Wie viel Porsche bekommt Bentley mit dem neuen CEO?

Frank Walliser – neuer Bentley-Chef im Interview
Wie viel Porsche bekommt Bentley jetzt?

Veröffentlicht am 16.10.2024
Was kann Bentley besonders gut und wo wird möglicherweise Porsche-Expertise benötigt?

Bentley kann besonders gut Autos bauen. Ich glaube, dass niemand anderes das Thema Interieur so beherrscht, wie Bentley. Das gilt für die gesamte Kette, vom Design über die Materialauswahl bis zur Verarbeitung. Mich hat die immense Wertschöpfungstiefe überrascht. Rund 700 Mitarbeiter sind mit dem Interieur beschäftigt, nähen, schleifen Holz, alles handwerklich exzellent. Hinsichtlich des Gesamtfahrzeugs beherrscht Bentley hervorragend die Abstimmung, also die Balance zwischen Sport und Komfort. Optimierungsbedarf gibt es womöglich in den Bereichen Produktmanagement und Lifecyclemanagement. Da arbeite ich momentan mit einem Strategieteam zusammen. Die Kollegen können die Dinge schnell auf den Punkt bringen und es hilft natürlich auch, dass Bentley ein kleines Unternehmen ist. Wir müssen die kurzen Wege für uns nutzen. Wenn ich mit allen relevanten Management-Kollegen zusammensitze, sind das 15 Personen. Dazu drei Flipcharts und los geht’s.

Sie waren bei Porsche maßgeblich an der Elektrifizierung der Marke beteiligt, haben also einen Techniker-Hintergrund. Weshalb also der Wechsel zu Bentley?

Sicher aufgrund der Technik-Expertise aber auch aufgrund der Vernetzung innerhalb des Konzerns. Zu verstehen, wie welche Technik funktioniert, wie man diese in ein Auto umsetzen kann, was mögliche, darauf basierende Produkte sein könnten. Aber die Technik-Expertise alleine hätte vermutlich nicht gereicht für den Job. Es geht auch darum, ob man mit den Kunden umgehen kann und wenn ja, wie genau, und ob man das Marktsegment versteht. Damit durfte ich mich auch schon in der Vergangenheit auseinandersetzen, wenngleich in der sehr sportlichen Ausprägung, aber ich treffe aktuell recht viele Kunden (aus der Porsche 918-Zeit, den Walliser verantwortete, Anm. d. Red.) wieder, insofern passt das ganz gut. Was mir immer viel Spaß gemacht hat, war nicht nur das Produkt, sondern auch die Story dahinter, also das Marketing, die Kundenansprache, aber auch das Geschäftsmodell zu managen. Das steht jetzt auch wieder an.

Stichwort Elektrifizierung: Der Plan der Marke, ab 2030 ausschließlich elektrisch angetriebene Fahrzeuge anzubieten, ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Inwiefern hat sich die Einstellung der potenziellen Kunden zu solchen Fahrzeugen geändert? Oder hat man den möglichen Markt von vorneherein überschätzt?

Rückblickend war in den Jahren 2019 und 2020 sicher deutlich mehr Euphorie für die Elektromobilität da. Die Prognosen zum so genannten Tipping Point, also wann mehr E-Fahrzeuge als Verbrenner verfügbar sein werden, waren deutlich optimistischer. Diesem Trend ist man gefolgt, was aus damaliger Perspektive absolut richtig war. Jetzt reagieren wir auf die Märkte. Eine radikale Umkehr ist das jedoch nicht. Es ist vielmehr eine Anpassung des Timings. Vergleichen Sie es mit einer Bergwanderung: Ich möchte auf jeden Fall zum Gipfel rauf, gehe aber links statt rechtsherum. Dauert dann eben etwas länger bis zum Ziel. Letztlich müssen wir Autos bauen, die unseren Kunden gefallen. Das hat für uns oberste Priorität. Die Elektromobilität braucht wahrscheinlich einfach etwas mehr Zeit. Da lässt sich schon ein Trend dahingehend ablesen, dass das in den höheren Fahrzeugsegmenten länger dauert. Die Welt hat unterschiedliche Geschwindigkeiten. In China beispielsweise sehen wir zwar generell eine schnellere Elektrifizierung, jedoch nicht im Top-Segment, sondern nur bei Klein- und Kleinstwagen. In Europa gibt’s viel Willen, doch der Markt muss noch nachkommen. Je nach Land spielt die Steuergesetzgebung eine Rolle, wie beispielsweise in Norwegen. Der dortige Markt ist allerdings sehr klein, taugt bestenfalls als Testmarkt. Die USA kommen zum Schluss und sind dann wiederum so groß, dass man nach Bundesstaaten differenzieren muss. Kalifornien ist da sicher schneller als Florida. Zudem stehen in großen Teilen der Welt Wahlen an, wie in den USA, Indien, Deutschland, da wird es viel Bewegung geben. Alles in allem also eine komplexe Gleichung mit vielen Variablen.

Nichtsdestotrotz soll 2026 der erste vollelektrische Bentley starten. Basiert der noch auf der J1, also der Porsche Taycan-Plattform oder schon auf der Scalable Systems Platform des Volkswagen-Konzerns?

Die SSP ist sehr breit skaliert, reicht bis in die obersten Segmente. Sie wurde erst vor rund zweieinhalb Jahren aufgesetzt, ist also noch nicht fertig. Daher gehen wir auf eine bestehende Plattform, und das ist nicht die des Taycan. Dabei handelt es sich letztlich um ein Derivat des Modularen Standard Baukastens. (Bleibt nur noch die Premium Platform Electric PPE, auf der Porsche Macan, Audi Q6 und A6 basieren, Anm. d. Red.)

Beim neuen Continental GT Speed ist Bentley stolz auf den echten Klang des V8-Verbrenners. Wie klingt denn der künftige Elektro-Bentley?

Wir sehen bei einem Elektrofahrzeug schon eine andere Klientel, das ist auch Teil der Strategie. Deshalb ist das auch kein Ersatz für ein bestehendes Modell, sondern ein zusätzliches. Natürlich hoffe ich, dass das auch Bestandskunden gefällt, doch zunächst richtet es sich an eine neue Käuferschicht. Wie das Auto klingen soll, diskutieren wir gerade. Ich durfte es selbst noch nicht hören. Da ist natürlich viel Philosophie dabei. Darf der Klang abstrakt sein, kann das ein Imitat von etwas sein und so weiter. Im Wettbewerb sieht man ja alles Mögliche. Neulich bin ich ein Auto gefahren, dass den Klang eines Verbrennungsmotors samt Getriebe imitiert. Erst denkt man: "Wie können die nur?!" und dann steigst du fassungslos vor Begeisterung wieder aus. Ich will damit sagen, dass man alles erst einmal erleben muss, um dann seinen eigenen Weg zu finden. Ich bin da sehr aufgeschlossen.

Wenn das E-Fahrzeug neue Kunden ansprechen soll, läuft Bentley dann nicht Gefahr, zu groß zu werden, um exklusiv zu bleiben?

Grundsätzlich versuchen wir das Thema Volumen auszublenden. Wir haben unsere Fabrik in Crewe, und ausschließlich von dort werden auch in Zukunft Bentleys kommen, nirgendwo anders. Das hat sicher eine Obergrenze. Hinsichtlich der Exklusivität sehe ich in einem globalen Gesamtmarkt, der 60, 70 oder vielleicht sogar mal 100 Millionen Autos umfasst, keinen Konflikt. Ob ich 10.000 oder 15.000, vielleicht sogar – und jetzt fantasiere ich mal – 30.000 Autos mache, spielt da keine Rolle. Die Autos sind im Straßenbild nicht sichtbar. Ein Bentley bleibt ein seltenes Auto. Wir versuchen die Wertigkeit jedes einzelnen Modells über die Individualisierung zu erhöhen, das Kundenerlebnis zu steigern, speziell über unsere Mulliner-Abteilung. Da helfen die Erfahrung und die kurzen Wege. Im Prinzip kann ich mit einem Kundenwunsch direkt in die Fabrik, beispielsweise in die Näherei, laufen und fragen, ob das geht oder nicht und bekomme sofort eine Antwort. Da gibt es seitens der Mitarbeiter einen ganz starken Willen, die Wünsche der Kunden zu erfüllen. Das ist nicht in alle Unternehmen der Fall.

Technisch indes dürfte es durch die Elektromobilität für Bentley schwer werden, sich von anderen Herstellern zu differenzieren, oder?

Die Sozialisierung der Fahrleistung ist tatsächlich ein Thema. Das war früher hohe Ingenieurskunst, rückt nun etwas in den Hintergrund. Trotzdem kann man herausarbeiten, wie ein Auto fährt. Ein Bentley ist ein Fahrer-Auto. Und da kann man schon was machen. Wie lenkt das Auto ein? Wie bremst es? Wie viel Sportlichkeit wollen wir rüberbringen? Wie komfortabel wollen wir sein? Ein einfach zu fahrendes Auto, das auch auf langen Strecken nicht anstrengend ist, muss unser Ziel sein. Dazu zählt auch eine gewisse Präzision, beispielsweise eine Lenkung, die keine Korrekturen erfordert, die viel Rückmeldung bietet.

Also wird Bentley porschiger?

Sicher nicht, dafür sind die Marken zu weit auseinander. Dass die Produkte markanter, in ihren Eigenschaften ausgeprägter werden, kann ich mir allerdings schon vorstellen. Die Marke hat eine hervorragende Historie, in der Sportlichkeit durchaus eine Rolle spielt.

…und der Motorsport. Wann kehrt Bentley zurück auf die Rennstrecken dieser Welt?

Ja, das wurde ich schon häufig gefragt. Als CEO sieht man das Thema dann doch etwas anders, als das als Motorsport-Chef der Fall ist. Würde das zur Marke passen? Ja! Haben wir da eine Tradition? Ja! Und ich glaube, man wüsste auch schnell, wo man hinwollte: Nach Le Mans. Aber das muss vom Timing und der Finanzierung passen. Aktuell liegt unser Fokus auf der Produktentwicklung. Die Transformation dort hinzubekommen und zu finanzieren, ist derzeit die Hauptaufgabe. Wenn wir das mal im Griff haben, sehen wir weiter. Jedenfalls schließe ich das nicht für alle Zeiten aus.

Bezüglich des Geschäftsmodells: Weshalb ist Prototypen-Motorsport attraktiver als das GT3-Programm wieder aufleben zu lassen?

Ein GT-Programm unterstützt ein Modell, ein Prototypen-Engagement unterstützt die gesamte Marke. Ich würde immer auf die Marke gehen, auch wenn der Aufwand dort höher ist. Ob man mit einem GT3 ein profitables Kundenmotorsport-Programm aufbauen kann, ist fraglich. Dazu zählt nicht nur die Zuverlässigkeit des Fahrzeugs, sondern auch weltweiter Vertrieb und Service. Zudem gibt es dort einen harten Wettbewerb. Zugegeben, im Top-Segment ist auch gerade viel los und der Wettbewerb ist auf allerhöchstem Niveau.

Stichwort Geschäftsmodell: Das Unternehmens-Ergebnis des ersten Halbjahres ist mäßig. Wie können Sie gegensteuern?

Wir kriegen durchaus Gegenwind in den Märkten. Kurzfristiges Gegensteuern ginge natürlich mit entsprechender Incentivierung, daran hat aber niemand im Unternehmen Interesse. Die Stückzahlen sind nicht der Treiber. Wir können die Fertigung flexibel gestalten.

Die USA sind Bentleys größter Markt, dicht gefolgt von China, Großbritannien und Deutschland. Aufgrund der aktuellen geopolitischen Lage könnte es schwierig sein, sich an China zu binden. Wie sehen Sie das?

Ich hoffe, dass China für uns ein großer Markt bleibt, doch ein Bentley wird immer ein Weltauto mit dem Absender Crewe sein. Wir laufen keinen kurzfristigen Trends hinterher. Statt auf eine Wachstumsstrategie setze ich dort eher auf Konsolidierung. Es geht nicht um eine künstliche Begrenzung, aber es wäre gut, wenn wir das Volumen dort halten könnten. Ja, es fehlen uns dort Autos, und das merken wir.

Das Weltauto aus Crewe – gilt das auch für den Elektro-Bentley hinsichtlich der Software?

Da muss man sicher bei der Benutzeroberfläche auf lokale Gegebenheiten eingehen. Aber wir können bei unseren Stückzahlen keine zwei Software-Architekturen etablieren. Wir können kein China- oder USA-Auto bauen.

In der Bildergalerie ist der neue Bentley Continental GTC Speed zu sehen.

Vita

Frank-Steffen Walliser wird neuer CEO bei Bentley
AUDI AG

Nach seinem Maschinenbaustudium mit Schwerpunkt Verbrennungsmotoren und Technologiemanagement stieg Frank-Steffen Walliser 1995 bei Porsche ein und blieb der Marke seither treu. Der gebürtige Stuttgarter war ab 2010 als Gesamtprojektleiter für die Entwicklung des zukunftsweisenden Supersportwagens 918 Spyder zuständig.

Von 2014 an machte er sich als Motorsportchef einen Namen, bevor er Anfang 2019 die Leitung der Baureihen 911 und 718 übernahm. Seit 2022 leitete er bei Porsche die Entwicklung Gesamtfahrzeuge (Fahrzeug Architektur & Charakteristik). Am 1. Juli 2024 übernahm er den Posten des Chairman und CEO von Bentley.