Während China heute über 80 Prozent der weltweiten Zellproduktion kontrolliert, suchen europäische Hersteller zunehmend nach Wegen, sich unabhängiger von asiatischen Lieferketten zu machen – technologisch wie geopolitisch. Festkörperbatterien gelten dabei als entscheidende Weichenstellung, denn sie ermöglichen völlig neue Zellarchitekturen, Materialzusammensetzungen und Produktionsverfahren.
Zwei ambitionierte Antreiber in Europa sind Mercedes-Benz und Stellantis. Beide gehen bei der Umsetzung dieser Strategie ähnliche Wege – zusammen mit Factorial Energy. Das US-amerikanische Batterie-Start-up ist ein gemeinsamer Partner. Ziel: Hochleistungsfähige, sichere und skalierbare Festkörperzellen, die nicht nur in Europa auf die Straße sollen, sondern langfristig auch hier produziert werden könnten.
Leistungsdaten im Fokus
Bereits im April 2025 vermeldete Stellantis die erfolgreiche Validierung von Automobil-tauglichen Festkörperzellen mit einem beeindruckenden Leistungsgewicht von 375 Wh/kg. Zum Vergleich: Beim aktuellen Macan EV, der auf dem PPE-Baukasten von Volkswagen aufbaut, beträgt der Wert 175 Wh/kg. Stellantis protzt weiter mit Superlativen, etwa einer Schnellladefähigkeit von 15 – 90 Prozent SOC (State of Charge, Batteriefüllstand) in 18 Minuten und volle Funktionalität bei Temperaturen von -30 bis +45 °C. Die Zellen basieren auf Factorials FEST-Technologie und sollen bereits ab 2026 in einer Demonstrationsflotte von Stellantis eingesetzt werden.
Mercedes-Benz geht technologisch sogar noch einen Schritt weiter: Gemeinsam mit Factorial wurde eine neue Zellgeneration namens "Solstice" entwickelt – ein sulfidbasiertes Festelektrolyt-System mit 450 Wh/kg Energiedichte. Bereits 2024 wurde ein Prototyp in einen seriennahen EQS integriert. Die Reichweite liegt um etwa 25 Prozent über der aktuellen Top-Version – perspektivisch sind über 1.000 Kilometer pro Ladung realistisch. Unterstützt wird die Entwicklung durch AMG High Performance Powertrains in Großbritannien und das Mercedes-Kompetenzzentrum für Batteriesysteme in Stuttgart.
Unterschiedliche Wege zum Ziel
Stellantis verfolgt bei der Entwicklung und Integration einen pragmatischen Ansatz mit straffen Zeitplan: Demonstrationsfahrzeuge, Validierung unter realen Bedingungen, Optimierung der Packarchitektur. Im Fokus steht das Ziel, möglichst bald Serienreife zu erreichen und Zellkompetenz in Europa zu etablieren.
Mercedes-Benz hingegen setzt auf einen breit aufgestellten, technologieoffenen Ansatz mit mehreren Partnern: Neben Factorial gehören ProLogium (Taiwan), Sila Nanotechnologies (USA), CATL und Farrasis (beide China) zum Ökosystem. Bereits die nächste Fahrzeuggeneration (z. B. auf der MB.EA-Plattform ab 2028) soll unabhängig von asiatischen Zulieferern funktionieren – und damit mehr europäische Wertschöpfung im Zellbereich ermöglichen. Mercedes beteiligt sich nicht nur finanziell, sondern nimmt bei Partnern wie ProLogium auch Sitze im Board of Directors ein, um aktiv Einfluss auf Entwicklung und Produktion zu nehmen. Die Planungen sehen vor, Fertigungsstätten in Europa aufzubauen.
Feststoff-Batterien als Hebel für Europa?
Festkörperbatterien könnten sich in den nächsten Jahren nicht nur einen technologischen Meilenstein markieren, sondern sich auch als geopolitischer Hebel erweisen. Schließlich könnte man mit der neuen Batterie-Philospophie auch neue Produktionsverfahren erschließen, die sich von den bislang chinesisch dominierten NMC-Linien unterscheiden. Die Vorteile der Technik liegen schon jetzt auf der Hand.
Eine Abkehr von brennbaren Flüssigelektrolyten erhöht nicht nur die Sicherheit, sondern erlaubt auch eine lokal effizientere Kühl- und Zellstruktur. Zudem können durch Materialien wie reines Lithium an der Anode mehr heimische Rohstoffe genutzt werden, z. B. aus europäischen oder amerikanischen Lithiumprojekten. Ein weiterer Vorteil: Viele neue Festkörperdesigns wie die von Factorial oder ProLogium sind auf kompatible Produktionsprozesse ausgelegt – bestehende Zellfabriken lassen sich mit Anpassungen weiterverwenden. Das erleichtert die Transformation bestehender oder geplanter Batteriefabriken in Europa. Der Weg dahin ist allerdings noch lang.