Pirelli-CEO im Interview: P Zero, Nachhaltigkeit & KI

Pirelli-CEO Andrea Casaluci im Interview
Warum Ruß bleibt – und wie Pirelli trotzdem nachhaltiger wird

Veröffentlicht am 05.06.2025
Andrea Casaluci, CEO Pirelli
Foto: Pirelli
Welcher ist der wichtigste Reifen für Pirelli?

Der P Zero, unser Highend-Produkt auf der höchsten Stufe des Premium-Segments, in dem die anspruchsvollsten Kunden sind. Der P Zero ist weltweit eine eigene Marke und verkörpert Prestige, Motorsport sowie technische Innovation.

Wird der P Zero marktspezifisch mit unterschiedlichen Konstruktions- und Mischungs-Spezifikationen angeboten?

Bei den Hersteller-homologierten Reifen, zum Beispiel für Porsche oder Mercedes-AMG, ist das Produkt in allen Märkten gleich. Auch im Ersatzmarkt stellen wir sicher, dass jeder Reifen weltweit dieselben Standards erfüllt, mit derselben Qualität und Performance. Im Ersatzgeschäft gehen wir auf unterschiedliche geografische Besonderheiten ein, indem wir regionale Produkte anbieten, bei denen Qualitäts- und Leistungsstandards konsequent eingehalten werden.

Bei der letzten P Zero-Generation gab es die Option, die Seitenwand mit einem farbigen Streifen zu versehen, wie in der Formel 1. Wie war da die Nachfrage der Kunden und wird es diese Option wieder geben?

Die Nachfrage war höher als erwartet. Allerdings war das Angebot limitiert, weil die Produktion recht komplex ist. Trotzdem oder gerade deswegen werden wir diese Option beim neuen P Zero für spezifische Automobil-Modelle ebenfalls wieder anbieten.

Die Themen Nachhaltigkeit und recycelte Materialien sind große Themen allgemein und in der Reifenindustrie ganz besonders. Wie wäre es, wenn man einen Reifen auf den Markt bringen würde, dem man seine Nachhaltigkeit ansieht, zum Beispiel in Braun? Dafür müsste man nur den Ruß weglassen, der die schwarze Färbung macht.

So einfach wäre das nicht, denn der Ruß gibt nicht nur die Farbe, sondern dient vor allem als Verstärker für die Gummimischung. Er hält die einzelnen Komponenten quasi zusammen, macht den Reifen außerdem widerstandsfähig, was die in großen Teilen aus Naturkautschuk bestehende Gummimischung allein nicht wäre. Wir können den Ruß also nicht einfach weglassen, sondern arbeiten daran, ihn schrittweise durch recycelten Ruß zu ersetzen, um unsere Umweltbeeinflussung zu reduzieren, aber die Performance der Reifen zu erhalten: Wir nennen den Eco-Safety-Ansatz von Pirelli.

Wie wichtig ist für Pirelli der Entwicklungs- und Produktionsstandort Deutschland?

Die Mehrheit der Autohersteller-Homologationen im Premium- und Prestigesegment kommt aus Deutschland und Italien, deshalb ist Deutschland für uns das Herzstück der regionalen Entwicklung. In Breuberg werden diese Produkte nicht nur entwickelt, sondern auch produziert. Wichtig ist dabei der Austausch zwischen Mailand und Breuberg, wobei einige unserer wichtigsten Führungskräfte im italienischen Forschungs- und Entwicklungsteam Deutsche sind. Auf der anderen Seite haben wir Italiener, die in Deutschland arbeiten und die Entwicklung der Reifen für bestimmte Automarken und -Modelle leiten.

Welcher Markt ist für Pirelli aktuell der stärkste und welcher könnte es in Zukunft aus Ihrer Sicht einmal werden?

Europa, der Asien-Pazifik-Raum mit zum Beispiel China und Japan, sowie die USA. Da wir uns auf hochpreisige Fahrzeugsegmente fokussieren und sich 90 Prozent dieser Segmente auf diese drei großen Märkte konzentrieren, sind wir dort besonders stark. Der Südostasiatische Markt wächst besonders stark. Wenn wir uns die Verkaufsergebnisse ansehen, ist Europa aktuell am wichtigsten. Die größten Möglichkeiten zu wachsen, sehen wir in den USA, weil dort rund 40 Prozent aller Premium-Fahrzeuge weltweit verkauft werden. Und diese Fahrzeuge rollen auf Premium-Reifen.

Planen Sie ein weiteres Werk in den USA?

Aktuell bedienen wir die Nachfrage in den USA zu 55 Prozent mit dem Werk in Mexiko, je 20 Prozent mit den Werken in Europa und Brasilien, etwa fünf Prozent mit der Fabrik in Rome, Georgia. Weil wir dort wachsen wollen, prüfen wir unsere besten Optionen. Klar ist, dass wir unsere lokalen Produktionskapazitäten in den USA steigern wollen.

Wo sehen Sie die größten Potenziale für weitere Innovationen bei Reifen?

Die Zukunft der hochwertigen Mobilität wird meiner Meinung nach vollständig nachhaltig und vollständig vernetzt sein. Auf diese beiden Bereiche konzentrieren wir uns. Dabei ist die Performance des Reifens ein zentrales Element. Fahrspaß und Sicherheit sind die Grundvoraussetzung. Da wir heute bereits in diesen Bereichen stark sind, – so mit unserer Cyber Tyre-Technologie, um nur ein Beispiel zu nennen – und wir sind bestrebt, unsere Fähigkeiten kontinuierlich zu verbessern.

Was bringt Ihnen dabei die Möglichkeit der Simulation während der Entwicklung?

Dank Simulationen sparen wir 30 Prozent Entwicklungszeit ein. Wenn wir über Prototypenreifen sprechen, sparen wir sogar noch mehr. Zwar bringen wir dadurch einen Reifen nicht unbedingt schneller auf den Markt, doch virtuelles Testen gibt uns die Möglichkeit, die Produkt-Performance zu steigern. Man kann viel mehr verschiedene Mischungen und Muster am Computer prüfen, bevor man sie tatsächlich baut. Simulation bedeutet: Bessere Performance in kürzerer Zeit und die Anforderungen der Autohersteller noch exakter zu erreichen. Denn, anders als noch vor wenigen Jahren, sind die Anforderungen immer unterschiedlicher. Das macht die Entwicklung komplexer. Kompromisse zu finden, ist relativ einfach. Doch wir wollen keine Kompromisse und wenn es um Sicherheit geht, gibt es keine Kompromisse. Genau deshalb brauchen wir Simulatoren und wir investieren kontinuierlich in diese Entwicklungswerkzeuge, einschließlich der Integration künstlicher Intelligenz.

Vita Andrea Casaluci

Chief Executive Officer seit August 2023

Geboren 1973

Abschluss in Ingenieurwesen am Politecnico di Milano im Jahr 2001

2002 trat er bei Pirelli Tyre als Produktionsplaner in der zentralen Logistikabteilung ein

2004 arbeitete er als Berater bei Key Project Consulting

2005 kehrte er zu Pirelli zurück und übernahm die Leitung der Bedarfsplanung innerhalb der zentralen Marketingabteilung

2008 wechselte er nach Spanien als Marketing Director für Spanien und Portugal

2011 kehrte er nach Italien zurück und übernahm die Rolle des Logistikleiters der Business-Unit Moto; anschließend übernahm er 2013 Aufgaben innerhalb der Marketingzentrale, zunächst als Demand Planning and Pricing Manager und später als Leiter Produktmarketing und OE Aftermarket

2015 wechselte er nach China und übernahm die Position des Chief Commercial Officer Asia & Pacific

2017 kehrte er nach Italien zurück und wurde Chief Operating Officer Europe und CEO Italy

Ebenfalls 2017 wurde er Executive Vice President der Business-Unit Prestige, Chief Operating Officer Europe und Head of Original Equipment

Ab Mai 2018 war er General Manager Operations

Seit August 2023 ist er Chief Executive Officer