Am Ende des Beschleunigungsstreifens: Anhalten oder weiterfahren?

Am Ende des Beschleunigungsstreifens
Anhalten oder weiterfahren?

Veröffentlicht am 06.07.2025

Die StVO ist eindeutig: "Der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn hat die Vorfahrt", so der § 18 Abs. 3. Ist keine Lücke vorhanden, darf der auffahrende Fahrer das Einordnen nicht erzwingen. Die Folge: "Wenn sich keine Gelegenheit zum Einfädeln ergibt, müssen Sie laut StVO eigentlich am Ende des Einfädelungsstreifens anhalten und abwarten, bis sich eine Lücke ergibt", so der ADAC. Gleichzeitig verbietet die StVO laut § 18 Abs. 8 aber das Halten auf Autobahnen – wozu der Beschleunigungsstreifen ebenfalls zählt. Ein Gericht in Gießen bezeichnete 2004 das Befahren des Seitenstreifens in einem solchen Fall als "äußerst leichtsinnig und extrem sorgfaltswidrig".

Polizei: Nicht anhalten – lieber weiterfahren, wenn möglich

Trotz der klaren Rechtslage raten viele Polizeidienststellen im Sinne der Verkehrssicherheit zu einem pragmatischen Verhalten. So erklärte Polizeihauptkommissar Manfred Schmidt von der Autobahnpolizei Ingolstadt in einem Interview mit Bayern 1: "Wenn es nicht gelingt, einen ordnungsgemäßen Spurwechsel durchzuführen, sollte der Fahrzeugführer so lange auf dem Standstreifen weiterfahren, bis er gefahrlos auf die Hauptfahrbahn wechseln kann. [...] Da muss man dann natürlich zur Gefahrenabwehr anders reagieren – weiterfahren und versuchen, einen gefahrlosen Spurwechsel durchzuführen."

Eine ähnliche Position äußerte auch Robert Sandmann, Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken, gegenüber inFranken.de: "Sollte aufgrund – zum Beispiel – mangelnder Motorleistung es nicht möglich sein, sich bis zum Ende des Einfädelungsstreifens in den fließenden Verkehr einzuordnen, kann ausnahmsweise am Seitenstreifen so weit beschleunigt werden, bis ein gefahrloses Einscheren möglich ist. [...] Keinesfalls darf dabei ein anderes Fahrzeug überholt werden." Auch auf Social Media informieren Polizeibehörden über diese Ausnahmesituation. Die Polizei NRW Märkischer Kreis schrieb auf Facebook bereits 2021: "Am Ende des Beschleunigungsstreifens kommt kein Abgrund. Sollte sich zunächst keine Lücke zeigen, kann nach der Beschleunigungsspur auch der Seitenstreifen genutzt werden."

Fahrlehrerverband: Nicht regelkonform – in Prüfung ein Durchfallkriterium

Der Fahrlehrerverband Baden-Württemberg warnt hingegen ausdrücklich vor einem derartigen Verhalten – insbesondere bei der praktischen Führerscheinprüfung. Der Vorsitzende Jochen Klima sagte www.auto-motor-und-sport.de: "Das Fortsetzen des Einfädelvorgangs auf dem Seitenstreifen widerspricht der StVO und würde im Rahmen der praktischen Fahrprüfung zum Nichtbestehen führen."

Die Begründung: Wer auf dem Seitenstreifen weiterfährt und sich stark auf den rückwärtigen Verkehr konzentriert, riskiert, ein eventuell stehendes Pannenfahrzeug zu übersehen – mit gravierenden Folgen. Der Verband empfiehlt daher folgende Ausbildungsstrategie:

  • Frühzeitige Beobachtung: Die rückwärtige Verkehrslage muss bereits beim Beschleunigungsbeginn eingeschätzt werden.
  • Anpassung des Tempos: Wer erkennt, dass keine Lücke da ist, soll rechtzeitig abbremsen und Platz für einen zweiten Beschleunigungsversuch lassen.
  • Anhalten vor dem Ende: Falls notwendig, sollte möglichst schon nach zwei Dritteln des Einfädelungsstreifens gestoppt werden.

Fazit des Verbandes: "Wenn Autofahrer am Ende des Einfädelungsstreifens anhalten müssen, ist dies häufig ein Indiz dafür, dass sie viel zu spät mit der Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs begonnen haben."

Zwischen Verbot und sicherer Praxis

Das empfohlene Verhalten – vorsichtig auf dem Seitenstreifen weiterzufahren, bis sich eine Lücke ergibt – ist nach aktueller Rechtslage nicht zulässig. Es wird von der Polizei und dem ADAC lediglich als sicherere Notlösung empfohlen. Die Autobahn GmbH des Bundes formulierte es 2024 via Facebook so: "In diesem besonderen Ausnahmefall ist es gerechtfertigt, trotz anders lautender Gesetzeslage, auf dem Standstreifen weiterzufahren und sich von dort so schnell wie möglich und ohne Gefährdung in den fließenden Verkehr einzuordnen."