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Defeat Devices und Gedichte bei Audi
6 Gründe, warum der Abgasskandal kein Ende findet

Neue Enthüllungen im Abgasskandal: Audi hat angeblich noch 2018 V6-Diesel mit Betrugssoftware verkauft, das KBA unterscheidet so viele Defeat Devices bei Audi, wie die Marke Ringe im Logo hat und die sind bei Audi seit 2004 bekannt. Warum es keine Abschalteinrichtung für den Abgasskandal gibt.

6 Gründe, warum der Abgasskandal kein Ende findet
Foto: Hans-Dieter Seufert

Im September 2015 musste VW zugeben, dass der Konzern ein Problem mit Dieselfahrzeugen hat, bei denen die US-amerikanische Umweltbehörde EPA wiederholt erhöhte NOx-Emissionen festgestellt hat. Schon bald war klar: Die Motorsteuerung enthielt ein so genanntes Defeat Device, eine Betrugssoftware, die den Abgasausstoß auf Prüfständen in legalen Grenzen hielt, auf der Straße im realen Verkehr hingegen nicht.

Seitdem ist viel passiert. Manager des Konzerns verloren ihr Amt, manche ihre Freiheit, einige hierzulande, VW zahlte Rekord-Strafen in den USA, für den Abgasskandal musste der Konzern insgesamt bislang 28 Milliarden abschreiben und hat dennoch mit weiteren Milliarden an Investitionen eine 180-Grad-Wende hingelegt: Man bekennt sich in Wolfsburg offensiv zum Pariser Klimaabkommen, will ab 2040 aufhören, Autos mit Verbrennungsmotor zu verkaufen und plant stattdessen mit Millionenstückzahlen von Elektroautos binnen des kommenden Jahrzehnts. Das erste Modell, der ID.3 rollt ab dem Jahresende im Werk Zwickau vom Band.

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Schon vor 2004 fing es an, Betrugssoftware bis 2018

Und doch kommen nahezu fünf Jahre nach der ersten Enthüllung, immer neue Fakten ans Tageslicht. Details dazu, wie der Konzern betrogen hat. Handelsblatt und Bayerischer Rundfunk haben gemeinsam 70.000 Dokumente zum Dieselskandal ausgewertet. Demnach sollen bei Audi, längst von der erfolgsverwöhnten Rendite-Maschine des Konzerns zur Keimzelle des Abgasskandals abgerutscht, selbst 2018 noch V6-Diesel mit illegalen Abschalteinrichtungen verkauft worden sein. Wie kann das sein? Immerhin hat Audi doch mit dem E-Tron sogar noch vor VW ein Elektroauto im Programm, das die Ingolstädter gar nicht so schnell zusammenbauen können, wie es die Kunden kaufen wollen? Warum gibt es keine Abschalteinrichtung für den Abgasskandal?

Problem 1: Die Technik ist kompliziert. Millionen Zeilen von Software-Code wollen entschlüsselt werden. Und nicht jede Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung ist per se illegal. Es gibt im Betrieb eines Verbrennungsmotors so viele Betriebszustände, die scheinbar verdächtige Regelungen erfordern, dass Ermittler den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Oder wüssten Sie auf Anhieb, warum sich der Lastzustand im Stand ändert, wenn eine mechanische Servolenkung voll eingeschlagen wird? Die Servopumpe braucht dann mehr Kraft. Inzwischen sind allerdings speziell bei Audi längst elektrische Servolenkungen im Einsatz. Aber auch zur Vorheizung des Katalysators sind eigene Routinen programmiert, die Einfluss auf Spritmenge und Abgasverhalten nehmen – um möglichst schnell eine optimale Abgasreinigung zu erreichen. Selbst eine Prüfstandserkennung ist als solche nicht illegal. Jedenfalls muss die Motorsteuerung mit widersprüchlichen Werten der Sensorik umgehen, wenn auf dem Prüfstand die Antriebsräder 100 km/h fahren, die anderen aber stehen. Und dann gibt es noch den Gummiparagraphen mit dem Bauteileschutz in der Abgasgesetzgebung der EU, der es den Herstellern möglich machte, die Abschaltung der Abgasreinigung in weiten Temperaturbereichen zu verargumentieren.

Problem 2: Ohne Kooperation des Herstellers ist schwer zu prüfen, ob ein Software-Code illegale Abschaltprogramme (Defeat Devices) enthält. Das Kraftfahrtbundesamt als Prüfbehörde hat daher jahrelang mit den Autoherstellern kooperiert, Zulassungen oder Überprüfungen basierten häufig auf Statements und Erklärungen der Hersteller.

Problem 3: Die industriefreundliche Haltung der Prüfbehörde hatte einen politischen Hintergrund: Das zuständige Bundesverkehrsministerium setzte ebenfalls stets auf gute Zusammenarbeit mit den Autoherstellern. Warum die Schlüssel- und Rekord-Export-Industrie Deutschlands mit übermäßigen bürokratischen Hindernissen bremsen? Fast 20 Jahre blieb der laxe NEFZ (neuer europäischer Fahrzyklus) zur Abgasmessung bei der Zulassung von Neufahrzeugen in Kraft, obwohl die Möglichkeiten zum legalen Tuning der Messwerte und deren enorme Abweichungen zur Praxis bekannt waren. Dazu passte eine Behörde, die keine eigenen Messungen durchführte, sondern die Abgasmessungen von Dienstleistern der Hersteller bezog. Kein Wunder, dass das eigentümliche Abgasverhalten von VW-Dieseln durch eine US-amerikanische Universität nachgewiesen wurde – unter Einsatz mobiler Messapparaturen, wie sie inzwischen auch in Europa üblich sind und sie auch auto motor und sport verwendet. Der Hinweis auf die Ungereimtheiten kam allerdings von einem Deutschen: Peter Mock vom ICCT (International Council on Clean Transportation) wollte eigentlich nachweisen, dass viele Hersteller in den USA bessere Abgasreinigungstechniken verwenden und saubere Diesel technisch machbar sind. Mocks Hinweise auf seltsam erhöhte NOx-Werte bei Dieselmodellen von VW fanden – oh Wunder – bei deutschen (und europäischen) Behörden, kein Gehör. Das ist durchaus ein Argument für die Eingangsthese vom fehlenden politischen Willen der Überprüfung: Messungen selbst realer Abgasemissionen im Straßenbetrieb waren möglich, weder Prüfbehörden noch Politik in Deutschland haben sie betrieben.

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Problem 4: Die Justiz, die sich schließlich auch in Deutschland des Falls annahm, hatte sowohl mit der technischen Komplexität, als auch mit dem mangelnden Aufklärungswillen nicht nur der Hersteller, sondern auch von Behörden und Politik zu kämpfen. Wie das Handelsblatt den gesichteten Dokumenten entnimmt, musste Dominik Kieninger, Staatsanwalt in München, bei KBA-Behördenchef Ekhard Zinke mit einer Anklage drohen, um Informationen zu erhalten: „Zum wiederholten Male sehe ich mich veranlasst, Sie darauf hinzuweisen, dass eine nur eingeschränkte Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden … den Straftatbestand der (mindestens versuchten) Strafvereitelung erfüllen kann“, schrieb Kieninger nachdem er von Rückrufen, die der damalige VW-Chef Matthias Müller und Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt vereinbart hatten, erst aus der Presse erfuhr. Entsprechend hinkt die Justiz den Ereignissen hinterher und es tauchen eben immer neue Ungeheuerlichkeiten auf.

Problem 5: Die Idee, beim Abgasverhalten zu betrügen und wie, mag in begrenzten Zirkeln des VW-Konzerns entstanden sein, aber der umfassende Einsatz über alle Modelle, Motoren und Marken hinweg macht es unwahrscheinlich, dass der Einsatz von Defeat Devices mit der Zeit nicht in weiten Teilen des Konzerns bekannt war. Es taucht bereits 2004 in einem Gedicht eines Audi-Mitarbeiters von zweifelhaftem literarischem, aber großem dokumentarischem Wert auf: Das belegt, dass der Betrug schon damals Methode hatte. Nach so langer Zeit legitimiert sich auch eine kriminelle Vorgehensweise quasi via Gewohnheitsrecht. Sie wird zur Normalität und von vielen nicht mehr hinterfragt.

Dieselgedicht Audi Defeat Device Abschalteinrichtung
Collage: auto-motor-und-sport.de
Dieses Gedicht eines Audi-Entwicklers ist bei den 70.000 von Handelsblatt und BR gesichteten Dokumenten zum Abgasskandal.

Gleichzeitig entsteht angesichts der offensichtlichen Gefahr der Strafverfolgung eine Wagenburgmentalität, die Zweifler zum Schweigen bringt, ehe sie sich zu Verrätern machen. Wie weite Kreise die Beteiligung oder Kenntnis des Betruges gezogen hat, lässt sich auch an der schieren Masse von Mails oder Dokumenten ermessen – die erwähnten 70.000 sind ja nur ein Teil. Das wiederum ist ein weiterer Grund, warum die vollständige Aufklärung dieses Betrugsfalles so lange dauert und die Öffentlichkeit immer wieder davon hört.

Problem 6: Die ständige Präsenz des Themas in den Medien, die scheinbar unerschöpflich weiter sprudelnde Quelle von Skandalen und die Vielzahl der detailreichen Fakten sorgt für anhaltendes Misstrauen gegenüber den Herstellern und Politik. An eine Lösung und vollständige Aufklärung zu glauben wird immer schwieriger. Dabei gerät aus dem Blick, dass die neue Abgasgesetzgebung streng sowie zielführend ist und keine Schlupflöcher mehr lässt: Autos, die Euro 6d Temp erfüllen, müssen nicht mehr nur unter Laborbedingungen auf dem Prüfstand nachweisen, dass sie die Grenzwerte unterschreiten, sondern unter Realbedingungen auf der Straße. Mehr geht kaum und ist nicht nötig. Aber selbst das gerät unter Verweis auf die Schummeleien bis in die jüngste Vergangenheit in Zweifel. Und es hilft natürlich nur bei Neuwagen und nicht bei den Millionen Bestandsautos, die eben nach wie vor viel mehr Schadstoffe emittieren, als es die Messungen auf dem Prüfstand nach altem Standard suggerieren.

Fazit

Der Abgasskandal ist ein unglaublich umfassender Betrugsfall, der zu einer regelrechten Verschwörung heran wuchs und sich über einen unvorstellbar langen Zeitraum erstreckt. Der VW-Konzern hatte sich in eine existenzbedrohende Lage gebracht, weil er Milliarden-Strafen an eine konkurrierende Industrienation bezahlen musste, statt in Zukunftstechnologien zu investieren zu können.

Mit dem Betrugsfall geriet auch der Systemfehler des Zusammenspiels von Industrielobby und Gesetzgebung in den Fokus, der Diesel im Speziellen sowie der Verbrennungsmotor im Allgemeinen in Verruf. Die Aufklärung des Betrugsfalles wirkt deswegen fast schon müßig, kostet aber enorme Ressourcen.

Positiv gewendet beschleunigte Diesel-Gate die neue, jetzt praxisnahe Abgasgesetzgebung und die Entwicklung der Elektromobilität. Bei der Ermittlung der besten alternativen Antriebskonzepte ist diese Beschleunigung allerdings nicht nur von Vorteil: Die möglichst schnelle Abwendung vom Verbrenner macht die vergleichsweise weit entwickelten Elektroautos scheinbar alternativlos – obwohl sie es mit Blick auf den aktuellen Entwicklungsstand längst nicht immer sind.

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Erscheinungsdatum 26.09.2024

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