Wenn der neue Präsident seine Ansagen wahrmacht, kann uns das noch in schwerere Gewässer führen. Wir sind in der Automobilindustrie schon in einer schwierigen Situation mit Blick auf den chinesischen Markt. Wenn jetzt auch der amerikanische Markt schwieriger wird, die Einfuhrzölle hochgehen, dann gerät unsere Automobilindustrie weiter unter Druck. Das sehe ich mit großer Sorge. An mehr Protektionismus haben wir als Exportregion kein Interesse. Da müssen wir mit dem gesamten Gewicht der Europäischen Union und mit einer Zunge dagegenhalten.
Sie ist schwer herausgefordert. Der ganze Automobilsektor ist ja eine unserer Kernbranchen und einer unserer ganz zentralen Innovationsmotoren, die Automobilfirmen mit ihren 1.000 Zulieferern, unter denen auch große Unternehmen sind wie ZF, Bosch oder Mahle, aber auch viele tausend Mittelständler. Die kommen derzeit alle dadurch in eine schwierige Situation, dass die Nachfrage nach E- und Verbrenner Autos nachgelassen hat.
Die Idee ist aus den Diesel-Gipfeln der Kanzlerin entstanden. Die hatten den Charakter, sich immer nur dann zu treffen, wenn es ein Problem gibt. Aber es kann ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein, immer erst zu reagieren, wenn ein Problem da ist. Deshalb wollten wir ein Format finden, in dem wir sichten, was auf uns zukommt, um vor die Lage zu kommen und vorsorgend zu handeln. Das hat sich sehr bewährt, etwa bei der Ladeinfrastruktur. Als die anderen das noch planten, waren wir im Land damit schon fertig: kein Ladepunkt weiter als 10 Kilometer! Es freut mich deshalb, dass auch die EU-Kommission jetzt Interesse an diesem Format zeigt und Baden-Württemberg dafür als Blaupause dient.
Technologieoffenheit ist wichtig, kann aber nicht Technologiebeliebigkeit bedeuten. Die Hersteller haben sich darauf festgelegt, dass der batterieelektrische Antrieb sich im Pkw-Bereich durchsetzen wird. Daraufhin haben wir damit begonnen, eine Ladeinfrastruktur aufzubauen, sonst hätten wir ein Henne-Ei-Problem gehabt.
Dass sich die Konzerne Gedanken machen und auch ihre Strategien modifizieren, kann man ihnen erstmal nicht verübeln. Viele deutsche Hersteller geraten jetzt in eine Problemzone, weil der Markt in China ins Stocken geraten ist. Auch die Kampagne, die die Union gegen das Verbrenner-Aus losgetreten hat, hatte schwere Kollateralschäden. Seit einem Jahrzehnt haben wir eine klare Strategie und sehen riesige Investitionen der Industrie in die E-Mobilität. Wenn man das dann wieder technisch in Frage stellt, kommen wieder alle Gegner der Elektromobilität aus ihren Löchern und dominieren sofort diese sehr deutsche Debatte mit wenig belastbaren und längst widerlegten Argumenten (In der Bildergalerie finden Sie Argumente für die Antriebsdebatte aus einem Vortrag von Prof. Maximilian Fichtner beim ams-Kongress 2021). Das führt zu Zurückhaltung, ebenso wie die Ankündigung von Kaufprämien, die viele abwarten lässt. Der Elektromotor ist vor allem beim Wirkungsgrad und beim Drehmoment technologisch unschlagbar. Und der Wachstumsmarkt ist klar bei E-Autos zu erwarten.
Wenn man das Geld dafür hat, ist dagegen nichts einzuwenden. In Zeiten knapper Kassen gibt es aber sicher bessere Möglichkeiten. Jedenfalls darf man sie nur in Aussicht stellen, wenn sie dann auch kommen. Und wenn sie kommen, dann brauchen wir einen langen Atem, damit die Marktsignale nachhaltig sind.
Auf jeden Fall. Ein anderer Vorschlag ist, an die Ladeinfrastruktur zu gehen, beispielsweise den Ladestrom nachhaltig zu subventionieren, über 10 Jahre. Oder bessere steuerliche Abschreibungen zu ermöglichen.
Das hat in der EU erstmal keine Chance. Die Kommissionspräsidentin und ihre zuständigen Kommissare haben sich deutlich dagegen positioniert. Ich mache mich aber für das Vorziehen des Review-Termins stark. Es ist jetzt schon erkennbar, dass der Rahmen für den Hochlauf der Elektromobilität, nämlich die Ladeinfrastruktur, in der EU schlicht nicht da ist. Dafür muss die EU jetzt schon Maßnahmen aufsetzen. Wenn es zu Strafzahlungen käme, würde ich dafür plädieren, dass dieses Geld im Automobilsektor bleibt. Das heißt, dass es zweckgebunden etwa für die europäische Ladeinfrastruktur eingesetzt wird oder in Zukunftstechnologien investiert wird, sodass alle etwas davon haben, dass es also nicht in den allgemeinen Haushalt fließt.
Damit habe ich Schwierigkeiten. Ich finde, so eine Strategie geht für VW, also Volks-Wagen, einfach nicht. Auch Wirtschaftspolitik hat immer eine soziale Seite und die soziale Marktwirtschaft gehört zum Gründungsmythos dieser Republik und bedeutet Wohlstand für alle! Wir müssen schon auch noch Autos für alle produzieren, das muss eine Ambition des größten Autokonzerns der Welt sein.
Wir als Innovationsland dürfen so etwas nicht aus der Hand geben. Kein Mensch wäre bei Verbrennern darauf gekommen, zu sagen: Den Motor machen jetzt mal andere und wir machen sonst irgendeinen Schnickschnack. Die Batterie ist der Kern des Elektrofahrzeuges, auf dessen Fertigung kann man nicht ernsthaft verzichten. Wir müssen es hinbekommen, bessere, andere und spezifische Batterien zu bauen. Das wird so vielgestaltig wie bei Verbrennungsmotoren werden.
Das glaube ich nicht. Überlegen Sie mal, was ein Auto und Kraftstoff in den fünfziger, sechziger oder siebziger Jahren verglichen mit dem Durchschnittseinkommen gekostet haben. Natürlich müssen Autos bezahlbar sein. Aber dass man sie zu Schleuderpreisen bekommt, war noch nie so. Tata wollte einmal das billigste Auto der Welt produzieren. Aber wer hat es gekauft? Niemand. Das zeigt: Die Leute wollen ein gutes, erschwingliches Auto. Aber zu sagen, Autos müssen grundsätzlich billig sein, ist genauso falsch wie zu sagen, Lebensmittel müssen billig sein. Sie müssen preiswert, also ihren Preis wert sein.
Genug gibt es nie. Aber die Hersteller haben überwiegend ihre Hausaufgaben gemacht und zwar gut, da kann ich mich nicht beschweren. Eine andere Frage ist die IT. Wir haben hier nun mal nicht die großen Player, abgesehen von SAP. Es ist schwer, da aufzuholen. Zumal die anderen ja auch immer schneller werden.
Es wird kein Worst-Case-Szenario geben.
Es werden derzeit Stellen abgebaut. Aber ich glaube nicht, dass es einen Niedergang der Automobilindustrie geben wird.
Deswegen ist wichtig, dass man im Herstellerland einfach mal mit der weit verbreiteten Bedenkenträgerei aufhört. Wir müssen selbst davon überzeugt sein, dass das tolle Fahrzeuge sind und nicht immer mit Reichweitenangst und allem möglichen Zeug daherkommen. Schneller und besser als in Baden-Württemberg kann man die Ladeinfrastruktur doch gar nicht machen. Wer kauft Produkte aus einem Land, dessen eigene Bevölkerung dagegen skeptisch ist? Wie soll das funktionieren?
So günstig wird es bei uns nicht. Aber dass der Energiepreis eine große Rolle spielt, sieht man ja schon daran, dass Leute 20 Kilometer fahren, weil der Sprit an einer Tankstelle zwei Cent günstiger ist.
Wenn ich jetzt die Bahn nehme: Das sind solche dramatischen Versäumnisse über Jahrzehnte. Das können sie nicht einfach von heute auf morgen abstellen. Verkehrsminister Wissing hatte die gute Idee, wichtige Korridore wie die Riedbahn von Frankfurt nach Mannheim auf einen Schlag zu sanieren. Das hat er wirklich super hinbekommen. Trotzdem: Aufwand und Geschwindigkeit sind hart begrenzt. In unserem Bundesland sehe ich, dass attraktive Regiobuslinien richtig voll sind. Schnellradwege führen zum Umsteigen aufs Fahrrad. Den Verkehr klimafreundlich zu machen, funktioniert im Kern hauptsächlich über die Elektrifizierung von Individual- und Lkw-Verkehr und nicht durch einen noch so ambitionierten Ausbau von ÖPNV und Schienenwegen, denn das ist mit Blick auf Kapazitäten, Zeit und Kosten keine realistische Option.
Wir müssen massiv entbürokratisieren. Ein Positivbeispiel: Die Transformatoren für Schnellladestationen werden nach unserer novellierten Landesbauordnung genehmigungsfrei gestellt. Das ist eine kleine Maßnahme mit enormer Wirkung.
Das Gespräch führten Birgit Priemer und Michael Pfeiffer
Vita

Winfried Kretschmann (Mitte), mit Birgit Priemer und Michael Pfeiffer, ist seit 2011 Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Winfried Kretschmann wurde am 17. Mai 1948 in Spaichingen geboren. Er wuchs in einem liberalen, katholischen Elternhaus auf, in dem frei gedacht und gestritten und zugleich der ganze Reichtum des Kirchenjahres gelebt wurde. Vom Dorf auf der Schwäbischen Alb ging es dann aufs Gymnasium in Oberschwaben.
Nach dem Abitur leistete Winfried Kretschmann seinen Grundwehrdienst ab und studierte anschließend an der Universität Hohenheim Biologie und Chemie für das Lehramt an Gymnasien. Nach dem zweiten Staatsexamen 1977 unterrichtete er als Lehrer in Stuttgart, Esslingen, Mengen und Bad Schussenried.
Seit Studententagen politisch aktiv gründete Kretschmann 1979 mit anderen die Grünen in Baden-Württemberg. Ein Jahr später wurde Winfried Kretschmann Mitglied der ersten grünen Fraktion im baden-württembergischen Landtag. Der hessische Umweltminister Joschka Fischer holte ihn 1986 als Grundsatzreferent ins erste grüne Umweltministerium. Nach zwei Jahren in Wiesbaden kehrte er 1988 in den baden-württembergischen Landtag zurück, dem er seither mit einer Unterbrechung angehört. 2002 wurde Kretschmann zum Fraktionsvorsitzenden seiner Partei gewählt und blieb dies bis 2011.
Mit 95 von 152 Stimmen wählte der Landtag Winfried Kretschmann am 12. Mai 2021 zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Davor war Kretschmann am 12. Mai 2011 und 12. Mai 2016 zum Regierungschef gewählt worden.
Von November 2012 bis Oktober 2013 war Winfried Kretschmann Präsident des Bundesrates. Von Oktober 2013 bis September 2014 war er Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz.
Kretschmann ist seit 1975 mit seiner Frau Gerlinde verheiratet. Gemeinsam haben sie drei erwachsene Kinder. Am besten zur Ruhe kommt der Hobby-Handwerker bei Arbeiten an seinem Haus und im Garten oder beim Wandern auf der Schwäbischen Alb.