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Diskussion um Feinstaub- und NOx-Grenzwerte
Lungenärzte sehen keine Gefahr durch Dieselautos

Ein Positionspapier, das von 112 Fachmedizinern unterzeichnet wurde, erklärt: Der geltende Grenzwert ist nichts wert, kein einziger Krankheits- und Todesfall sei auf Feinstaub und NOx zurückzuführen. Sind Diesel-Fahrverbote also gerechtfertigt?

11/2018, Auto-Abgase Innenstadt-Stau Auspuff Adobe Stock
Foto: Adobe Stock

40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter im Jahresmittel: So abstrakt dieser Grenzwert auch anmutet, so wichtig ist seine Rolle in der aktuellen, nicht enden wollenden Diskussion um Diesel-Fahrverbote in Innenstädten. Schließlich ist es dieser Grenzwert, auf den sich die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und andere Umweltorganisationen berufen, wenn sie Städte auf die Verschärfung ihrer Luftreinhaltepläne verklagen. 65 deutsche Kommunen liegen derzeit darüber, fast alle streiten sich mit den Umweltverbänden vor Gericht. Deren Ziel: In die Luftreinhaltepläne sollen Diesel-Fahrverbote aufgenommen werden – was in zehn Städten bereits passiert ist: In Berlin, Bonn, Darmstadt, Essen, Frankfurt, Gelsenkirchen, Köln und Mainz steht die Umsetzung entsprechender Urteile bevor beziehungsweise sind diese noch nicht rechtskräftig. In Hamburg und Stuttgart gelten bereits Fahrverbote.

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Mediziner zweifeln Grenzwerte an

Doch auf welchen Daten und Fakten basiert der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft eigentlich? Und hält er einer wissenschaftlichen Überprüfung überhaupt stand? Immer mehr Mediziner bezweifeln das. Allen voran Dieter Köhler, Lungenfacharzt und ehemals ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft, Universitäts-Professor und Präsident ärztlicher Vereinigungen. Seit einigen Wochen meldet sich Köhler mit scharfer Kritik am Grenzwert zu Wort. Immer mehr Kollegen unterstützen ihn dabei. Zuerst Martin Hetzel, Chefarzt der Lungenklinik im Krankenhaus zum Roten Kreuz in Stuttgart. Und nun 111 weitere Lungenfachärzte und Aerosolforscher, die ein Positionspapier verfasst haben, in dem sie die Gesundheitsgefahr durch Stickstoffdioxid anzweifeln und die Überprüfung der Grenzwerte fordern.

Um zu verstehen, worum es den Medizinern geht, muss man wissen, wie der Grenzwert zustande kommt. Er basiert auf einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Luftqualitätsrichtlinie der EU. Auf welchen Daten und Untersuchungen beides basiert, ist jedoch unklar. „Der jetzige Grenzwert NO2 ist völlig ungefährlich. Er produziert keinen einzigen Toten“, sagt Köhler deshalb im NDR. Auch der aktuelle Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie zweifelt: „Sind 50 Mikrogramm richtig, oder 40? Sind es 60 oder 35? Das weiß ehrlich gesagt keiner ganz genau“, sagt Klaus Rabe bei Tagesschau.de.

Der Grenzwert in Industrie und Handwerk: 950 Mikrogramm

Um die Verwirrung perfekt zu machen, gibt es dann auch verschiedene Grenzwerte, je nach geografischer Lage, Branche oder Lebenswelt. Die USA zum Beispiel, generell sehr strikt in Sachen Stickoxiden und deshalb auch maßgeblich an der Aufdeckung des VW-Dieselskandals beteiligt, folgen nicht der WHO-Empfehlung. In den meisten Bundesstaaten gilt ein Wert von 103 Mikrogramm als unbedenklich. Für Büros schreiben die deutschen Gesundheitsbehörden 60 Mikrogramm vor – dies gilt auch als Richtwert für Wohnungen. Beschäftigte in Industrie und Handwerk müssen gar 950 Mikrogramm aushalten, allerdings ist der Wert auf maximal acht Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich berechnet.

An die Grenzwert-Diskussion schließt sich eine andere an, auf der die Argumentationskette der Fahrverbots-Befürworter basiert: die der vorzeitigen Todesfälle durch die Stickoxidbelastung in der Stadtluft. Im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellte das Helmholtz-Institut für Umweltmedizin eine Studie zu dem Thema – mit beunruhigenden Ergebnissen. Demnach sollen im Jahr 2014 etwa 6.000 vorzeitige Todesfälle auf die zu hohe Stickoxidbelastung zurückzuführen gewesen sein. Die belastete Luft soll Deutschlands Gesamtbevölkerung zudem ungefähr 50.000 Lebensjahre gekostet haben.

Kein einziger Toter durch Feinstaub und NOx

Martin Hetzel von der Stuttgarter Klinik dagegen sagt auf Tagesschau.de: „Es gibt keine Feinstaub- oder NO2-Erkrankung der Lunge oder des Herzens, die man im Krankenhaus antrifft. Es gibt auch keinen einzigen Toten, der kausal auf Feinstaub oder NO2 zurückzuführen wäre.“ Auch Dieter Köhler vertritt die These im Positionspapier. Er sieht bei der Erhebung der Zahlen einen systematischen Fehler. In seiner Studie hatte das Helmholtz-Institut die Krankheitsbelastung der Stadt- und Landbevölkerung miteinander verglichen. Und zu einseitige Schlüsse gezogen, etwa Faktoren wie Bewegungsmangel, Alkoholkonsum oder medizinische Betreuung vernachlässigt. Man mache aus einer zufälligen Korrelation eine Kausalität, für die es keine Begründung gebe – und die man sogar sehr gut widerlegen könne.

Um dies zu widerlegen, gibt es eine Personengruppe, die sich freiwillig regelmäßig großen Dosen Feinstaub und NOx aussetzt, ohne die Abgase eines Euro-5-Diesels direkt am Auspuff einzuatmen: Raucher. Wer pro Tag eine Packung Zigaretten raucht, setzt sich in weniger als zwei Monaten jener Feinstaub- und NOx-Dosis aus, die ein 80-jähriger Nichtraucher im Laufe seines Lebens über die Stadtluft einatmet. Köhler zieht in dem Positionspapier daraus folgenden Schluss: Würde die Luftverschmutzung ein solches Risiko darstellen und entsprechend hohe Todeszahlen generieren, so müssten die meisten Raucher nach wenigen Monaten alle versterben, was offensichtlich nicht der Fall ist.„ Statistiken würden stattdessen zeigen, dass die Lebenserwartung eines Menschen, der 40 bis 50 Jahre lang pro Tag eine Schachtel Zigaretten raucht, um etwa zehn Jahre sinkt.

Umweltbundesamt rudert zurück, die DUH äußert sich nicht

Inzwischen räumt auch das Umweltbundesamt ein, dass der direkte Zusammenhang zwischen Stickoxiden und Todesfällen in der Helmholtz-Studie Schwächen hat. Eine Institution hält sich dagegen mit einer Einschätzung zur Kritik an Grenzwerten oder Todeszahlen auffallend zurück: Die Deutsche Umwelthilfe hat sich bisher noch nicht zur Sichtweise der Lungenärzte geäußert. Ihre Klagen, die auf den Grenzwerten und den angeblich auf die Luftverschmutzung zurückzuführenden Todeszahlen basieren sowie auf Diesel-Fahrverbote abzielen, laufen derweil weiter.

Fazit

Die nächsten Einfahrtsbeschränkungen werden sicher bald kommen, daran werden die Bedenken von 112 Fachärzten erstmal nichts ändern. Aber eines wird das Positionspapier der Mediziner auf jeden Fall bewirken: Künftig wird sicher intensiver überprüft, ob Fahrverbote verhältnismäßig – das müssen sie laut Gerichturteil schließlich sein – oder gar gerechtfertigt sind. Denn genau das ist derzeit zweifelhafter denn je.

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