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Interview mit BMW-Chef Oliver Zipse
Flexibilität statt Elektro-Baukasten

Oliver Zipse ist Mr. BMW. Er führt mit kühler Präzision und lässt sich weder von einer Pandemie, noch durch die Digitalisierung aus dem Konzept bringen. Im Interview bekennt der sich klar zu den geltenden CO2-Grenzwerten und sieht BMW auch digital gut aufgestellt.

Oliver Zipse BMW-Chef
Foto: BMW
Herr Zipse, der BMW iX3, der Ende 2020 auch nach Deutschland kommt, wird in China gebaut, die Elektromotoren kommen aber aus Dingolfing. Warum entsteht dort nicht das gesamte Auto?

Unsere Strategie ist: Die Produktion folgt dem Markt. Und China ist heute mit Abstand der weltgrößte Markt für E-Mobilität. Deswegen ist unser Joint-Venture BBA in Shenyang genau der richtige Standort für den BMW iX3. Außerdem bauen wir dort auch den BMW X3 mit konventionellem Antrieb. 2021 geht es dann in Europa weiter: In Dingolfing starten wir die Produktion des BMW iNEXT und den BMW i4 werden wir in München fertigen. Nicht zu vergessen den BMW i3 aus Leipzig und den elektrischen MINI Cooper SE auf Oxford.

Unsere Highlights
BMW wird in den nächsten Jahren Verbrenner, Plug-in-Hybride und batterieelektrische Fahrzeuge verschiedener Baureihen auf einer Linie produzieren. Warum haben Sie sich entschieden, nicht gesamte Werke auf die Produktion von Elektroautos umzustellen?

Wenn Sie von einer Linie sprechen, dann meinen Sie sicherlich das Montageband. Mit Hilfe einer fein ausgesteuerten Logistik und einer KI-gestützten Abtaktungslogik ist es sehr wohl möglich, Fahrzeuge mit unterschiedlichen Antriebsformen effizient gemeinsam zu produzieren. In den Werken gibt es aber genauso Bereiche, die nur auf Elektrokomponenten ausgelegt sind. Sie sehen: Wir stellen nicht einzelne Fabriken auf E-Mobilität um – sondern unser komplettes Produktionsnetzwerk. Schon heute fertigen wir in fast jedem unserer Werke elektrifizierte Modelle. Das gibt uns Flexibilität, regional unterschiedliche Nachfrage passgenau zu bedienen. Schließlich sind wir in mehr als 140 Ländern mit eigenen Rahmenbedingungen aktiv. So bieten wir unseren Kunden die ‚Power of Choice‘: Sie können in immer mehr Baureihen zwischen konventionellen Antrieben, Plug-in-Hybriden und reinen Elektromodellen wählen – und werden überall die BMW-typische Fahrfreude erleben.

Wann könnte eine BMW-Architektur, bzw. eine Plattform für rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge bei BMW zum Einsatz kommen?

Lassen Sie mich dazu ein paar grundsätzliche Dinge einordnen: Der aus der Vergangenheit abgeleitete Begriff einer ‚Plattform‘ wird unserem Ansatz nicht gerecht. Bei BMW gibt es einerseits fahrzeugspezifische Elemente wie etwa die Karosserie und andererseits übergreifende Baukästen für Komponenten wie Antrieb oder Elektronik. Beides führen wir zusammen zu einem Fahrzeug, das die Kunden begeistert. Ein Beispiel: Der BMW iNEXT wird über eine eigenständige Karosserie verfügen – aber er nutzt trotzdem Komponenten aus den gleichen Baukasten-Systemen wie auch andere zukünftige Modelle. Hinzu kommt: Diese Komponenten befinden sich in einem ständigen Innovations-Wettbewerb – nur die besten kommen tatsächlich ins Auto. Diesen gesamthaften Ansatz gibt es in dieser Form meines Erachtens nur bei BMW. Damit sind wir in der Lage, mit herausragenden Produkteigenschaften auf weltweit unterschiedliche Kundenwünsche zu reagieren – und das auch noch hocheffizient und sehr flexibel.

Oliver Zipse BMW-Chef
BMW
BMW setzt auf Fahrzeugarchitekturen, die alle Antriebsarten aufnehmen können. Der künftige i4 (im Hintergrund) wird die Elektro-Variante des 4er Gran Coupé.
Die Elektrifizierung der heckgetriebenen BMW-Modelle (CLAR-Plattformen) macht auch fahrdynamisch Sinn, i4 und iX3 basieren ja auch auf Verbrenner-Modellen. Aber wie sieht es mit den Fronttrieblern aus? Wird es einen elektrischen 1er und 2er mit Frontantrieb geben?

Auch unsere Frontantriebsarchitektur bietet die Möglichkeit, elektrifizierte Antriebe in unterschiedlichen Skalierungen zu integrieren. Da sind sowohl vollelektrische als auch Plug-in-Hybrid Modelle denkbar. Gleichzeitig setzen wir zur Reduzierung der CO2-Emissionen natürlich auf die modernen und hoch effizienten Antriebsvarianten aus der gerade umfangreich überarbeiteten EfficientDynamics Motorenfamilie. Auch hier gilt: Der Kunde hat die Wahl.

Welchen Stellenwert hat die Brennstoffzelle für BMW kurz-, mittel- und langfristig?

In Deutschland, der Europäischen Union und weiteren wichtigen Weltregionen hat die Politik die Bedeutung des grünen Wasserstoffs für das Energiesystem der Zukunft erkannt. Wir begrüßen die verschiedenen Initiativen ausdrücklich! Für den Straßenverkehr ist vor allem ein frühzeitiger Ausbau der Tankinfrastruktur erforderlich, der sowohl die Bedürfnisse der Nutzfahrzeuge als auch die von Pkw berücksichtigt. Je nachdem, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln, kann die Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie zu einer weiteren Säule im Antriebsportfolio der BMW Group werden. Seit 2013 kooperieren wir erfolgreich mit Toyota in diesem Bereich und werden ab 2022 die zweite Generation unseres Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebs in einer Kleinserie des BMW X5-basierten BMW i Hydrogen NEXT vorstellen.

Mit dem Ausbau des Werks in Dingolfing (E-Motoren, Batteriemodule) hat sich BMW fast die gesamte Wertschöpfungskette von Elektroautos ins Haus geholt. Fehlen noch die Batteriezellen. Wann steigt BMW in die Produktion der Batteriezellen ein?

Mit unserer Produktion von E-Antrieben in Dingolfing setzen wir tatsächlich Maßstäbe in Sachen Transformation. Dort haben wir Mitarbeiter für die Arbeit an E-Maschinen und Hochvoltspeichern qualifiziert, die vorher zum Beispiel Sitze gefertigt haben. Für Batteriezellen haben wir eine andere Strategie: Wir entwickeln die Technologie und können Prototypen auch selber herstellen. Für die Großserie vergeben wir unsere Aufträge aber an etablierte Zellhersteller – mit klaren Vorgaben zum Klimaschutz: Bei einem vollelektrischen Fahrzeug entfallen bis zu 40 Prozent der CO2-Emissionen allein auf die Herstellung der Batteriezellen. Wir haben mit unseren Zellherstellern vertraglich vereinbart, dass sie bei der Produktion unserer fünften Generation von Batteriezellen – die bringen wir dieses Jahr mit dem iX3 in Serie – nur noch Grünstrom verwenden. Bei unserem steigenden Volumen von elektrifizierten Fahrzeugen wird der Einsatz von Grünstrom dafür sorgen, innerhalb der nächsten zehn Jahre rund 10 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Zum Vergleich: Das ist etwa die Menge an CO2, die eine Millionen-Stadt wie München pro Jahr emittiert.

Oliver Zipse BMW-Chef
BMW
Auch bei BMW standen durch die Corona-Pandemie die Bänder lange still. Dennoch rechnet Oliver Zipse (links) 2020 mit einem positiven Betriebsergebnis.
Es gibt erste Stimmen aus der Automobilindustrie, die fordern, die Umsetzung der CO2-Ziele coronabedingt zu verschieben. Wie stehen Sie zu den CO2-Grenzwerten?

Gegenfrage: Wer würde von einer Verschiebung der Ziele oder Fristen profitieren? Diejenigen, die sich nicht rechtzeitig und ausreichend vorbereitet haben. Das mag auf andere zutreffen – aber nicht auf uns. Deswegen haben wir eine klare Haltung: Wir sind für eine solche Verschiebung nicht zu haben. Die BMW Group hält ihre Zusagen ein. Das gilt für die CO2-Ziele in der EU für 2020/2021.Und ebenso für die Einführung der Abgasstufe Euro 6d.

Tesla steht für Elektroautos, die durch Over-the-Air-Updates immer besser werden. BMW kann das aber auch schon seit einigen Jahren. Müssen Sie im Marketing besser werden?

Unsere Kunden wissen schon lange, dass uns in Sachen Connectivity kaum jemand das Wasser reichen kann. Wir haben seit 2018 ein ganz neues Betriebssystem in unserem Portfolio ausgerollt. Inzwischen sind mehr als 20 Modelle mit diesem BMW Operating System 7 ausgestattet und wir können diese Fahrzeuge Over the Air upgraden – praktisch jede Zeile Code in der Fahrzeug Software können wir damit aktualisieren. Gerade sind wir in einer großen Upgrade-Kampagne, mit der wir mehr als eine halbe Million Fahrzeuge weltweit erreichen. Und das nächste Upgrade mit neuen Features für unsere Kunden steht bereits in den Startlöchern. Für uns gehört es zum Produktversprechen eines Premium-Fahrzeugs, dass es up to Date bleibt.

Wie wichtig sind digitale Zusatzgeschäfte schon heute für BMW? Und welche Umsatzrelevanz sehen Sie für die Zukunft?

Mit unserem Operating System 7 haben wir die Grundlage geschaffen, um zusätzliche Fahrzeugfunktionen Over the Air aufzuspielen. Damit bieten wir dem Kunden heute schon die Möglichkeit, Funktionen nachträglich zu erwerben. Die ersten Angebote werden bereits gut angenommen und wir bauen dieses Angebot weiter aus.

Tesla arbeitet mit einem Zentralrechner und einem Netzwerk, das gilt als einer der großen Vorteile. Ist die Elektronikstruktur von BMW-Fahrzeugen damit vergleichbar? Was ist anders und wenn ja warum?

BMW hat schon lange eine stark zentralisierte Architektur mit einigen wenigen Hochleistungsrechnern etwa für Connectivity oder Fahrerassistenz. Die dafür benötigtet Software wird bereits seit mehreren Generationen von unseren Entwicklern in agilen Prozessen erstellt und in schnellen Zyklen integriert. Im BMW iNext erfolgt nun der nächste konsequente Schritt: Das Fahrzeug bekommt ein neues digitales Nervensystem, denn die Anforderungen an Rechenleistung und Datenverarbeitung steigen massiv. Das betrifft nicht nur die Rechnereinheiten, wo wir die Anzahl der Steuergeräte auf zukünftig eine Handvoll leistungsstarker Zentralrechner reduzieren. Sondern auch das Bordnetz, die Sensorik und die Software. Mit Künstlicher Intelligenz können wir dann erstmals weltweit große Datenmengen aus der Fahrzeugflotte zur stetigen Produktverbesserung nutzen und die Fähigkeiten des Fahrzeuges auf ein ganz neues Niveau heben.

Die Kooperation mit Daimler beim autonomen Fahren ruht, die Schwaben haben sich jetzt mit NVIDIA zusammengetan. Gehen Sie den Weg bei den autonomen Autos jetzt alleine weiter, oder stehen auch bei BMW neue Partner bereit?

Wir haben bereits wichtige Partner an Bord – darunter Intel, Mobileye und Ansys auf der Tech-Seite sowie FCA auf der OEM Seite. Wir sind neuen Partnerschaften gegenüber prinzipiell immer aufgeschlossen. Im iNEXT wird erstmals unser neuer Technologiebaukasten für Fahrerassistenz und automatisiertes Fahren zum Einsatz kommen. Dieser Baukasten hat im Hinblick zum Beispiel auf Sensorik und Rechenleistung enormes Potential für die nächsten Jahre. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir im nächsten BMW 7er einen weiteren Sprung sehen werden.

Eine ausführliche BMW-Titelgeschichte inklusive des Interviews mit Oliver Zipse finden Sie in der auto motor und sport 16/2020. Ab dem 16. Juli 2020 hier oder am Kiosk.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten