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Musterfeststellungsklage gegen VW
VW zahlt 620 Mio. Euro Entschädigung

Rund 400.000 Betroffene hatten sich der Klage des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes gegen VW angeschlossen. Nun ist fix: Der Konzern zahlt insgesamt 620 Millionen Euro als Entschädigung.

VW Passat Variant 2.0 TDI, Frontansicht
Foto: Achim Hartmann

Mit dem Stichtag Montag 20.4.2020 hat Volkswagen sich im Rahmen des ausgehandelten Vergleichs mit den Verbraucherschützern auf eine Entschädigung geeinigt. So erhalten die zirka 200.000 Halter von VW-Diesel-Fahrzeugen eine Gesamtsumme von rund 620 Millionen Euro. Nach Mitteilung von VW erhalten ab dem 5. Mai die Anspruchberechtigten Beträge zwischen 1.350 und 6.250 Euro – dafür müssen sie auf künftige Klagen gegen den Autobauer verzichten. Weitere 21.000 Fälle werden noch geprüft, um auch noch weiteren Vergleichsberechtigten die Registrierung zu ermöglichen, wurde die Frist auch zur Nachreichung von Unterlagen auf den 30.4.2020 verlängert.

Unsere Highlights

Mitte Februar war der Vergleich mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbz) zunächst gescheitert. Nach VW-Angaben lag der Abbruch an unbegründeten hohen Forderungen der Prozessanwälte, die pauschal 50 Millionen Euro für die Abwicklung der Vergleiche verlangten. Damit der geplatzte Vergleich nicht zu Lasten der Kunden geht, wollte VW den bereits ausgehandelten Vergleich auch ohne die Unterstützung des vzbv anbieten.

In Folge wurde aber unter der Leitung des Präsidenten des OLG Braunschweig in einer Güteverhandlung weiter über einen Vergleich verhandelt, der schlussendlich Zahlungen von 830 Millionen Euro vor sah.

Wer das Vergleichsangebot annehmen möchte, muss allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

  • Sie müssen ein Fahrzeug mit Dieselmotor des Typs EA 189 gekauft haben.
  • Erwerb des Fahrzeugs muss vor dem 1. Januar 2016 gewesen sein.
  • Zum Zeitpunkt des Erwerbs müssen Sie Ihren Wohnsitz in Deutschland gehabt haben.
  • Sie müssen sich bis zum 29. September 2019 im Klageregister angemeldet haben und dürfen sich nicht abgemeldet haben.
  • Sie dürfen Ihre Ansprüche nicht an Dritte abgetreten haben.
  • Sie dürfen kein vorheriges rechtskräftiges Urteil erstritten oder bereits einen Vergleich abgeschlossen haben.

Um den Vergleich annehmen zu können, müssen Sie das Auto nicht mehr besitzen. Entscheidend ist nur ein dokumentiertes Kaufdatum. Für mögliche Streitfragen oder Beschwerden bei der Abwicklung des Vergleichs wird eine unabhängige Ombudsstelle eingerichtet. Wenn Sie von VW kein Vergleichsangebot bekommen, heißt das nicht zwingend, dass Sien auch keine Ansprüche haben. Hier hilft nur der Gang zum Anwalt.

VW verwendet für die Kommunikation die vom Kunden bei der Eintragung ins Register angegegebenen Adresse. Volkswagen rechnet damit, dass nur rund 262.500 Kläger die genannten Kriterien erfüllen. Wer das Vergleichsangebot anwaltlich prüfen lassen möchte, erhält von VW einen Zuschuss von 190 Euro (netto). Wer das Vergleichsangebot ablehnt, dem bleibt nur der Weg über eine Individual-Klage.

95 Prozent entscheiden sich für den Vergleich

Wie der Nachrichtensender NTV berichtet, dass 95 Prozent aller Vergleichsberechtigten sich bereits im entsprechenden Portal angemeldet hatten. Insgesamt haben somit 250.000 von 262.500 VW-Kunden Interesse an einem Vergleich gezeigt. 210.000 Kunden haben ihre Dokumente (zum Beispiel den Fahrzeugschein) hochgeladen und damit signalisiert, den Vergleich auch annehmen zu wollen.

Der Weg zur Klage

Allgemein betrachtet mag der 1. November 2018 ein ganz normaler Donnerstag gewesen sein. In der deutschen Rechtsprechung war der Tag dagegen geradezu revolutionär. Seither gibt es in Deutschland die Musterfeststellungsklage, eine Art "Sammelklage light". Sie ermöglicht Verbraucherverbänden, die Ansprüche gegen Unternehmen durchzusetzen, ohne dass geschädigte Kunden langwierige und teure Einzelverfahren anstrengen müssen. Am selben Tag wurde direkt die erste Klage beim Oberlandesgericht Braunschweig eingereicht: vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) gegen Volkswagen. In diesem Rahmen werden zehn Fälle aufgearbeitet, um Entschädigungen für alle teilnehmenden VW-Diesel-Fahrer durchzusetzen.

Welche VW-Kunden können sich anschließen?

Die meisten jener VW-Kunden, die ein Auto besitzen oder besessen haben, das vom Dieselskandal betroffen ist. Konkret: Ein VW, Audi, Seat oder Skoda mit Erstzulassung 1. November 2008 oder später, der von einem Selbstzünder mit 1,2, 1,6 oder 2,0 Litern Hubraum aus der EA189-Motorenfamilie angetrieben wird sowie mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgerüstet und vom Pflicht-Rückruf betroffen war. Das sind allein in Deutschland etwa 2,5 Millionen – und damit die mit Abstand meisten – Dieselgate-Autos. Es ist auch unerheblich, ob die angeordneten Soft- und/oder Hardware-Updates bereits durchgeführt wurden. Allerdings können sich nur private Besitzer (50 müssen es mindestens sein) registrieren lassen und als Zeuge vernommen werden – und zwar auch dann, wenn das Auto bereits verkauft oder verschrottet wurde. Gewerbliche Halter, darunter zum Beispiel Handwerksbetriebe, bleiben ebenso außen vor wie Beschenkte und Leasingnehmer.

Was müssen geschädigte VW-Kunden tun, um sich anzuschließen?

Sie müssen sich in ein Klageregister im Internet eintragen, das Ende November vom Bundesamt für Justiz eröffnet wurde (hier der Link zum Formular). Nach jetzigem Stand haben das bereits 400.000 Geschädigte getan. Die Registrierung funktioniert kostenlos, man muss keinen Anwalt beauftragen, und bis zum ersten Verhandlungstag kann man sich auch wieder abmelden, falls man doch nicht mitklagen möchte. Mit Öffnung des Klageregisters geht ein Zeitfenster bis zum Start der Verhandlung auf; danach kann man sich nicht mehr anschließen. Mit ihrer Teilnahme sind geschädigte Verbraucher aber vor der Verjährung ihrer Ansprüche geschützt. Um alles Weitere kümmert sich dann der VZBV in Kooperation mit dem ADAC und der Kanzlei R/U/S/S Litigation; er trägt auch das Prozesskostenrisiko. Kunden, die sich für eine Teilnahme an der Musterfeststellungsklage entscheiden, sind dann allerdings auch an das Urteil gebunden. Also auch für den Fall, dass VZBV, ADAC und R/U/S/S vor Gericht verlieren.

Für welche Geschädigten ist das Verfahren interessant?

Wer bereits mit dem Gedanken spielte, ein individuelles Verfahren gegen VW anzustrengen, hat jetzt eine risikoarme Alternative. Mit einer Einzelklage kommt ein langwieriger und teurer Prozess in Gang, und nicht jeder hat eine Rechtschutzversicherung, die zumindest den Kostenaspekt abfedert. Außerdem verjähren zum 31. Dezember viele Schadenersatzansprüche gegen VW; wer sich der Musterfeststellungsklage anschließt, ist davor geschützt. Allerdings muss man sich entscheiden: Wer beim VZBV-Verfahren mitmacht, kann keine Einzelklage mehr anstrengen. Außerdem gibt es auch geschädigte Dieselfahrer, die nicht von der Musterklage profitieren: Nämlich jene, die einen V6-Diesel von Audi oder Porsche besaßen oder besitzen. Und jene, die ein Dieselmodell beispielsweise von Daimler oder Opel fahren, für das ebenfalls ein Rückruf wegen illegaler Abschalteinrichtungen angeordnet wurde.

Wann und wo findet der Verhandlungstermin statt?

Zuständig für die Musterfeststellungsklage gegen VW ist das Oberlandesgericht Braunschweig, das von heute (30. September 2019, 10 Uhr) an in dieser Sache verhandelt. Aufgrund des erwarteten großen Andrangs findet der Verhandlungsauftakt im Congress Saal der Stadthalle Braunschweig statt. Der VZBV weist darauf hin, dass dieser Termin der letzte Tag war, an dem sich Betroffene in das Klageregister eintragen konnten. Diese Möglichkeit besteht nun also nicht mehr. Geschädigte, die sich registriert haben, können allerdings bis zum Ende des ersten Verhandlungstages wieder abspringen.

Was könnte für VW-Kunden bei dem Verfahren herausspringen?

Zuerst einmal wird darin festgestellt, ob VW Verbraucher vorsätzlich geschädigt hat. Der VZBV will klären, ob diese Kunden ihr Auto gegen Erstattung des vollen Kaufpreises zurückgeben können oder ob VW eine Nutzungsentschädigung abziehen darf. Für den Fall, dass Kunden ihr Auto behalten wollen, soll VW den entstandenen Wertverlust kompensieren – oder eine Entschädigung zahlen, falls sie das Auto bereits verkauft haben. Über allem schwebt zudem die Frage, ob VW obendrein Schadenersatz zahlen muss.

Wird geschädigten Kunden bei erfolgreicher Klage automatisch Schadenersatz zugesprochen?

Nein, Geschädigte haben damit noch kein Geld erstritten, weil es sich – der Name sagt es – um eine Feststellungs- und nicht um eine Leistungsklage handelt. Sollte festgestellt werden, dass VW grundsätzlich Schadenersatz zu zahlen hat, müsste dessen Höhe von jedem Geschädigten einzeln in einem weiteren Prozess erstritten werden. Das Gericht, vor dem dieser Schadenersatz verhandelt wird, ist jedoch an das Feststellungsurteil gebunden. Für geschädigte Kunden wäre es wohl trotzdem besser, wenn sich VW und VZBV auf eine Vergleichssumme einigen, die dann unter jenen Kunden aufgeteilt wird, die sich der Klage angeschlossen haben.

Sind VW-Kunden, die bereits klagen, ausgeschlossen?

Bei deutschen Gerichten sind bereits über 26.000 Einzelverfahren anhängig. Wer bereits klagt, aber noch kein rechtskräftiges Urteil erlangt oder sich mit VW auf einen Vergleich geeinigt hat, kann sich noch der VZBV-Klage anschließen. Das laufende Verfahren wird dann ausgesetzt und der Ausgang der Musterfeststellungsklage abgewartet. Der ist zwar nicht bindend für die Einzelverfahren, dürfte bei deren Urteilsfindung aber berücksichtigt werden.

Wie stehen die Chancen?

Das ist schwer zu prognostizieren, schließlich handelt es sich um eine juristische Premiere auf nationaler Ebene. Naturgemäß schätzen beide Parteien die Chancen völlig unterschiedlich ein. Die Verbraucherschützer sind zuversichtlich, VW dagegen sieht nur geringe Erfolgschancen. Alle Autos seien regulär zugelassen worden, technisch sicher und fahrbereit, sagt der Konzern. So oder so: Sofern sich VW nicht auf einen schnellen Vergleich einlässt, und danach sieht es derzeit aus, wird es lange dauern, bis eine Entscheidung fällt. 2019 soll verhandelt, ein Jahr später geurteilt werden. Egal wie die Entscheidung ausfällt, dürfte die unterlegene Partei danach vor den Bundesgerichtshof ziehen, wodurch eine weitere Verzögerung von zwei bis drei Jahren zu erwarten ist.

Umfrage
Was kann die Musterfeststellungsklage gegen VW bewirken.
731 Mal abgestimmt
Viel. Dank ihr werden Betroffene in Deutschland endlich angemessen entschädigt.Wenig. Auch hier wird sich Volkswagen bestimmt wieder seiner Verantwortung entziehen.

Was ist der Unterschied zu anderen Sammelklagen?

Geschädigte haben noch andere Möglichkeiten, von VW Schadenersatz zu erstreiten, ohne einzeln vor Gericht ziehen und die Prozesskosten tragen zu müssen. Sie können ihre Ansprüche an Rechtsdienstleister wie MyRight, die viele dieser Klagen bündeln, abtreten und diese für sich prozessieren lassen. Vorteil: Hier winkt direkt nach dem Urteil Geld, sei es durch einen Vergleich oder durch einen Sieg vor Gericht. Von der erstrittenen Summe müssen die Kunden dann allerdings 35 Prozent an MyRight abtreten, als Provision sozusagen. Eine weitere juristische Baustelle ist der Musterprozess von VW-Aktionären, in dem geklärt wird, ob der Konzern seine Anleger rechtzeitig über den Abgasskandal informiert hat. Hier gibt es eine Musterklägerin, die Fondsgesellschaft Deka Investment.

Was sind Vor- und Nachteile der einzelnen Klagearten?

Der Vorteil der Musterfeststellungsklage gegenüber dem Abtreten eventueller Ansprüche an Dienstleister, die dann die Klagen bündeln, liegt darin, dass die Musterfeststellungsklage für den Verbraucher kostenlos ist. Die Dienstleister lassen sich hingegen meist mit hohen Provisionen entlohnen, denn sie tragen das Risiko und lassen sich so für ihre Vorleistung entlohnen. Ein großer Nachteil ist, dass der Verbraucher seinen Schadenersatz in einem zweiten Schritt individuell geltend machen muss. Dies stellt eine Hürde dar, die auf erfolgreiche Lobbyarbeit der Industrie zurückzuführen sein könnte.

Welche Idee steht generell hinter der Musterfeststellungsklage?

Verbraucher, die vermeintliche Ansprüche gegen ein Unternehmen durchsetzen wollen, ohne selbst einen Prozess zu führen, können das seit 1. November 2018 mit der neuen Musterfeststellungsklage versuchen. Vor Gericht treten dann stellvertretend für die sich beschwerenden Personen Verbraucherschutzverbände als Kläger auf. Hauptsächlich ist die Musterfeststellungsklage für Fälle gedacht, in denen Verbraucher zwar benachteiligt werden, wo sich aber wegen einer zu niedrigen Schadenssumme eine Klage nicht lohnt. Dies ist beispielsweise bei niedrigen, aber zu Unrecht erhobenen Gebühren der Fall.

Welche Verbände sind klageberechtigt?

Gemäß der neuen gesetzlichen Regelung sind nur bestimmte Verbände klagebefugt. Voraussetzungen sind, dass der entsprechende Verband mindestens 350 Mitglieder hat und schon seit mindestens vier Jahren auf der Liste jener Verbände steht, die Unterlassungsklagen einreichen dürfen. Ein derart befugter Verband muss die Beschwerden von mindestens zehn Bürgern sammeln und ausführlich aufarbeiten – erst dann darf er Klage vor Gericht einreichen. Innerhalb von zwei Monaten müssen sich dann mindestens 50 Verbraucher mit ihrer Beschwerde in einem vom Gericht eingerichteten Klageregister anmelden. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist das Führen einer Musterfeststellungsklage unmöglich. Sollte die Klage möglich und erfolgreich sein, könnte der Beklagte zu Schadensersatz verurteilt werden. Auch könnten ein Schaden und dessen Verursacher festgestellt werden, was dem Verbraucher die Möglichkeit gibt, in einem gesonderten Verfahren seine Ansprüche vereinfacht durchzusetzen.

Wo liegt der Unterschied zu US-Sammelklagen?

Mit dem Sammelklagewesen in den USA ist die deutsche Musterfeststellungsklage nicht vergleichbar, zumal deutsche Richter bisher dem hierzulande eher selten eingesetzten Rechtsmittel "Sammelklage" oft skeptisch gegenüber standen. In den USA sind horrende Schadenersatz-Zahlungen auch als Strafe gedacht, während in Deutschland ausschließlich ein nachweisbarer Schaden ausgeglichen werden soll.

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