Im Zuge der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus hat der Straßenverkehr fast überall stark abgenommen. Beispiel Stuttgarter Neckartor: Sind dort sonst an einem normalen Wochentag mehr als 60.000 Autos unterwegs, waren es Ende März laut "Stuttgarter Zeitung" nie mehr als 40.000. Wie Satellitendaten zeigen, verbessert sich im Zuge dessen an vielen Orten die Luftqualität. "Durch die Corona-Krise nehmen Umweltbelastungen ab", konstatiert auch das Umweltbundesamt.
Hohe NOx-Werte trotz weniger Verkehr
Die Stickoxid-Werte in Ballungsräumen, die zu großen Teilen Diesel-Fahrzeugen zugeschrieben werden, sinken trotz des geringen Verkehrs jedoch nicht im selben Maße. Noch einmal das Beispiel Stuttgart, Messstation Neckartor. Hier lagen die NO2-Werte zwischen dem 14. und 18. April immer wieder im Bereich zwischen 60 und 80 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³). Die Messstation in München an der Landshuter Allee erreichte im selben Zeitraum sogar immer wieder Werte über 100 µg/m³. Am 16. April gab es dort in der Spitze sogar einen Ein-Stunden-Wert von 171 µg/m³. Zur Einordnung: Der gültige NO2-EU-Grenzwert für die Außenluft beträgt im Jahresmittel 40 µg/m³. Der Grenzwert von 200 µg/m³ für das Ein-Stunden-Mittel darf nur 18 mal im Jahr überschritten werden.
Die hohen Stickoxid-Werte an diesen Messstellen veranlassen einige Politiker dazu, die zur Reduzierung der NOx-Belastung erlassenen Diesel-Fahrverbote (alles Wissenswerte dazu hier) infrage zu stellen. "Das Thema Diesel-Fahrverbote ist aus meiner Sicht damit endgültig vom Tisch", sagt beispielsweise der CDU-Politiker Steffen Bilger im "Focus". Warum die Stickoxid-Werte trotz rapiden Verkehrsrückgangs nicht sinken, werfe Fragen auf, die die zuständigen Umweltbehörden klären müssten, sagt der Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Judith Skudelny, die umweltpolitische Sprecherin der FDP, hält es für "interessant", dass "weniger Verkehr kein Garant für saubere Luft ist."
Im Jahresmittel hält Stuttgart bisher die Grenzwerte ein
Das Umweltbundesamt (UBA) warnt dagegen vor voreiligen Schlüssen aus den jüngsten NOx-Messwerten. Wie sich die im Zuge der Corona-Krise getroffenen Maßnahmen konkret auf die Luftqualität auswirken, lasse sich noch nicht sagen. Das UBA erklärt die hohen Werte mit meteorologischen Effekten. "Treten austauscharme Wetterlagen auf, reichern sich die Schadstoffe in der Luft an – erhöhte Konzentrationen sind die Folge." Kräftiger Wind helfe hingegen, die Schadstoffe schnell zu verteilen und lasse die Konzentrationen sinken. "Diese Effekte führen zu typischen, kurzfristigen Schwankungen in den gemessenen Konzentrationswerten."
Trotzdem zeigten sich laut UBA mancherorts positive Effekte des geringeren Verkehrsaufkommens. "Untersuchungen aus Hessen ergaben eine Reduzierung der NO2-Konzentrationen um rund 40 Prozent, die auf die reduzierte Verkehrsmenge zurückgeführt wird." Zieht man den Mittelwert des ersten Quartals 2020 heran, hält sogar Stuttgart den EU-Grenzwert ein – wenn auch nur knapp. Regional und lokal können die Auswirkungen aber sehr unterschiedlich sein.
"Kein Anlass, Fahrverbote aufzuheben"
Für das Umweltbundesamt gibt es auch in Zeiten des Corona-Lockdowns genügend NOx-Emittenten auf den Straßen. "Busse im ÖPNV und private Pkw sind in den Städten nach wie vor unterwegs. Für den Lieferverkehr muss sogar von einem erhöhten Aufkommen ausgegangen werden", heißt es in einer Einschätzung. Zusätzlich sei davon auszugehen, dass der Straßenverkehr in einigen Wochen wieder auf das übliche Maß oder sogar darüber ansteigt. Auf das Gesamtjahr bezogen seien deshalb keine nennenswerten Verbesserungen zu erwarten. "Da sich der NO2-Grenzwert zum Schutz der menschlichen Gesundheit auf das Kalenderjahr bezieht, besteht daher kein Anlass, Fahrverbote oder Einfahrbeschränkungen aufzuheben", so das UBA.
Fazit
Werden die Grundlagen für Diesel-Fahrverbote in der aktuellen, von der Ausbreitung des Coronavirus geprägten Situation tatsächlich als falsch entlarvt? Sowohl für die eine als auch die andere Seite lassen sich aktuell Argumente finden. Sobald sich ein konkreteres Daten-Gesamtbild ergibt und das Schlimmste in Sachen Covid-19 überstanden ist, sollten die Fahrverbote jedoch noch einmal intensiv auf den Prüfstand.