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Assistenzsysteme im Lkw
Heimliche Vorreiter

Die großen Transportspezialisten auf unseren Straßen gelten für viele Autofahrer immer noch als Störfaktor. Was viele nicht wissen: Bei den Assistenzsystemen sind Schwer-Lkw auf Augenhöhe – und teils auch den Pkw voraus.

Assistenzsysteme im Lkw
Foto: MAN Truck & Bus SE

Lang, laut, lästig – so nehmen viele Autofahrer den Schwer-Lkw heute immer noch wahr. Dabei hat der technische Fortschritt auch vor dem Brummi nicht Halt gemacht und im Zusammenspiel mit den hohen Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit Produkte erschaffen, die den Vergleich mit der Pkw-Branche nicht scheuen müssen – im Gegenteil. Bei der Einführung mancher Technologien waren die Nutzfahrzeuge den Personenwagen teils um Jahre voraus.

Rücksicht hat Vorfahrt

So etwa bei der Abgasreinigung: Bereits seit 2004 kommen im Lkw SCR-Systeme zum Einsatz, lange vor dem Dieselskandal – und lange bevor die gesetzlichen Vorgaben dies auch im Pkw-Bereich erforderten. Aber auch bei den Sicherheits- und Assistenzsystemen sind moderne Trucks (soweit vergleichbar) technisch gleichauf – und manchmal sogar ein wenig voraus.

Von ABS bis Spiegelkamera

Beispiel Antiblockiersystem: Bereits 1981 brachte Mercedes in Zusammenarbeit mit Zulieferer Wabco einen elektronischen Blockierverhinderer für Druckluftbremsen auf den Markt, also nur wenige Jahre, nachdem die ersten (Oberklasse-)Pkw damit ausgerüstet waren. Und nur zehn Jahre später machte der Gesetzgeber dieses System für alle Lkw über 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG) verpflichtend. Hingegen rang sich der europäische Herstellerverband ACEA erst zum 1. Juli 2004 zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung für alle Kfz unter 2,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht durch.

Assistenzsysteme im Lkw
MAN Truck & Bus SE
Kamerasysteme verbessern die Rundumsicht enorm.

Doch zu diesem Zeitpunkt waren die Laster schon längst weiter: Adaptive Dämpfersysteme mit Wankregelung oder aufwendige elektronische Bremsanlagen, die eine wesentlich feinfühligere Reaktion auf Beladung und Fahrzustand als bis dahin üblich ermöglichten, gehören zu den Entwicklungs-Highlights der 1990er-Jahre. Pünktlich zur Jahrtausendwende feierten der kamerabasierte Spurhalteassistent – zunächst noch ohne Lenkeingriff – sowie die erste Generation des Abstandsregeltempomats auf Radarbasis (ACC) ihre Premiere. Auch hier setzte die Markteinführung etwa zeitgleich zum Pkw-Bereich ein, wohingegen die technisch weitaus anspruchsvollere Umsetzung des Schleuderschutzes ESP im Lastwagen längere Zeit in Anspruch nahm (Premiere Pkw: 1995, Lkw: 2001). Hier mussten die Entwickler auf eine weitaus größere Vielfalt an Achskonfigurationen sowie verschiedenste Beladungs- und Schwerpunktsituationen Rücksicht nehmen. Um den nachweislich positiven Effekt auf Unfallhäufigkeit und -schwere zu fördern, machte die EU ESP-Systeme für neue Pkw- und Lkw-Modelle ab November 2011 verpflichtend; seit November 2014 müssen alle Neufahrzeuge damit ausgestattet sein.

Was kommt als Nächstes?

Nach der Fahrdynamikregelung kristallisierten sich aufgrund der gravierenden Unfallfolgen bei schweren Nutzfahrzeugen Kollisionswarner und Notbremsassistenten als Entwicklungsschwerpunkt der letzten beiden Jahrzehnte heraus. Während frühe Systeme (ab 2006) zunächst nur auf andere Hindernisse in Bewegung reagierten und bei Gefahr einer Kollision eine Vollbremsung einleiteten, ist dies bei den Notbremsassistenten ab der zweiten Generation (ca. 2010) auch bei stehenden Hindernissen möglich. Die jüngsten Entwicklungen auf diesem Gebiet ermöglichen durch eine Kombination aus mehreren Radarsensoren und Kamerasystemen auch das frühzeitige Erkennen von Fußgängern, Rad- und Motorradfahrern sowie differenziertere Systemreaktionen, die verschiedene Warn- und Eingriffsstufen umfassen. Notbremssysteme sind EU-weit seit 2018 für alle neuen Lkw über 3,5 t zGG vorgeschrieben, allerdings mit vergleichsweise moderaten Anforderungen an den Geschwindigkeitsabbau, die von den meisten Herstellern bereits übertroffen werden.

Neben den Systemen an der Fahrzeugfront liegt ein weiterer Fokus auf verbesserten Kamerasystemen für die Sicht zur Seite und nach hinten sowie auf den Abbiegeassistenten. Diese sollen per Warnung und Bremseingriff dazu beitragen, Abbiege-Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern zu vermeiden. Sie werden ab 2022 für neue Fahrzeugtypen vorgeschrieben, ab 2024 für alle Typen.

Die Technik steht also bereit. Leider sind längst nicht alle Spediteure willens, über das Maß des Serienstands hinaus in die Sicherheitsausstattung ihrer Fahrzeuge zu investieren. Dazu kommt, dass sich manche Fahrer von den Assistenten bevormundet fühlen und diese deaktivieren – etwa, wenn andere Fahrzeuge beim Einscheren vor dem Lkw den Mindestabstand unterschreiten. Das Bundesverkehrsministerium plant daher, eine Vorschrift zu erlassen, die das Abschalten von Lkw-Notbremsassistenten ab einer Geschwindigkeit von mehr als 30 km/h verbietet.

Systeme im Überblick

Assistenzsysteme im Lkw
Volvo Trucks
Viele aus dem Pkw bekannte Systeme gibt es auch im Lkw. Wir nennen die wichtigsten Technologien.

Das Fahrdynamikregelsystem ESP mit seinen Unterfunktionen Blockier- und Schleuderschutz sowie Antischlupfregelung gehört auch im Lkw längst zur Serienausstattung, ist aber aufgrund einer größeren Gewichtsspanne und unterschiedlicher Konfigurationen wesentlich aufwendiger in der Anpassung. Aktive Spurhalter, Abstandsregeltempomat und Kollisionswarner mit Bremseingriff sind bei allen großen Lkw-Marken verfügbar, gehören jedoch nicht auf allen Märkten und in allen Konfigurationen zum Serienumfang. Bei den jüngeren Entwicklungen sind vor allem die Abbiegeassistenten (Side Assist) zu nennen, die es teils auch als Nachrüstlösung gibt, sowie Systeme, die ein teilautomatisiertes Fahren nach Level 2 im Lkw ermöglichen – und im schlimmsten Fall auch einen Nothalt.

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