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Interview mit Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag
„E-Autos lösen nicht das Verkehrsproblem“

Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, über die Verkehrsprobleme in unserem Land, wie sich der Verband der Kommunen die Verkehrswende vorstellt und was Autofahrer zu erwarten haben.

Helmut Dedy
Foto: Laurence Chaperon

Was machen die Städte? Die Verkehrswende entwickelt sich zu einer komplexen Angelegenheit. Während der Bund das Thema E-Mobilität verfolgt, setzen Städte und ländliche Gemeinden noch andere Schwerpunkte. Was bedeutet das für die Autofahrer?

Ende 2019 riefen einige Städte wie Leipzig, Köln und auch Berlin den Klimanotstand aus. Wie wirkt sich das auf den Verkehr aus?

Klimanotstand ist kein rechtliches Instrument. Klimanotstand ist das Symbol und die Botschaft an die Stadtgesellschaft: Wir haben verstanden, dass wir andere Schwerpunkte setzen müssen.

Unsere Highlights
In der Vergangenheit galt als Leitbild die „auto-gerechte Stadt“. Wie wollen die Kommunen das nun ändern, und wie schnell soll das gehen?

Ich glaube, dass das kein ganz schneller Prozess ist. Das geht allenfalls mittelfristig. Aber den Gedanken der autogerechten Stadt haben wir schon etwas länger hinter uns gelassen. Der Deutsche Städtetag will die Verkehrswende. Und diese Entscheidung ist einstimmig – über alle Parteigrenzen hinweg. Die Verkehrswende ist kein reines verkehrspolitisches Thema, sondern auch ein Stadtentwicklungsthema und bedeutet zum Beispiel, dass wir beim öffentlichen Raum schauen müssen, wie wir ihn nutzen möchten, damit er mehr als Parkplatz ist. Wir verfolgen den Gedanken: Verkehr muss vernetzt, nachhaltig und modern sein. Das ist das, was angesagt ist.

Wie stark ist Ihr Fokus darauf gerichtet, auch Konzepte zu entwickeln, um das Umland und die Stadt zusammenzubringen?

Wir wollen die Städte in ihrer Region denken. Das hat nicht nur etwas mit Verkehr zu tun, sondern auch mit Wohnen und Arbeiten, dem Einkaufen und der Freizeit. Da muss man sich über gemeinsame Planung unterhalten. Verkehrsplanung und Stadtentwicklung müssen von Beginn an Hand in Hand arbeiten. Dennoch glaube ich, dass es unterschiedliche Geschwindigkeiten geben wird. Der verkehrspolitische Blick in einer Großstadt ist anders als der in einer ländlichen Region. Wahrscheinlich werden wir mit dem motorisierten Individualverkehr auf dem Land länger und intensiver zu tun haben als in Großstädten.

Das Anwohnerparken soll teurer werden. Was wäre für Sie ein optimaler Preis, um da eine Lenkungswirkung in das System zu bringen?

Das Bewohnerparken arbeitet mit einer Jahresgebühr, und diese liegt seit den 1990er-Jahren fest bei maximal 30,70 Euro. Wir stehen für eine Gebühr zwischen 20 und 200 Euro im Jahr. Diese Bandbreite brauchen wir. Über die konkrete Gebühr soll die einzelne Stadt entscheiden. Als Städtetag wollen wir das Signal aussenden: Öffentlicher Raum ist ein knappes Gut, und ein knappes Gut hat einen Wert. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt sind die Kosten: Die derzeitige Gebühr deckt nicht mehr die Ausgaben der Städte für Beschilderung, Verfahren, Ausweise und so weiter.

Kann der Ausbau des ÖPNV nicht das Verkehrsproblem in den Städten lösen?

Der ÖPNV ist und bleibt das wichtigste Glied in der Kette für nachhaltige Mobilität, aber er ist in Teilen an der Kapazitätsgrenze. Schon jetzt sind in Deutschland elf Milliarden Fahrgäste pro Jahr mit Bus und Bahn unterwegs. Daher investieren wir in Busse und setzen stark auf den Schienenausbau. Aber es müssen auch andere Lösungen her. Wenn wir jetzt sagen, wir digitalisieren das ÖPNV-System und schaffen dadurch höhere Taktfrequenzen, dann ist das auch eine Möglichkeit, das bestehende System zu verbessern. Ich glaube, dass die Vernetzung von verschiedenen Verkehrsmitteln noch Potenzial bietet. Nicht morgen, sondern vielleicht übermorgen. Und dann werden wir natürlich auch die Frage stellen: Wie viel Raum will ich dem Individualverkehr für andere Verkehrsmittel abnehmen? Wenn zum Beispiel eine Stadt neue Radwege bauen will, kann das nicht auf dem Bürgersteig geschehen.

Steintorplatz Halle an der Saale
Adobe Stock
Die Städte setzen auf ÖPNV, doch er ist in Teilen an seiner Kapazitätsgrenze.
Reicht die Zeit überhaupt noch aus, um die ganzen Großstädte mit zusätzlichen Schienen zu versorgen?

Die Frage ist nicht mehr, ob wir das schaffen, sondern wie viel Zeit wir dafür brauchen. Ich hätte gerne eine Zielsetzung von 2030 oder 2040.

Viele Städte probieren derzeit das Carsharing aus. Wie sehr helfen den Städten die verschiedenen Konzepte bei der Verkehrsreduzierung weiter?

Da erleben wir, dass das freie Carsharing keine oder wenig entlastende Wirkung auf den Individualverkehr oder auf den Bestand an Fahrzeugen hat. Das stationsgebundene Carsharing dagegen schon. Und für die flexiblen Sammeltaxen, die in einem Nischenbereich zwischen Taxi und ÖPNV unterwegs sind, müssen wir die Frage noch beantworten: Entlastet das, zum Beispiel als Zubringer zum ÖPNV, oder ist das einfach ein neues Verkehrsmittel, das auf der Straße unterwegs ist und das den beiden anderen ein bisschen wegnimmt, aber letztlich keine entlastende Wirkung hat?

Sie sagten gerade, der ÖPNV müsse attraktiver werden. Warum sieht der Deutsche Städtetag dann das 365-Euro-Jahresticket so skeptisch?

Wir haben eine skeptische Haltung, weil wir im Moment nicht wissen, wie wir es finanzieren können. Der ÖPNV soll in den Städten besser werden, mehr Menschen befördern und gleichzeitig preiswerter auftreten – das ist eine Kombi, die kriegen wir wahrscheinlich nicht gleichzeitig hin. Aber es ist trotzdem richtig, das Thema anzugehen. Es gibt einige smarte Wege dahin – zum Beispiel Überlegungen, das 365-Euro-Ticket für junge Leute anzubieten. Das wäre ein Angebot für jene, von denen wir bisher aus den Jugendstudien wissen, dass sie nicht mehr so autofixiert sind. Auch Zwischenlösungen sind mit den neuen Ticket-Konzepten möglich, wie es Augsburg gerade praktiziert. Hier kann man im Innenstadtbereich kostenfrei fahren.

In anderen Nationen setzt man auf die City-Maut. Wie ist Ihre Einstellung zu so was bei uns?

Ich kenne im Moment keine Stadt, die eine Maut in Erwägung zieht. Aber die Perspektive wird wahrscheinlich so sein, dass wir eine andere Finanzierung von Verkehr brauchen werden. Und da dürften auch solche Themen wie City-Maut oder Nahverkehrsabgabe eine Rolle spielen.

Sie wollen weniger Autos in den Städten. Stellt da nicht die E-Auto-Förderung des Bundes ein Problem für die Kommunen dar?

Wir werden nicht jedes Verbrennermodell durch ein Elektroauto ersetzen können. Das geht einfach nicht, weil wir dann das gleiche Kapazitätsproblem hätten, von dem wir bereits eben gesprochen haben.

Helmut Dedy, Electric Plug
Adobe Stock
Aus Sicht der Städte kann die Umstellung auf E-Autos das Stauproblem nicht lösen.
Der Städtetag hat mit dem Bund das Bündnis für moderne Mobilität ins Leben gerufen. Konkrete Inhalte fehlen aber noch. Was versprechen Sie sich davon?

Der Bund ist auf uns zugekommen und möchte mit dem Deutschen Städtetag in der Frage, wie sich die Mobilität verändern soll, in einen Erfahrungs- und Wissensaustausch treten. Kann man als Verband bei so einer Offerte Nein sagen? Wir haben jetzt die Möglichkeit, eine Reihe von wichtigen Punkten anzusprechen. Zum Beispiel können wir bisher nur an Gefahrenstellen Tempo 30 anordnen – vor einer Schule zum Beispiel oder vor einer Kita. Wenn aber der Schulweg auch an einer Hauptverkehrsstraße entlanggeht, ist das im Moment nicht möglich. Das Bündnis gibt uns nun eine gute Gelegenheit, dem Bund klarzumachen, dass er den Städten größere Spielräume einräumen muss und auf die Kompetenz vor Ort vertraut.

Wie viel Geld brauchen die Städte, um Maßnahmen zu ergreifen, die wirklich in die richtige Richtung gehen?

Laut Kommunalpanel der KfW Bankengruppe haben wir einen Investitionsstau bei der kommunalen Verkehrsinfrastruktur von 36 Milliarden Euro. Da ist nicht ausdifferenziert: Wie viel ist davon Straße, wie viel Schiene? Wir sind jetzt froh, dass es über das Gemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetz eine Aufstockung der Bundesmittel geben wird. Ab 2025 sollen es zwei Milliarden Euro jährlich sein. Das ist aus unserer Sicht eine echte Nummer. Die brauchen wir dauerhaft und dynamisiert. Nur dann haben wir Planungssicherheit.

Noch ein Wort zu Diesel-Fahrverboten: Es wird gerade etwas ruhiger um das Thema. Rechnen Sie damit, dass da in den nächsten Jahren noch groß was auf die Städte zukommt?

Es ist im Moment tatsächlich ruhiger geworden, was an zwei Entwicklungen liegt. Zum einen zeigen die neuesten Zahlen, dass die Stickoxid-Belastungen sinken. Zum anderen hat die Deutsche Umwelthilfe ihre Strategie geändert. Inzwischen haben sie mit Bundesländern Vergleiche geschlossen und sich auf konkrete Maßnahmen verständigt. Die Städte greifen ebenfalls nicht einfach zur Keule Fahrverbot. Es gibt kein Fahrverbot, das ohne gerichtliche Entscheidung verhängt worden ist. Keins. Und das war auch immer unser Ansatz. Wir haben gesagt: Nicht wir wollen Fahrverbote, sondern wir sind in der Hand der Gerichte. Und die Autoindustrie muss endlich sauberere Antriebe liefern, damit wir das Problem an der Quelle bekämpfen.

Vita Helmut Dedy

Geboren am 7. Juni 1958 in Duisburg
Studium Jurist und Diplom- Volkswirt
1992 – 1997 Umweltreferent des Städte- und Gemeindebundes NRW
1996/97 Kaufmännischer Geschäftsführer der Abwasserberatung NRW e. V.
1998 – 2011 Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
2012 – 2016 Stellvertreter des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Städtetages sowie Geschäftsführer des Städtetages NRW, Berlin und Köln
seit Juni 2016 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages sowie Geschäftsführer des Städtetages NRW, Berlin und Köln

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Erscheinungsdatum 03.07.2024

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