Mit einer kurzen Unterbrechung führen Sie bereits seit 20 Jahren Lamborghini. Wie hat sich das Unternehmen in dieser Zeit verändert?
Zunächst einmal haben wir von Beginn an eine klare Strategie gehabt. Dazu zählte auch, über eine Dekade hinweg die gleiche Botschaft herauszuschicken: Extrem, kompromisslos und italienisch. Das mag aus heutiger Sicht schwarz-weiß anmuten, war damals aber notwendig, denn es war nicht klar, wofür die Marke eigentlich steht. Dann haben wir auch die Farben des Markenauftrittes verändert, weg von viel Gelb zu Schwarz und dann Schwarz-Weiß. Zusätzlich haben wir mit der Derivatisierung von Gallardo und Murcielago begonnen, da wir vorerst keine neuen Modelle bringen konnten. Dabei haben wir viel Erfahrung sammeln können, weshalb das Thema dann beim Huracan und Aventador perfektioniert werden konnte.
Welche Rolle haben die Kleinstserien bei der Markenschärfung gespielt?
Die Kleinstserien waren sehr wichtig, um den Designern und Ingenieuren mehr Freiheiten zu geben, mehr auszuprobieren und auch die Akzeptanz in den höheren Preissegmenten zu testen. Parallel dazu nahm auch die Individualisierung mehr Raum ein, mehr Kundenevents zu machen, eine Gemeinschaft Gleichgesinnter zu schaffen. Außerdem erschien es unumgänglich, in den Motorsport einzusteigen, wenngleich 2009 wegen der Wirtschaftskrise ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt war. Doch der Markenpokal war ein Magnet für Fans und Kunden. Und nicht zu vergessen: das GT3-Engagement!
Zum Motorsport kommen wir gleich noch. Die Belegschaft hat sich in diesen 20 Jahren verfünffacht, die Jahresproduktion verzehnfacht. Wo ist das Limit?
Ja, bei Lamborghini arbeiten rund 3.000 Menschen, die Jahresproduktion liegt aktuell bei etwa 10.000 Fahrzeugen. Mit der Erneuerung der gesamten Produktpalette und deren Hybridisierung haben wir ein Niveau erreicht, das wir nun erst einmal halten, ohne große Sprünge zu machen. Der nächste große Schritt wäre dann das vierte Modell. Zuvor kommen wieder einige Derivate und Kleinstserien, die uns in den nächsten drei bis vier Jahren sehr in Anspruch nehmen werden.
Um die vierte Baureihe, die sich vom 2023 vorgestellten Studie Lanzador ableitet, einem Elektro-GT, ist es ruhig geworden. Mussten Sie das Konzept aufgrund der aktuellen Marktlage noch einmal überdenken?
Vor ein paar Jahren hatten wir eine Prognose hinsichtlich der Akzeptanz der Elektrifizierung. Diese Kurve hat sich in der gesamten Industrie abgeflacht. Aufgrund dessen haben wir zunächst einmal die Entscheidung getroffen, dass der Nachfolger des Urus keinen reinen Elektroantrieb, sondern einen Plug-in-Hybrid haben wird, da wir mit der Entwicklung beginnen mussten. Der Lanzador kommt als GT, wobei wir noch festlegen müssen, ob das eher ein Crossover wird oder ein Fahrzeug mit flacher Silhouette. Ich denke, dass Letzteres der Fall sein wird.
Und welchen Antrieb wird er final bekommen?
Innerhalb der nächsten sechs bis neun Monate müssen wir entscheiden, ob es bei der Idee eines E-Antriebs bleibt oder ob der Lanzador (siehe Fotoshow über dem Artikel) doch einen Plug-in-Hybrid bekommt. Aus heutiger Sicht müsste es klar ein PHEV sein. Aber was passiert 2030 oder 2035? Wenn das Auto 2030 auf den Markt kommt, muss es ja einen Lebenszyklus überstehen. Dadurch, dass unsere Modellpalette mit Temerario und Revuelto nun neu ist, drängt die Zeit glücklicherweise nicht so sehr.
Wie sieht die Verbrenner-Perspektive bei Lamborghini aus?
Bei den Supersportwagen wollen wir so lange wie möglich an den Verbrennern festhalten. Bei den anderen müssen wir sehen. Es nützt jedoch nichts, eine Innovation zu bringen, die dann keiner haben will – es sei denn, der Gesetzgeber fordert sie. Und im Gegensatz zu großen Herstellern können wir nicht regionalspezifische Produkte entwickeln. Jeder Lamborghini muss für die gesamte Welt passen.
Das Durchschnittsalter ihrer Kunden liegt bei unter 40 Jahren. Registrieren Sie selbst von denen kein gesteigertes Interesse an einem Elektro-Lamborghini?
Auch dieser Kundschaft geht es nicht alleine um Performance, sondern vor allem um Emotionen. Dass sich die reine Beschleunigung mit einem E-Antrieb besser darstellen lässt, ist inzwischen bekannt. Darum geht es aber nicht. Es geht um Handling und Emotionen. So ein Auto kauft man nicht, weil man es braucht, sondern weil man sich einen Traum erfüllt. Daran hat sich nichts geändert. Ob sich das ändert? Das wissen wir einfach nicht.
Wie bewerten Sie rückblickend den Ausflug in den Langstrecken-Motorsport mit LMDh-Prototypen?
Das war für uns eine große Herausforderung. Wir haben geglaubt, dass sich das von den Kosten her gut kalkulieren lässt, dass wir eine gute Sichtbarkeit weltweit erreichen und dass das vom Antriebskonzept mit Achtzylinder-Motor und Hybridisierung her gut auf unsere Marke einzahlt. Doch das Reglement änderte sich schneller, als es uns lieb war. Mit unserer kleinen Motorsport-Abteilung war das nicht zu stemmen, deshalb sind wir aus der WEC ausgestiegen. Wir können da mit den großen Herstellern, die eine große Motorsport-Abteilung haben, nicht mithalten. Und die kleinen Hersteller, die eine große Motorsport-Abteilung haben, fahren auch in der Formel 1. Da sind wir weder Fisch noch Fleisch. Also haben wir uns entschieden, so zu bleiben, wie wir sind. Klar ist: Der Markenpokal und das GT3-Engagement sind gesetzt.
Vita
Stephan Winkelmann wurde am 18. Oktober 1964 in Berlin geboren und wuchs in Rom auf. Er studierte dort Politikwissenschaften und schloss sein Studium in München ab. 1991 startete er seine berufliche Laufbahn bei einem deutschen Finanzdienstleister, um schließlich in die Automobilbranche einzusteigen: zuerst bei Mercedes-Benz, anschließend von 1994 bis Ende 2004 bei Fiat Auto und schließlich als CEO von Fiat Auto Österreich, Schweiz und Deutschland. Bereits von 2005 bis 2016 war Winkelmann Vorsitzender der Automobili Lamborghini S.p.A. Im März 2016 wurde er zum CEO der Quattro GmbH (heute Audi Sport GmbH) ernannt und wechselte anschließend Anfang 2018 als Vorsitzender zur Bugatti Automobiles S.A.S. Am 1. Dezember 2020 kehrte Winkelmann als Präsident und CEO zu Lamborghini zurück. Noch bis Oktober 2021 war er in Personalunion Präsident von Bugatti.