Im Mittelpunkt steht sogenannter Designer-Kraftstoff, der billig verkauft, aber teuer bezahlt wird – von Steuerzahlern, Tankstellen und Autofahrern.
Die Ermittlungen laufen unter dem Codenamen "Water into Wine" und wurden von der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) koordiniert. Einsatzkräfte durchsuchten Objekte in Hamburg, Berlin, Hannover und Magdeburg. Dabei stellten sie Bargeld, Kryptowährungen, Luxusuhren, Waffen sowie umfangreiche digitale Unterlagen sicher. Laut EPPO soll die Gruppierung seit 2023 über 137 Millionen Euro an Energiesteuer und rund 66 Millionen Euro an Mehrwertsteuer hinterzogen haben. Die Verdächtigen nutzten ein länderübergreifendes Netzwerk mit Verbindungen nach Polen, Belgien, Litauen, Lettland, Ungarn und in die Slowakei.
Technisches Öl im Tank
Designer-Kraftstoffe sind Gemische aus verschiedenen Flüssigkeiten wie Hydrauliköl, Schmierstoffen, Additiven und Dieselkraftstoff. Sie werden so hergestellt, dass sie äußerlich kaum von herkömmlichem Diesel zu unterscheiden sind. Der Unterschied liegt in der rechtlichen Einordnung. Statt als Kraftstoff gelten diese Produkte offiziell als technische Öle oder Industriechemikalien. Dadurch unterliegen sie nicht der Energiesteuer, die in Deutschland aktuell rund 43 Cent pro Liter beträgt.
Zwar ist die Herstellung solcher Gemische an sich nicht verboten, wohl aber deren Verwendung als Treibstoff. Genau das aber geschieht – gezielt und in großem Stil.
Gefahr für moderne Motoren
Für Autofahrer kann das Tanken von Designer-Kraftstoff schwerwiegende Folgen haben. Die Mischungen sind in der Regel nicht normgerecht, weisen instabile Eigenschaften auf und können moderne Einspritzsysteme beschädigen. Besonders problematisch ist die unkontrollierte Beimischung von Altölanteilen oder aggressiven Lösungsmitteln. Schäden an Dichtungen, verstopfte Filter, reduzierte Motorleistung und im schlimmsten Fall ein kapitaler Motorschaden sind mögliche Folgen.
Laut ADAC können falsch deklarierte oder verunreinigte Kraftstoffe zu kostspieligen Schäden führen – mit der Folge, dass Garantieansprüche in der Regel nicht greifen. Auch die Umweltbelastung steigt – durch erhöhte Emissionen und unkontrollierte Verbrennungsrückstände.
Wie der Betrug funktioniert
Der Kern des Systems ist die steuerliche Umgehung. Die Täter importieren große Mengen der Mischungen über Nachbarländer wie Polen oder Tschechien. Dort werden die Flüssigkeiten offiziell als steuerbegünstigte Industrieprodukte deklariert. Nach dem Transport nach Deutschland erfolgt entweder eine Umetikettierung oder der direkte Verkauf als angeblich günstiger Diesel.
Die Herkunftspapiere sind häufig unvollständig oder bewusst irreführend. In einigen Fällen nutzten die Täter auch sogenannte "Missing Trader"-Strukturen – Scheinfirmen, über die die Mehrwertsteuer nicht abgeführt wird, erklärt die EPPO.
Wo und wie Designer-Kraftstoff angeboten wird
Die Angebote erfolgen selten über reguläre Tankstellen. Stattdessen nutzen die Händler informelle Vertriebskanäle. Beliebt sind sogenannte Hof-Tankstellen in strukturschwachen Regionen, gewerbliche Zwischenlager in Grenznähe oder mobile Verkaufseinheiten. Teils erfolgt die Auslieferung direkt an Speditionen oder Baustellenfahrzeuge. Hinweise auf solche Angebote kursieren auch in geschlossenen Gruppen auf Messenger-Diensten, so Trans.INFO.
Verbraucher, die über solche Kanäle tanken, tun das entweder aus Unwissenheit oder mit dem Ziel, Kosten zu sparen. Besonders in wirtschaftlich angespannten Branchen wie Logistik oder Bau herrscht hoher Preisdruck – ein Nährboden für illegale Angebote.
Wer kauft – und mit welchen Folgen
Die Käufergruppen sind breit gefächert. Neben privaten Autofahrern, die sich über niedrige Preise freuen, nutzen vor allem kleinere Transportunternehmen und Bauunternehmer solche Angebote. Manche wissen um die Risiken, andere verlassen sich auf Zusicherungen der Verkäufer, dass es sich um "Restposten" oder "ausländischen Diesel" handele.
Faktisch tanken sie ein Produkt, das nicht den deutschen Qualitätsanforderungen entspricht. Die Folge sind nicht nur mögliche technische Schäden, sondern auch juristische Risiken. Wer erwischt wird, muss mit Bußgeldern rechnen, im gewerblichen Bereich auch mit Konsequenzen für Betriebserlaubnis oder Versicherungsschutz.
Der finanzielle Schaden für Staat und Markt
Laut Angaben der Europäischen Staatsanwaltschaft belief sich der Steuerschaden im aktuellen Verfahren auf mindestens 203 Millionen Euro – aufgeteilt in 66 Millionen Euro nicht abgeführter Mehrwertsteuer und rund 137 Millionen Euro hinterzogener Energiesteuer.
Der Bundesrechnungshof hatte bereits vor Jahren auf strukturelle Schwächen in der Zollkontrolle hingewiesen. Immer wieder bemängeln Prüfer, dass verdächtige Kraftstofftransporte nur unzureichend überprüft werden. Auch Tankstellenverbände warnen seit Langem vor Wettbewerbsverzerrungen durch illegale Angebote, die reguläre Betreiber unter Preisdruck setzen.
Behörden fordern mehr Kontrolle
Im Nachgang des Falls "Water into Wine" fordern sowohl EPPO als auch nationale Ermittlungsbehörden eine bessere Zusammenarbeit innerhalb Europas. Dazu gehören klarere Produktdefinitionen, schnellere Datenabgleiche und gezielte Schwerpunktkontrollen bei Importen von technischen Flüssigkeiten. Auch eine personelle Aufstockung des Zolls gilt als notwendig, um die Vielzahl der Verdachtsfälle effektiv bearbeiten zu können.
Was Autofahrer beachten sollten
Die wichtigste Regel lautet: Finger weg von Kraftstoffen, deren Herkunft nicht eindeutig nachvollziehbar ist. Besonders bei Angeboten mit auffällig niedrigen Preisen oder bei Tankgelegenheiten außerhalb klassischer Verkaufsstellen ist Vorsicht geboten. Schäden am Fahrzeug, Verlust des Versicherungsschutzes und mögliche Bußgelder übersteigen den vermeintlichen Spareffekt bei weitem.