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Original-Reisebericht: Mallorca 1957
Mallorquinische Begegnungen

Redakteur H. U. Wieselmann schwärmte schon 1957 von der Insel Mallorca und verfasste diesen Artikel in der Ausgabe 14/1957.

75 Jahre AMS 18.3. Mallorca - Citroen von 1924
Foto: H. U. Wieselmann

Das Haus unserer Freunde am Strand von C’an Pastilla wird nur durch eine Straße vom Meer getrennt. Sitzt man nachts mit dem Drink neben sich auf der Veranda, so ist’s ein sonderbares Gefühl, zwischen sich und Afrika nur das bleigraue Wasser zu wissen, auf das der Mond eine silberhelle Glitzerbahn spiegelt. Auf der Sehne der Bucht schaukeln, weit voneinander entfernt, die Lichter einiger Fischerboote, die dem Mittelmeer bei Nacht jene abscheulich anzuschauenden, überraschenderweise jedoch durchweg gut schmeckenden schwimmenden Lebewesen entlocken, vor denen es den mitteleuropäischen Betrachter auf dem Fischmarkt in Palma regelrecht schaudert. Better drink another brandy, meint Nachbar Charles, als könnte er meine Gedanken erraten.

Unsere Highlights

Charles, 64, hager, braungebrannt, ist eine jener überaus profilierten Typen, die Mitteleuropa aus unerfindlichen Gründen an den mallorquinischen Strand gespült hat. Er flog im 1. Weltkrieg Farmans an der italienischen Front, im 2. Blenheims an der französischen und unterschrieb als US-Major und Chefsekretär der Alliierten Kommission verantwortlich den Alliierten Status für Österreich. (Ein gedrucktes Exemplar wird auf Verlangen vorgezeigt.) Ganz im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute ist er polyglott: er liest Tolstoi und Lermontow, Goethe und Jean Paul, Proust und Sartre im Urtext und spricht außerdem natürlich Spanisch und sogar Mallorquinisch, was mit Spanisch so gut wie keine Ähnlichkeit besitzt.

75 Jahre AMS 18.3. Mallorca - Peugeot 1 Liter Typ 201 von 1930
H. U. Wieselmann
Peugeot 1 Liter - Typ 201 von 1930 - für Mallorca ziemlich modern.

Cognac verboten – oder doch nicht?

Ich habe Streit mit meiner Mutti gehabt heute, sagt Charles betrübt. Er macht eine Pause, während die Glut seiner Zigarette sein markantes Seeräubergesicht rötlich erhellt. Sag du mal deine Meinung dazu: Heute kamen die Kohlen für den Winter, und die armen Männer waren so schmutzig in der Hitze, da habe ich ihnen mein Bad zur Verfügung gestellt...

So ist Charles. Seine Mutti, 84, mit dem Philosophie-Doktorhut der Sorbonne, ist allerdings streng mit ihm. Seit er sie aus USA in sein Haus in Mallorca nachkommen ließ, hat die alte Dame keinen Moment versäumt, ihn zu erziehen. Sie duldet kein Dienstmädchen in seiner Nähe und duldet nicht, dass er Cognac trinkt noch ausgeht oder auch nur das Haus verlässt. Die Zeit, die er zum Einholen ausbleiben kann, wird ihm genau vorgeschrieben, aber Charles ist clever genug, den Einkauf für den Küchenbedarf so zu beschleunigen, dass ihm noch ein Viertelstündchen beim Cognac in Senor Balles residencia bleibt; überdies führt er die Bücher für einen analphabetischen Hotelier, woraus ihm ein hübsches Taschengeld zufließt. Um Muttis Omnipräsenz im Hause zu entgehen, hat sich Charles in einem muffigen Kellerraum seines eigenen Hauses einquartiert, wo er, der keiner Kreatur ein Leid antut, zwischen Spinnenweben, Kellerasseln, leeren Cognacflaschen und vereinzelten Fledermäusen wie Spitzwegs Poet in der Dachstube langliegt und "Hermann und Dorothea" liest. Aber die Kellerstube hat einen Separat-Eingang, und so hatten wir jeden Abend Gelegenheit, Charles als Gast zu sehen. Einmal freilich, als wir auf der Terrasse saßen, hörte Mutti ihn sprechen und setzte sofort die Trillerpfeife an. Mit der holt sie ihn nämlich herbei.

75 Jahre AMS 18.3. Mallorca - Citroen von 1924
H. U. Wieselmann
Citroen von 1924 - von ihm und dem etwas kleineren Bruder aus jener Zeit gibt es Hunderte auf der Insel.

Vorgänger des Laubfroschs aus Frankreich

Geschwunden sind die Tage, da Mallorca ein Paradies der Billigkeit war. Zwar zahlt man in vergleichbaren Hotels nur die Hälfte der französischen und italienischen Preise, doch muss man den langen Anmarsch berücksichtigen und überdies die Qualität des Gebotenen. Billig ist alles, was geschmuggelt wird: amerikanische Zigaretten gehören dazu, die Packung für 70 Pfennig. Billig ist ferner alles, was getrunken wird: Wein, Sekt, Cognac, Vermouth. Ein Glas spanischen Cognacs, nach Landessitte bis an den obersten Rand gefüllt, kostet 27 Pfennig. Nur muss man nicht den Fehler begehen, "Carlos Primeros" zu verlangen, der etwas älter, dafür aber exakt zehnmal so teuer ist. Auf den Palo komme ich später zu sprechen.

Dafür ist Mallorca das Paradies der alten Autos. Kennen Sie noch Mathis, Unic, DeDionBouton? Und kennen Sie noch die längst gestorbenen Amerikaner aus den frühen Dreißigern: Paige, Chandler, Erskine? Alle sie und viele andere sagenhafte Modelle aus den Gründerjahren des Automobils geben sich auf Mallorca ein Stelldichein. Weitaus am häufigsten anzutreffen unter den alten Autos ist der 4/16 PS Citroën, den Opel später als Laubfrosch getreulich kopierte. Hunderte und aber Hunderte rattern von diesem Modell in allen Karosserieversionen über die Straßen der Insel, schön gemächlich, in den Achsantrieben schlackernd und heisere Krächztöne ausstoßend, die vom altertümlichen Horn herrühren. Denn es wird auf der Insel unentwegt gehupt: wenn sich eine Frau in der Nähe zeigt, wenn man an einem Haus vorbeikommt, jemanden überholen will oder gar sich einer Kurve nähert. Die Busse vor allem und Lastwagen verfügen über schiffssirenen- ähnliche Signalapparate mit geradezu dramatischem Klang, der wegen eines Radfahrers 3- bis 4-, einer Ortseinfahrt jedoch 6-, 8-, auch l0mal zum besten gegeben wird.

75 Jahre AMS 18.3. Mallorca - 9/35 PS Renault von 1925
H. U. Wieselmann
Häufig zu sehen: 9/35 PS Renault von 1925.

Unser Mietwagen: Brennabor von 1928

Auf die gemächliche Art der Fortbewegung, aber sicher auch auf die Geschicklichkeit der Spanier in mechanischer Hinsicht ist die erstaunliche Lebensdauer der Auto-Veteranen in Mallorca zurückzuführen – ganz abgesehen davon, dass neue Modelle so gut wie unerschwinglich sind. Gestärkt von der Urlaubs-Ausspannung erbrachten wir einen Beweis besonderen persönlichen Mutes, indem wir uns mit einem 1.569 ccm-Brennabor, Baujahr 1928, den wir uns zu diesem Zweck gemietet hatten, in die Einsamkeit der mallorquinischen Bergwelt begaben, fernab von aller Zivilisation, der Sprache nicht mächtig und auch nicht des Gebrauchs nicht-vorhandenen Werkzeugs. Aber der Brennabor, Einstieghöhe 55 cm, war geduldig und in sein Schicksal ergeben wie ein alter Maulesel des Landes. Beging man nicht den Wahnsinn, das Tempo über 55 km/h hinaus zu forcieren (die Reifen mit der Aufschrift "velocidad maxima 70 km/h" reizten eigentlich dazu), so blieb der Eindruck vorherrschend, dass die vielerlei Ratter-, Schlag- und Poltergeräusche nicht unbedingt zum Verlust lebenswichtiger Teile des Vehikels führen würden. Ich fragte nach der Rückkehr den Besitzer, was der Brennabor noch wert wäre, so wie er geht und steht. Und die Antwort war: Den Gegenwert von 2.500 DM hat man mir geboten, aber nie, nie gebe ich diesen guten Wagen her. Este Alemano! Da fiel mir ein, dass der zu seiner Zeit von uns nie besonders geschätzte Brennabor die deutsche Eichel als Zeichen deutscher Wertarbeit am Kühler führte. Ich nehme an, es war einer der letzten noch lebenden seiner Art.

An modernen Autos mit mallorquinischem Kennzeichen sind vornehmlich eine in Spanien gebaute Version des Fiat 1400 sowie der Voisin-Biscooter anzutreffen, letzterer ein abstruser Zweisitzer, meist mit vieren beladen, mit einem Reißanlasser tipo mecanico und ohne Rückwärtsgang. Dieser auch von Gutwilligen nicht ernst zu nehmende Sprößling der spanischen Motorisierung kostet rund 3.500 DM. Außerordentlich hoch geschätzt wird der 13/40er Ford, das sogenannte A-Modell, das unter 10.000 DM nicht zu haben ist, und auch dann nur mit viel Glück. Ein junger englischer Bekannter, der seine vor drei Jahren nach Mallorca unternommene Hochzeitsreise dazu benutzte, um gleich dort zu bleiben, bezahlte während unseres Aufenthalts für einen sehr gepflegten Vorkriegs-Packard, garantiert noch keine 20 Jahre alt, 12.500 DM.

75 Jahre AMS 18.3. Mallorca - Voisin-Biscooter
H. U. Wieselmann
Der Voisin-Biscooter, der auf Mallorca außerordentlich beliebt ist.

Hilfsbereite Einwohner

Da fällt mir Christine ein, Frau eines englischen Architekten, die mit ihren zwei Kindern vor ein paar Monaten auf die Insel kam. Ihr Pech begann bereits auf der Überfahrt von Barcelona, als ihr nämlich ihr gesamtes Urlaubsgeld gestohlen wurde. Sie kam an, kannte niemanden, lebte auf Pump, immer in der Hoffnung auf telegrafische Geldüberweisung aus London. Eine etwas heruntergekommene, von längerem Mallorca-Aufenthalt bereits leicht ramponierte polnische Gräfin nahm sich ihrer an, verschaffte ihr weiteren Kredit, als das Geld nicht kam, ließ die Schuhe ihrer Kinder besohlen, kaufte ihr Brot und Fleisch. Immer noch kein Geld. Schon kümmerte sich die Britin kaum noch um ihre Kinder, um so mehr jedoch um den tatsächlich preiswerten spanischen Cognac, da ließ die Polin ein massives Telegramm los — auch auf Pump. Der Architekt rührte sich nunmehr und sagte seinen Besuch an, was seine Frau zu mancherlei Freudentrünken veranlasste, das Gläschen für 27 Pfennig. Doch kam mit dem erwarteten Schiff aus Barcelona nicht der Architekt, sondern sein Bruder, Museumsbeamter von Profession, dessen Bartenden ganz traurig zuckten, als er erzählte, dass der Architekt und Ehemann nicht selber kommen könne, weil er das ganze Geld seiner Frau verspielt habe. Woraufhin er bekümmert mit dem nächsten Schiff wieder abfuhr, während die Architektenfrau weiter trinkt, sich eng an die männliche mallorquinische Bevölkerung anschließt und ihre Kinder von Zuwendungen hilfswilliger Freunde auf der Insel leben lässt. Sie selbst hilft sich schon durch, denn Charme, das sagen selbst die Mallorquiner, hat sie wirklich.

Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, auf Mallorca lebe eine besonders schöne Menschenrasse, und es mag mancher in dieser Hinsicht enttäuscht sein. Aber was für nette, hilfsbereite Menschen sind das! Wohl ist die Kunst des Lesens und Schreibens nicht sonderlich verbreitet, was soll’s auch, man liest und schreibt zu allermeist ja doch nur dummes Zeug. Als typisch für den freundlichen Sinn der Mallorquiner möchte ich eine Begebenheit vermerken, die ich als sehr eindrucksvoll empfand. Mein Freund hatte für seinen in mühseliger Kleinarbeit wieder seetüchtig gemachten Kutter in Coll d’en Rabazza eine komplette Takelage mit Mast und Segel und Fock gekauft, kein Kavalierspaketchen also, sondern ein 5 m langes Trumm mit vielerlei Enden, Schoten und wie die Seeleute in ihrer dwars'schen Sprache dergleichen benennen. Er stellte sich, als die Transportfrage akut wurde, an die Straße und winkte dem erstbesten Lastwagen. Der hielt sofort, bedauerte beinahe unter Tränen, dass er einen andern Weg nehmen müsse, fuhr freundlich winkend davon. Der nächste hielt ebenfalls an, gehörte jedoch – wie auch der dritte, der 10 Minuten später kam – einem Unternehmen an, dessen Boss kontrollierend auf der Straße herumflitzte, so dass Privatexkursionen nicht opportun waren. Der vierte hielt, verstaute ächzend die Takelage auf seinem mit Säcken hochbeladenen Laster, knüpfte das Fahrrad meines Freundes noch geschickt obendrauf und lud genau so behutsam und getreulich die ganze Fracht in C‘an Pastilla ab. Einen Fuhrlohn schlug er aus — gehn wir einen Cognac trinken! Und so sind sie mehr oder minder alle.

Kopie von: 75 Jahre AMS 18.3. Mallorca
H. U. Wieselmann
Der Original-Artikel ist in Heft 14 im Jahr 1957 erschienen.

Nach einer Woche macht der Körper schlapp

Man muss wohl auch nett zum Nächsten sein auf einer Insel fernab vom Festland, wo dunkle Mächte leicht Gewalt gewinnen mögen über den einzelnen, der im Aberglauben lebt. Wer weiß um die ominösen Wege, auf denen sich der Faden von Ursache zu Wirkung oft schlängelt? Eine Zigeunerin, um Peseten für das verdreckte Kind auf ihrem Arm bittend, ergriff beschwörend den Arm einer Bekannten und drückte mit dem Daumen leicht auf den nackten Unterarm. Die Bekannte wurde braun am ganzen Körper, schon beinahe tiefbraun – aber die Stelle, wo der Daumen der Zigeunerin sich im ersten Augenblick leicht abgezeichnet hatte, ist noch genauso weiß wie bei der Abreise aus Manchester. Die Arme hatte kein Kleingeld bei sich geführt.

Spanien, arm an Bodenschätzen und Industrie, ist angewiesen auf den Export seines hervorragenden Olivenöls. Daher gibt es auf der Insel fast ausschließlich ein scheußlich aussehendes, riechendes und schmeckendes unraffiniertes Olivenöl, dessen Gestank beim Braten aus jedem zweiten Hause dringt. Nur ganz selten und zu einem für die Bevölkerung beinahe unerschwinglichen Preis führen die Läden gutes Olivenöl, wie wir es hierzulande kennen. Auch bessere Hotels sind offenbar zumindest gelegentlich auf die Verwendung dieser schmutzigen Flüssigkeit angewiesen, wenn sie seinen brutalen Geschmack natürlich auch mit scharfen Gewürzen wie Curry und Paprika überdecken. Man sagt mir das, ich bin ein untalentierter Laie auf diesem Gebiet und gebe es mit allem Vorbehalt wieder. Wie dem auch sei: es gibt keine andere Erklärung für die große Katharsis und Seisachthia, die bei den Besuchern der Insel am siebten Tag einzutreten beginnt. Zunächst zeichnen sich nur ganz harmlose Vorboten ab: ein dumpfes Grollen unterhalb der Solar plexus, ein Ziehen dann und Schneiden, rasche, hilfesuchende Blicke in die Umgebung, die Angst, einen Huster tun zu müssen – wohl dem, der dann ein Hotel in der Nähe weiß. Magen und noch tiefer liegende Organe wollen nichts mehr bei sich behalten, man befindet sich von nun an einen oder zwei Tage lang unter Druck.

In diesem Falle trinkt man, Augen und Nasenlöcher zu, kurz hintereinander zwei, drei Palo, süße Schnäpse aus der Frucht des Johannisbrotbaumes, die schon den alten Hebräern vom Himmel fiel. Selbst Hunde, von Natur aus keine Freunde des Alkohols, schlürfen gierig Palo – sie wissen um seine beruhigende Wirkung, und Gras finden sie in Mallorca eh nicht zu fressen. Da kennen sie nix!

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