Hohen Auto-Fronten gefährden Kinder: T&E-Studie will SUV-Design begrenzen

Hohe Fahrzeugfronten gefährden Kinder
T&E-Studie will SUV-Design begrenzen

Veröffentlicht am 18.06.2025
SUV Motorhaubenhöhe Studie T&E
Foto: T&E

Sie stehen direkt vor dem Auto – und bleiben dennoch unsichtbar. Kinder bis zu einem Alter von neun Jahren verschwinden bei besonders hoch bauenden SUV-Modellen komplett im toten Winkel der Frontpartie. Das ist das zentrale Ergebnis einer aktuellen Untersuchung der Umweltorganisation Transport & Environment (T&E). Gemeinsam mit Experten der Universität Loughborough untersuchte T&E die Sichtverhältnisse in typischen Hochbodenfahrzeugen wie dem RAM TRX und dem Land Rover Defender.

Das Ergebnis: In beiden Modellen sind kleine Kinder vom Fahrersitz aus nicht zu erkennen, wenn sie sich direkt vor dem Fahrzeug befinden. Erst bei einer Motorhaubenhöhe unter 85 Zentimetern verbessert sich die Sicht entscheidend. Zum Vergleich: Die Frontpartie des RAM TRX liegt bei rund 130 Zentimetern, die des Defender bei 115 Zentimetern. Dagegen bietet ein Fahrzeug wie der VW Golf mit 75 Zentimetern deutlich bessere Sichtverhältnisse.

Die Sichtprobleme sind nicht nur ein theoretisches Risiko. Laut T&E führen sie zu einer erhöhten Zahl von Beinahe-Unfällen und konkreten Kollisionen – vor allem beim Abbiegen, beim Ausparken und auf Grundstückszufahrten. Besonders dramatisch: Kinder zählen europaweit zu den besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmern. Von rund 430 getöteten Kindern im Straßenverkehr sterben laut T&E etwa ein Drittel als Fußgänger – häufig bei niedrigen Geschwindigkeiten im Stadtverkehr.

SUV Motorhaubenhöhe Studie T&E
T&E

Zunehmende Haubenhöhe als systemisches Problem

Die Analyse von T&E zeigt eine klare Entwicklung: Seit dem Jahr 2010 ist die durchschnittliche Haubenhöhe in der EU, im Vereinigten Königreich und in Norwegen von 76,9 auf 83,8 Zentimeter gestiegen. Das entspricht einem durchschnittlichen Zuwachs von 0,5 Zentimetern pro Jahr. Die Organisation warnt: Setzt sich der Trend ungebremst fort, wird bis zum Jahr 2040 ein Mittelwert von 92 Zentimetern erreicht – mit einem immer größeren Anteil an Fahrzeugen mit Hauben über einem Meter.

Ein wesentlicher Treiber ist die gestiegene Zahl von SUV-Neuzulassungen, die im Jahr 2024 bereits mehr als die Hälfte aller Neuwagen ausmachen. Vor allem Fahrzeuge von Jeep und Jaguar Land Rover dominieren dabei das Segment besonders hoch bauender Modelle. In Großbritannien liegt der Anteil dieser Fahrzeuge mit Hauben über einem Meter besonders hoch – fast 40 % aller SUV mit extrem hohen Fronten wurden dort verkauft, obwohl das Land nur 15 % der europäischen Neuwagenverkäufe stellt.

Konflikt mit aktuellen Sicherheitsbewertungen

Ein Teil der Herausforderung liegt in einem Zielkonflikt zwischen Sichtbarkeit und Insassenschutz. Hersteller begründen hohe Fronthauben häufig mit der Notwendigkeit, Knautschzonen unterzubringen und Sicherheitsstandards für Mitfahrende zu erfüllen. Und tatsächlich berücksichtigen auch Crashtests wie die von Euro NCAP die Höhe der Motorhaube bislang nur unzureichend im Hinblick auf äußere Sichtfelder.

Euro NCAP prüft primär die passive Sicherheit, also den Schutz bei einem Aufprall. Dabei werden Kopf- und Beinimpakte mit standardisierten Prüfkörpern getestet. Der Schutz von Kindern im Nahbereich wird bislang nicht systematisch erfasst. Auch automatische Notbremssysteme (AEB), die seit Juli 2024 für neue Fahrzeuge in der EU vorgeschrieben sind, können Sichtlücken nicht vollständig kompensieren – insbesondere nicht bei schlechten Licht- oder Wetterverhältnissen.

SUV Motorhaubenhöhe Studie T&E
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Die von T&E beauftragten Versuche zeigen: Selbst mit modernem AEB und Kameraerkennung bleibt ein stehendes Kind direkt vor einem hoch bauenden Fahrzeug oft unerkannt. Das Sicherheitsrisiko entsteht damit vor dem eigentlichen Unfall – nämlich durch eingeschränkte Wahrnehmung potenzieller Gefahren.

Forderung nach klaren Grenzwerten

Auf Grundlage der Erkenntnisse fordert T&E eine gesetzlich festgelegte maximale Haubenhöhe für neue Pkw:

  • Einführung eines Grenzwerts von 85 Zentimetern ab dem Jahr 2035
  • Verankerung der Haubenhöhe in den Fahrzeugpapieren ab 2030
  • Entwicklung eines verpflichtenden Kindersicht-Tests für alle neuen Fahrzeugtypen
  • Ergänzung bestehender Crashtest-Kriterien um reale Sichtbedingungen auf Kinder und andere schwächere Verkehrsteilnehmer
SUV Motorhaubenhöhe Studie T&E
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Einordnung und Ausblick

Die vorgeschlagene Grenze von 85 Zentimetern orientiert sich am Körperschwerpunkt von 95 Prozent aller erwachsenen Frauen und von Kindern ab etwa elf Jahren. Eine Kollision unterhalb dieses Schwerpunkts gilt als deutlich weniger lebensgefährlich. Der Ansatz soll nicht nur die Sicht verbessern, sondern auch die Folgen eines möglichen Aufpralls abmildern.

Besonders relevant ist die Thematik für Städte und Kommunen, die durch den Trend zu größeren Fahrzeugen mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden – etwa bei der Schulwegsicherheit, im Parkraum oder beim Verkehrsfluss auf engen Straßen.

Ein regulatorischer Eingriff auf EU-Ebene könnte diesen Trend bremsen. Laut T&E wäre eine rechtzeitige gesetzliche Vorgabe bis 2027 ein wichtiger Schritt, um eine Umsetzung bis 2035 realistisch und für die Industrie planbar zu gestalten.