Unter nebenberuflichen Stauforschern wie Berufspendlern, Außendienstlern oder sonstigen Kilometer-Millionären wird die Weisheit häufig wie ein Mantra weitergegeben: Bei Stau niemals die Autobahn verlassen! Grund für den gelebten Strecken-Starrsinn: Der Zeitverlust auf den meist weiträumig angelegten Umleitungsstrecken sei stets höher als jener auf dem kurzem Stauabschnitt – von gelegentlichen Ausnahmen bei Vollsperrungen einmal abgesehen. Denn bis der Grund für die Verlangsamung auf der Umleitungsstrecke umfahren ist, läuft das Tempo auch auf der ursprünglichen, kürzeren Route wieder. Daran glauben zumindest die Profis.
Ein Auto ist zum Fahren da, sagt Stefan Cerchez
Diese Menschen möchte ich daran erinnern, dass ein Auto ein FAHR-zeug ist. Es hat Räder, die der Fortbewegung dienen. Daher fällt es selbst einem Menschen mit positiv-gelassener Lebenseinstellung üblicherweise schwer, sehenden Auges in einen Stau zu fahren und sich ganz selbstverständlich in die Stop-and-go-Karawane einzureihen. So spannend es sein mag, zur Überbrückung der Wartezeit die Funktionen und Menüstrukturen des Infotainment-Systems endlich einmal bis zur untersten Ebene zu erkunden, irgendwann ist der Unterhaltungswert der Daddelkiste erschöpft – DVD-Wiedergabe hin, Online-Anbindung her. Zumal es doch in regelmäßigen Abständen Ausfahrten mit bereits markierten Ausweichstrecken gibt. Also nichts wie den Blinker gesetzt und schnell die Autobahn verlassen. Zugegeben: Dank Verkehrsfunk- und Navigationshinweisen kommen auch die empfohlenen Umleitungen schnell an ihre Grenzen. Aber wozu gibt es die dynamische Routenführung mit automatischer Neuberechnung? Nicht immer ist der kürzeste Weg der schnellste – und schon gar nicht der schönste. Auf der Flucht vor einem Stau lassen sich auch Routen und Ortschaften entdecken, die einem bei Marschtempo auf der Autobahn verborgen blieben. Deshalb gilt für mich: Lieber drehen statt stehen!
Michael von Maydell sitzt den Stau lieber aus
Allein diese immer wieder gefühlte Arroganz nervt doch schon. Dieser ignorante "Wir-sind-cleverer-Blick", den die meisten Fahrer aufsetzen, wenn sie zu ihrer vermeintlich freien Fahrt ansetzen und möglichst schnell – eventuell schon auf dem Standstreifen – an den stehenden Fahrzeugen vorbeibrausen.
Ich frag mich nur: Wozu? Schon an der ersten Ampel geht die Hektik doch los. Der eine fährt den blauen Umleitungsschildern brav hinterher, beschleunigt glücklich bis zum vierten Gang – endlich freies Fahren –, und schwupp, hängt er im nächsten Dorf. All den anderen hinterher. Es folgen: Kreisverkehr, Zebrastreifen, dann der Müllmann, der gemütlich die Papiertonnen über die Straße rollt, dann der Trecker mit Güllefass. Nicht zu vergessen: der viel beschäftigte Blitzer am Ortsausgang. Immerhin eine kleine Entschädigung für das staubelastete Dorf.
Der Nächste an der oben genannten Ampel denkt sich "die Umleitung ist eh schon voll", biegt links ab und tastet sich an der Autobahn entlang. Taktisch vielleicht klüger, ärgerlich nur, wenn er nach 15 Minuten über eine Autobahnbrücke fährt, und unter ihm rollt der Verkehr gerade wieder an.
Da steh ich doch lieber. Höre gemütlich Musik, surfe im Internet oder kann endlich mal in Ruhe mein Karl-May-Hörbuch hören. Neun Stunden " Der Schatz im Silbersee" – das sollte reichen. Zwischendurch kommt dann sicher mal im Radio: "Bitte die U13 nicht mehr anfahren. Die Straßen sind total überlastet." Viel zu gucken gibt es auch. Rechts der Lkw-Fahrer, der seine Bude sauber macht, und nebenan im Kombi zwei adrette Mädels. Vielleicht spielt jemand Volleyball? Von Truckern, die ihren Grill aufbauen und Würstl brutzeln, ganz zu schweigen. Und eventuell entwickelt sich aus einer reizenden Unterhaltung am Ende ja eine glückliche Familie?
Was mir noch einfällt: Wer steht, spart auch noch Sprit. Und ist am Ende doch schneller zu Hause.