MISSING :: structure.inactiveTabOverlay
{"irCurrentContainer":"8913944","configName":"structure.inactiveTabOverlay"}

Mobilität von Morgen
Neue Alternativen und stärkere Verzahnung

Jetzt beginnt eine neue Ära: Die verschiedenen Verkehrsträger verzahnen sich immer stärker miteinander. Die Mobilität bleibt zwar individuell, wird aber mit neuen Alternativen bunter, vielfältiger – und künftig durchs autonome Fahren beeinflusst.

Zukunft, Fahren
Foto: Rinspeed

Die schöne neue Welt der Mobilität setzt sich häufig mit einer Zahlenflut in Szene, die so aufrüttelnd wie verwirrend, so besorgniserregend wie hoffnungsvoll stimmen kann. Dass die Deutsche Bahn mehr Schafe (nämlich 600) als Elektroautos in der Flinkster-Flotte (560) hat, mag nach der letzten Streikwelle zumindest Schmunzeln auslösen. Dass in Japan bis 2050 nahezu 100 Prozent der Bevölkerung in Städten leben (Deutschland statt jetzt 75 dann 83 Prozent) zeigt dagegen dramatisch auf, wie stark die Urbanisierung voranschreitet. Wer in Deutschlands Staustadt Nummer eins – Stuttgart mit 60 Stunden Stau pro Jahr und Einwohner – lebt, der hat gerade in den letzten Monaten begriffen: Es wird verdammt eng im städtischen Umfeld. Unvorstellbar, dass die Menschen in Brüssel mit 83 Stunden pro Jahr im Stau noch mehr Geduld aufbringen müssen.

Fahrrad-Highway in Köln geplant

Kaum verwunderlich also, dass der Radverkehr beispielsweise in München zwischen 2002 und 2012 um 70 Prozent angestiegen ist, in Köln in den letzten fünf Jahren um 25 Prozent. Ein Fahrrad-Highway soll dort über acht Kilometer Länge dafür sorgen, dass die Fahrtzeit per pedes zwischen der Dom-Metropole und dem nahe gelegenen Frechen von rund 42 auf 22 Minuten schrumpft – vor allem für Studenten eine große Chance, finanzierbaren Mietwohnungen außerhalb der City schneller näher zu kommen. Ach ja – in Oslo sorgen die dort mittlerweile 27.500 zugelassenen Elektroautos mit ihren Privilegien übrigens für Ärger: Sie dürfen die Busspur benutzen und verursachen in ihrer Vielzahl dort mittlerweile Stau.

Die deutsche Politik hat ähnliche Privilegien bislang abgelehnt. Von stockendem Verkehr wegen vieler E-Autos sind wir weit entfernt: Vom BMW i3 sind hierzulande zwischen Januar und September gerade einmal 1.871 Autos verkauft worden – trotz einer riesigen Werbekampagne. Weltweit konnten knapp 13.000 Einheiten von dem Carbon-Auto abgesetzt werden, mit dem i8 werden es 2014 rund 20.000 i-Exemplare. Das reicht noch lange nicht, um die CO2-Ziele bis 2021 zu erreichen. BMW-Chef Norbert Reithofer strebt bis zum Ende des Jahrzehnts einen Absatz von 100.000 i-Autos an. Andernfalls drohen horrende Strafsteuern und – schlimmer noch – der imageschädigende Ruf eines Klimasünders.

Herausforderungen sind gigantisch

Keine Frage: Automobilindustrie, Städteplaner, Software-Riesen und Verkehrsmanager stehen vor gigantischen Herausforderungen, denen sie sich mit äußerst hohem Tempo stellen müssen. VW-Chef Martin Winterkorn auf dem Autogipfel des "Handelsblatts": "Als ich vor sieben Jahren als Vorstandsvorsitzender zu VW gekommen bin, da gab es keine CO2-Grenzwerte, keine nennenswerte Anzahl an Elektroautos und keine Integration des Smartphones ins Auto. Es gab ja damals praktisch gar keine Smartphones."

Nach dem Smartphone wird sich laut Einschätzungen von Roland Berger die Shared Mobility, die geteilte Mobilität, in ähnlicher Geschwindigkeit weiterentwickeln. Heute macht sie gerade einmal ein Prozent am Nahverkehr aus, bis 2025 geht die Beratungsfirma von zehn Prozent aus. Alle 200 Meter wird es in den Innenstädten einen Punkt geben, wo man sich ein "Shared Vehicle" entnehmen kann, egal ob Roller, E-Bike, Fahrrad, ein Car2go oder Drive Now oder wie sie bis dahin alle so heißen mögen. Frankreich macht es heute schon vor: Vélib, ein öffentliches Verleihsystem, das sich aus den Kunstwörtern Fahrrad und Freiheit zusammensetzt, hat in Paris über 20.000 Räder an 1.200 Stationen – die einzelnen Stützpunkte sind gerade einmal 300 Meter voneinander entfernt.

Das alternative Projekt zum privaten Autobesitz muss auf jeden Fall aus den Kinderschuhen heraus. Aktuell beanspruchen schließlich auch diese Konzepte viel Platz in der Stadt: Ein privater Pkw wird derzeit pro Tag 43 Minuten bewegt, ein Carsharing-Auto mit 62 Minuten gar nicht mal so viel mehr. Ungeschlagen bleiben Taxi (227 Minuten) und der öffentliche Bus, der 630 Minuten auf den Rädern ist. Er leistet damit einen Vollzeitjob ab.

Mobilität ist ein regionales Geschäft: In Deutschland gibt es im Schnitt in 82 Prozent der Haushalte einen Pkw. In Kleinstädten liegt die Rate bei etwa 90, in Großstädten bei 62 Prozent. Auch die Unterschiede zwischen Jung und Alt werden immer größer: Nehmen wir laut Shell-Studie die Gruppe der sogenannten "hochmotorisierten Männer" zwischen 50 bis 54 Jahre: Auf 1.000 Einwohner kommen hier 1.049 Autos. Ganz anders sieht es bei den 21- bis 24-Jährigen aus – hier sind es gerade einmal 192 Pkws. Stetig wächst die Anzahl der Frauen, die selbst ein Auto besitzen.

Welche Rolle spielt autonomes Fahren?

Die neue Mobilität wird auch stark durch das immer stärker vernetzte und künftig autonom fahrende Auto beeinflusst. "Ich glaube, dass das Auto vor so einem radikalen Wandel steht, wie ihn einst die mechanische Schreibmaschine zum Textverarbeitungsprogramm vollzogen hat", formuliert Gernot Spiegelburg, bei Siemens Vice President Elektromobilität seine These, die natürlich auch die deutsche Autoindustrie nicht unberührt lässt: "Der Wandel in der Automobilwelt steht noch ganz am Anfang. Wir werden davon nicht überrollt werden, wir können ihn selbst gestalten. Der Wettlauf um die Mobilität der Zukunft wird aber knallhart sein", bestätigt auch VW-Boss Winterkorn, der es mit neuen Playern wie Google und Apple aufnehmen muss, deren Börsenwert um ein Vielfaches über dem von Daimler, BMW und VW liegt.

Keine leichte Aufgabe für die deutschen Schwergewichte, die sich im Gegensatz zu den Software-Giganten eben auch noch mit der Einhaltung strenger CO2-Grenzwerte auseinandersetzen müssen, die Milliarden verschlingen. Die Shared Mobility ist dabei Fluch und Segen in einem: Speziell BMW erhofft sich, über seine Drive-Now-Flotte Menschen in seine Autos hineinzubringen, die sonst nicht unbedingt BMW gefahren wären. Aber ein Carsharing-Auto ersetzt zwischen fünf bis acht Privat-Pkws – der Absatz könnte sinken. Und wenn es stimmt, was der ehemalige Google-Entwicklungschef Sebastian Thrun sagt, nämlich, dass "automobiler Fortschritt vor allem durch moderne Software bestimmt wird", dann stellt sich die Frage, wie künftig das Image der Marke aufrechterhalten werden kann.

Visionen von Google

Mercedes versucht sich seit Jahren durch die Visionen des unfallfreien Fahrens positiv zu positionieren: "Das autonome Fahren ist bei uns fast ein Abfallprodukt des unfallfreien Fahrens", erläutert Daimler-Chef Dieter Zetsche, der jährlich 400 Millionen Euro in die Erforschung dieser Technologie investiert und in Google zunächst einmal "einen Partner" sieht, bevor er darin eine Bedrohung entdeckt. Eines ist klar: Der Internet-Gigant dürfte trotz seiner Experimente mit dem Google-Auto kein Interesse haben, selbst Autos zu bauen. Die Gewinnmarge ist im Vergleich zu den klassischen Google-Geschäftsfeldern viel zu gering. Aber Google will wissen, was die Menschen im Auto machen, und sicherstellen, dass die Zeit möglichst intensiv zur Internet-Nutzung genutzt wird. Damit lässt sich Geld verdienen.

Was bringt das autonome Fahren, um die Verkehrsprobleme der Zukunft zu lösen? Viel, denn dann könnte Schluss sein mit stundenlanger Parkplatzsuche – 30 Prozent des Innenstadtverkehrs entfallen allein darauf. Über eine entsprechende App kann der Parkraum schon von zu Hause aus reserviert werden, oder der Pilot verlässt sein Auto, das sich dann selbst die Lücke suchen kann.

Die Google-Vision vom autonomen Fahren ist die einer rollenden Kugel ohne Lenkrad. Der Fahrer kann nicht eingreifen. Eine Vision, mit der sich die Autobauer schwertun, weil Faktoren wie Fahrspaß dann außen vor bleiben. Und reagieren die Systeme zuverlässiger als wir selbst? Tatsache ist aber, dass neun von zehn Unfällen aufgrund von menschlichem Versagen entstehen. Das sieht auch Volvo-Chef Hakan Samuelsson so, der über das autonome Fahren dafür Sorge tragen möchte, dass "ab 2020 niemand mehr in einem Volvo getötet werden soll". 2017 startet in Göteborg ein Feldversuch mit 100 Volvo, die dann wie von Geisterhand fahren werden.

Auto wird zum Roboter

Getestet wird bereits kräftig: In den USA ist in sechs Bundesstaaten, darunter Kalifornien, Florida und Nevada, der Versuchsbetrieb auf öffentlichen Straßen genehmigt. "Hier in Deutschland reden wir noch über das autonome Fahren, in den USA testen wir bereits", kritisiert Dieter Zetsche die Politik, die angesichts der neuen Herausforderungen viel zu phlegmatisch reagiert. Und Zetsche fordert zu Recht eine "ethische Diskussion" über die Schuldfragen im Falle eines Falles: "Eine S-Klasse übernimmt bis auf Weiteres keine Punkte in Flensburg."

Woran wir uns gewöhnen müssen: Autos sind auf dem Wege, vollständig zu Robotern zu mutieren, die uns viele Aufgaben abnehmen, weil sie es besser können als wir. Wie überhaupt die Roboter in fast alle Teile unseres Alltags einziehen. Ein berühmter Vertreter, der uns ja durchaus sympathisch ist: das Smartphone. An der Uni Hannover arbeiten Studenten aber zum Beispiel an einem Roboterarm, der alten Menschen künftig beim Zähneputzen assistiert. Das Auto ist also nur ein Teil dieses Trends. Kein Wunder, dass Google gerade viele Roboter-Firmen aufkauft. Können wir dabei in jeder Lebenslage 100-prozentige Sicherheit erwarten? "Die gibt es im Leben nur bei zwei Dingen: dem Steuerbescheid und dem Tod", philosophiert Rinspeed-CEO Frank M. Rinderknecht, der sich intensiv mit der Erforschung des autonomen Fahrens beschäftigt. Für Gernot Spiegelberg von Siemens steht fest: "Die Robotik wird der Mobilitätspartner der Zukunft."

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten