 Milliarden Euro, 8,5 Milliarden brachte die Kfz-Steuer, weitere 4,5 spülte die Lkw-Maut in die Bundeskasse. Die Investitionen des Bundes für Verkehrsinfrastruktur belaufen sich demgegenüber auf nur zehn Milliarden Euro. Wobei davon auch nur gut die Hälfte ins Straßenwesen selbst ging.

Zurück auf kommunale Ebene: Stuttgart ließ sich den baulichen Erhalt seiner Straßen vor drei Jahren noch 95 Cent pro Quadratmeter kosten, 2012 allerdings waren nur noch 91 Cent veranschlagt. Nötig wären im Schnitt aber 2,5 Mal mehr. So ist niemand in der Lage, "vorausschauend zu sanieren, anstatt nur Löcher zu flicken", wie es Jürgen Mutz vom Stuttgarter Tiefbauamt formuliert.

Straßennetze vor dem Kollaps

Ohnehin zeigen die Löcher nur, "dass der Zeitpunkt zum Eingreifen lang überschritten wurde. Intakte Straßen bekommen auch in harten Wintern keine Löcher." Das sagt Bernd Dudenhöfer von der Straßenbau- und Verkehrsingenieur-Vereinigung Berlin-Brandenburg und prognostiziert für weniger wohlhabende Kommunen wie etwa Berlin über kurz oder lang sogar einen "endgültigen Kollaps des Straßennetzes".

Während man von staatlicher Seite sehenden Auges auf den Straßen-GAU zusteuert, wird vor allem im Berufsleben mehr und mehr Mobilität gefordert, was im Schnitt 1,5 Stunden pro Tag beansprucht. 350 Euro steckt ein privater Haushalt monatlich in Mobilität, etwa 15 Prozent des Budgets.

Wie sähe es demgegenüber aus, wenn man, zugegeben in einer allzu simplen Milchmädchenrechnung, dasselbe für die öffentliche Hand kalkulierte? 2011 standen dem Bund 248 Milliarden Euro an Steuergeldern zur Verfügung, den Ländern 224,3 und den Gemeinden 76,6. 15 Prozent davon entsprechen 37,2 Milliarden Euro, 33,7 und 11,5 Milliarden. Investiert wurden in Verkehrsinfrastruktur aber gerade mal 20 Milliarden Euro. Wenn der Staat also nicht endlich das Geld in die Hand nimmt, das zum Erhalt der Straßen dringend nötig ist, bleibt auch die Politik am Ende nur das, was viele Straßen heute schon sind: Flickwerk.

Schlaglöcher können lebensgefährlich sein

Das sagt Hubert Paulus, Technikexperte beim ADAC. Außerdem zehren schlechte Straßen am Zustand der Autos.

Herr Paulus, was tun Schlaglächer dem Auto an?

Paulus: Sehr schlechte Wegstrecken bedeuten höhere Belastung, insbesondere für das Fahrwerk und die Reifen. Das führt über die Zeit zu höherem Verschleiß und damit zu höheren Wartungs- und Reparaturkosten.

Das hört sich ärgerlich an, aber nicht gefährlich.

Paulus: Kann es aber sein. Lebensgefährlich sogar. An den spitzen Kanten großer Schlaglöcher leiden die Reifen immens. Es kann sogar passieren, dass der Stahlgürtel im Reifengummi ernsthaft beschädigt wird. Das ist oft nicht gleich zu erkennen, kann aber dazu führen, dass bei nächster Gelegenheit der Reifen platzt, etwa bei hohem Tempo auf der Autobahn.

Was sollte ich tun, wenn ich zu heftig durch ein Loch gerumpelt bin?

Paulus: Zunächst: Sie sollten die Beschilderung und Geschwindigkeitsbegrenzungen unbedingt ernst nehmen. Wenn Sie den Verdacht haben, zu heftig durch ein Schlagloch gefahren zu sein, sollte der nächste Weg zu einer Werkstatt oder Prüforganisation führen, damit die von einem Laien nicht erkennbaren Schäden entdeckt oder ausgeschlossen werden.

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