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Seat-Chef Luca de Meo im Interview
„Was wir derzeit machen, ist Mickey-Mouse-Level“

Inhalt von
Interview

Der Seat-Chef spricht darüber, welche Mobilitätskonzepte er für sinnvoll hält, wie sich die Rolle der Marke im VW-Konzern wandelt, wie es um den Kulturwandel in der Autoindustrie bestellt ist und was sie von Fluglinien lernen kann.

02/2019, Seat-CEO Luca de Meo
Foto: Seat

Zur Person: Der Italiener Luca de Meo (51) arbeitet seit gut 25 Jahren in der Automobilbranche. Nach Stationen bei Renault, Toyota und im Fiat-Konzern wechselte er 2009 zu Volkswagen. Dort war er zuerst Marketingchef, bevor er drei Jahre später als Vorstand für Marketing und Vertrieb zu Audi ging. Seit 1. November 2015 ist er Vorstandsvorsitzender bei Seat und sitzt gleichzeitig im Aufsichtsrat von Ducati und Lamborghini.

Unsere Highlights

Herr de Meo, der Seat Minimó feierte beim Mobile World Congress Weltpremiere und wird auch auf dem Genfer Autosalon gezeigt. Wann werden wir das Fahrzeug denn auf der Straße sehen?

Wenn wir das morgen entscheiden würden, dann brauchen wir vielleicht zwei oder drei Jahre, um das Auto auf den Markt zu bringen. Ein gutes Zeichen ist, dass mir diese Frage gerade viele Menschen stellen. Die Leute warten regelrecht darauf, dass wir es auf den Markt bringen. Tatsächlich ist das ein erster Versuch von uns, mit dem wir prüfen wollen, wie dieses Konzept ankommt. Und die Leute scheinen es für sinnvoll zu erachten. Nicht nur die Medien, sondern auch die Kunden und vor allem die Mobilitäts- und Carsharing-Plattformen. Das bestätigt uns in dem, was wir uns vor einem halben bis einem Jahr vorgenommen haben, als wir und dieses Konzept ausgedacht haben.

Mobilitätsplattformen wie Carsharing-Anbieter müssen besonders auf niedrige Kosten achten. Sie sprechen davon, beim Minimó sowohl die Produktions- als auch die Unterhaltskosten um 50 Prozent zu senken. Wie soll das gehen?

Zuerst muss man verstehen, dass die Kostenkalkulation hier anders funktioniert. Man muss sie in Relation setzen zu anderen Elektroautos, die heute für Mobilitätsplattformen genutzt werden. Im Vergleich zu denen können wir die Kosten halbieren. Aber es geht gar nicht so sehr um den 50-Prozent-Wert. Hier geht es um die Kosten pro Kilometer. Sie liegen mit diesem Auto auf dem Niveau des öffentlichen Nahverkehrs. An diesem Punkt bekommt man individuelle Mobilität zum Preis des ÖPNV. Wenn wir das hinbekommen, dann wird das Ganze durch die Decke gehen. Und wir wissen, dass wir das hinbekommen.

Welche Rolle spielt die austauschbare Batterie in der Rechnung?

Eine große. Es gibt bei Mobilitätsplattformen drei Kostenblöcke. Erstens: Parkgebühren. Zweitens: Personalkosten. Denn es werden heute noch Menschen benötigt, die die Autos von rechts nach links oder zur Ladestation fahren – wo sie übrigens stundenlang Strom tanken müssen und in dieser Zeit kein Geld verdienen. Und drittens: Die reinen Produktionskosten müssen sich amortisieren. Wenn also die Materialkosten nur halb so hoch sind wie bei einem normalen Auto, weil es nicht dessen Leistungsfähigkeit und Funktionalität hat, weil es auf das Minium reduziert ist, dann können wir wirklich kostengünstige Mobilität anbieten.

Sie werden oft auf die Ähnlichkeit zum Renault Twizy angesprochen. Was denken Sie darüber?

Natürlich ist die Form ähnlich, schließlich ist der Twizy bisher das einzige erhältliche Konzept dieser Art. Aber die Gemeinsamkeiten zwischen dem Minimó und beispielsweise dem Twizy beschränken sich in Wahrheit auf die vier Räder, den Elektroantrieb und die 1+1-Sitzanordnung hintereinander. Aber dann sind unsere Seiten geschlossen, die Batterie ist austauschbar, das Auto hat 5G-Konnektivität und man sitzt ungefähr so hoch wie im Seat Arona, also auf SUV-Level. Somit ist es ein anderes Paket. Und nicht zu vergessen: Der Minimó ist für das autonome Fahren vorbereitet.

Seat wird im Konzern die Führungsrolle im Bereich Mikromobilität übernehmen. Wie genau wird diese Rolle ausgestaltet?

In der Volkswagen-Gruppe gibt es eine große Markenvielfalt. Deshalb ergibt es Sinn, jedem eine eigene Aufgabe zu geben, sodass sich jede Marke fokussieren kann. Wir haben uns entschieden, diesen Part zu übernehmen. Wir werden uns auf Ideen konzentrieren, die Mobilität über kurze Distanzen bis hin zu fünf, sechs Kilometern abdeckt. Diese machen den überwiegenden Anteil der Mobilität innerhalb der Städte aus. Andere Ideen wie unser elektrische Tretroller eXS powered by Segway, den wir im letzten Jahr vorgestellt haben und der nun auf den deutschen Markt kommt, zielen in diese Richtung. Danach kann jeder in der Gruppe seine Vorteile aus den Dingen ziehen, die wir erdacht und entwickelt haben. Wir können ja auch jederzeit auf alle Technologien des Volkswagen-Konzerns zurückgreifen. Seien es Infotainmentsysteme, Plattformen oder Komponenten. Ich denke, so haben wir eine Chance, uns auf diesem VW-internen Markt zu platzieren.

Haben wir es hier mit einem konzerninternen Open-Source-Konzept zu tun?

Exakt. Unser Digitalchef Fabian Simmer hat seinen Kollegen aus den anderen VW-Marken unsere Ideen bereits vorgestellt und manche von ihnen waren überrascht, wie schnell wir in diese Rolle hineingewachsen sind. Letztlich geht es um Ideen. Und ich bin froh, dass Seat inzwischen mehr Ideen, Vorschläge und Produkte liefert als Probleme. (lacht)

Welche Freiheiten gewährt Ihnen die Konzernzentrale in Wolfsburg? Können Sie frei denken und entwickeln?

Bei den Ideen sind wir relativ frei. Aber irgendwann kommen wir natürlich an einen Punkt, an dem harte Entscheidungen über Investitionen und Budgets getroffen werden müssen. Das ist aber ein normaler Prozess in der Gruppe, den jeder durchläuft – ganz egal, ob es sich um eine kleine oder große Marke handelt. Und ob wir investieren können, hängt zu einem Großteil davon ab, ob es profitabel sein kann. Wenn das der Fall ist, gibt es keinen Grund, das zu stoppen.

Wodurch wird sich der Mobilitätsservice von Seat von anderen unterscheiden? Was macht ihn einzigartig?

Es könnte sein, dass es bei den Mobilitätsservices ähnlich läuft wie bei den Fluglinien. Heute fliegen alle Airlines fast ausschließlich die Modelle von zwei Flugzeugherstellern. Sie sind nur unterschiedlich lackiert und die Services an Bord unterscheiden sich. Im Fluglinien-Geschäft kann man trotzdem ein völlig unterschiedliches Markenerlebnis kreieren, obwohl alle Airlines denselben Airbus nutzen. Das kommt eben darauf an, ob man eine Billig- oder Premium-Linie betreibt und wird über den unterschiedlichen Preis geregelt. Von dieser Art der Markenbildung müssen wir lernen.

Und gibt es schon Ideen, in welchem Bereich sich Seat ansiedeln will?

Mit dem Minimo können wir eine Alternative zum öffentlichen Nahverkehr sein, wenn wir auf dessen Preislevel kommen. Und wir wollen Menschen vom Umstieg vom Zweirad bewegen, speziell hier in Südeuropa – weil Zweiräder einen Sicherheitsnachteil haben. Das ist unser Schwerpunkt innerhalb des Volkswagen-Konzerns. Wir müssen die Marke für junge Menschen sein. Die Marke, die Zugang zu Mobilität gibt. Das ist unsere Rolle in der VW-Gruppe. Danach wechseln sie vielleicht zu Volkswagen, Audi oder Porsche, wenn sie Glück im Leben haben.

Der oft zitierte Kulturwandel in der Autoindustrie scheint jetzt tatsächlich stattzufinden. Wir würden Sie ihn beschreiben?

Ich sehe in der Automobilindustrie inzwischen das Verständnis dafür, dass wir neue Konzepte brauchen, wenn wir Mobilitätsplattformen zum Arbeiten bringen und profitabel machen wollen. Man braucht etwas wie den Minimó. Etwas wie den Sedric von Volkswagen, bei dem man die Kosten pro Kilometer auf fünf oder sechs Menschen verteilen kann. Ebenso Premiumautos. Die werden immer gefragt sein, denn es wird immer Leute geben, die einen besseren Service wollen und zum Beispiel in einem Audi herumfahren wollen. Und dann hat man vertikale Mobilität (gemeint sind Flugtaxis und Ähnliches; d. Red.) und Stadtlieferwagen.

Was macht den Mobilitätswandel für Autokonzerne so schwierig?

Ich denke schon, dass die Autoindustrie den schwierigsten Teil des Mobilitätswandels stemmen muss. Wir werden die nahe Zukunft ja zum großen Teil noch mit unserem traditionellen Geschäft bestreiten. Und wir müssen die neuen Dinge sowohl entwickeln als auch produzieren. Darüber hinaus machen viele Geschäfte rund um die Autoindustrie. Jetzt haben wir aber die Möglichkeit, neue Einnahmefelder in unsere Wertschöpfung zu integrieren. Wir müssen das nutzen!

Wie genau?

Wenn neue Mobilitätsplattformen zum Einsatz kommen, kann man sich darauf beschränken, ihnen nur die nötigen Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Wahrscheinlich weniger als heute, weil insgesamt weniger Fahrzeuge nötig sein werden. Oder man kann sich dafür entscheiden, neben dem Fahrzeug noch die Plattform zu betreiben. Darüber hinaus liefern die Fahrzeuge noch Daten, die Basis für ein weiteres Geschäft sein können.

Der Profit kann also aus drei Töpfen kommen. Ist für Sie jeder Topf gleich interessant oder würden Sie priorisieren?

Das Autogeschäft ist das einfachste für uns; wir kennen dessen Logik und wissen, wie es läuft. Bei der Mobilitätsplattform kommt es darauf an, ob man das richtige Produkt dafür zur Verfügung hat. Wenn ja, und der Minimó könnte dieses Produkt sein, dann ist das interessant. Beim Datenaspekt ist es für mich noch schwer zu erfassen, wo genau das Geld liegt.

Warum das?

Zuerst einmal muss man zwischen den Kundendaten und denen des Autos unterscheiden. Ich würde mich für Letzteres entscheiden, denn bei den Kundendaten muss man viele Regeln beachten und auf den Datenschutz achten. Trotzdem ist noch fraglich, ob die Autodaten überhaupt interessant sein können. Ein Beispiel: Wenn ich ein vernetztes Auto habe und in der Lage bin, dessen Leistung oder Funktionalität zu verbessern, dann weiß ich, dass dies für Kunden einen Wert darstellt und er bereit ist, dafür mehr oder weniger Geld auszugeben. Mir ist klar, dass darin ein potenzielles Geschäft liegt. Ich bin mir aber noch nicht hundertprozentig sicher, wie man das operationalisiert. Ich weiß zwar, wie man eine Verbindung kreiert zwischen unserem Produkt und dem Smartphone des Nutzers, den anderen Autos und der Infrastruktur. Aber ich weiß noch nicht, welches Geschäft wertvoller ist als das andere. Und ich weiß nicht, welches Geschäft vom OEM zu Geld gemacht werden kann oder von anderen Firmen, die Teil des Spiels sind.

Die Tech- und Telekommunikationsfirmen sind sehr stark an den Daten interessiert.

Wenn man die Leute dieser Firmen fragt, dann ist das, was wir derzeit machen, verglichen zum Download einer Netflix-Episode noch auf Mickey-Mouse-Level. Deshalb fragen wir uns, was genau uns ein Geschäftsfeld bietet. Nur wenn wir das wissen, können wir das Auto darauf vorbereiten und Funktionen entwickeln, die für den Kunden tatsächlich relevant sind. Und damit sowohl für uns als auch unseren Telekommunikationspartner. Das muss zusammenpassen. Aber diese Diskussion öffnet sich gerade erst.

Was bezwecken Sie mit der offenen Innovationsplattform, die Sie auf dem Mobile World Congress vorgestellt haben?

Da arbeiten einige große Firmen aus den Bereichen Telekommunikation, Energieversorgung, Infrastruktur oder Banken mit. Innerhalb der digitalen Transformation gibt es viele kluge Leute, viele Ideen und viel Geld. Doch in manchen Bereichen arbeiten die einzelnen Firmen an denselben Sachen. Also haben wir uns geeinigt, dass wir unsere Entwicklungen – natürlich ohne zu sehr ins Detail zu gehen – mit den anderen teilen. Warum sollen wir das parallel machen? Lasst uns Synergien nutzen!

Welche Rolle spielen Start-ups dabei?

Wir bieten drei- oder viermal im Jahr heimischen und internationalen Start-ups an, uns Ideen zu liefern, wie wir diese Herausforderungen angehen sollen. Normalerweise hat jeder nur den Tunnelblick. Man ist so beschäftigt mit seinen eigenen Sachen, dass man nicht nach links oder rechts schaut. Aber Herausforderungen wie die Digitalisierung oder Verbesserungen im Umweltsektor kappen die Industrie horizontal. Wenn man also keinen Mechanismus hat, um nach rechts oder links zu schauen, dann sieht man nicht das ganze Bild. Deshalb ist das hier eine gute Sache. Aber wir müssen natürlich schauen, ob sie Resultate liefert.

Noch eine Frage zu ihrem Arbeitsalltag: Wie stark sind sie noch in der alten Welt verhaftet und müssen zum Beispiel entscheiden, welcher Motor in welches Modell kommt oder auch nicht? Und wie oft geht der Blick schon in die Zukunft?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch 70 zu 30. Ich würde gerne mehr in die Zukunft blicken, aber natürlich ist das normale Geschäft dafür noch deutlich zu dominant. Wir haben praktische Probleme jeder Art zu lösen: in der Produktion, in der Beschaffung, in der Entwicklung. Ich arbeite in dieser Industrie nun mehr als 25 Jahre. Und ich dachte anfangs, dass ich in dem Alter, in dem ich jetzt bin, gelangweilt sein würde. Es entspricht einfach nicht meinem Charakter, nur das Automodell Nummer 60 oder 65 zu verantworten. Aber in Wahrheit ändert sich das ganze Thema seit einigen Jahren komplett und ich lerne jeden Tag eine Menge hinzu.

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