MISSING :: structure.inactiveTabOverlay
{"irCurrentContainer":"8415550","configName":"structure.inactiveTabOverlay"}

Hardware-Nachrüstungen für Euro-5-Diesel
Fahrverbot vermeiden dank SCR-Katalysator

Umtauschen oder behalten? Nachrüsten oder weiterfahren? Wer einen gebrauchten Diesel besitzt, sieht sich mit drohenden Fahrverboten konfrontiert. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema Nachrüstung von SCR-Katalysatoren mit AdBlue-Einspritzung.

Diesel
Foto: Achim Hartman

Deutschlands Autobesitzer sind verunsichert. Vor allem jene rund elf Millionen Autobesitzer, die einen Diesel fahren, der nach der Abgasnorm Euro 5 oder schlechter eingestuft ist. Denn das sind jene Autos, die in einigen Städten von Fahrverboten bedroht sind. In Hamburg gibt es bereits Durchfahrtsbeschränkungen. Stuttgart und Hamburg werden bald folgen, entsprechende Gerichtsurteile existieren bereits (nähere Informationen dazu lesen Sie hier). Potenziell könnte die Liste auf 65 Städte, in denen die Stickoxid-Grenzwerte gerissen werden, anwachsen. Umtauschprämien sollen alte Diesel von den Straßen holen und durch neue ersetzen, doch selbst mit den Rabatten kann sich nicht jeder ein modernes Auto leisten (alles zu Umtauschprämien lesen Sie hier). Bleibt die Option der Hardware-Nachrüstung, die derzeit besonders heftig debattiert wird und bei der noch viel unklar ist. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Unsere Highlights

Was wird überhaupt nachgerüstet und wie funktioniert es?

Anbieter wie Baumot Twintec, Oberland-Mangold, HJS oder Dr. Pley entwickeln komplette, nach eigenen Angaben wartungsfreie SCR-Systeme zum Nachrüsten. Diese bestehen aus einem Katalysator und einer Dosiereinheit, über die AdBlue, eine Harnstofflösung, in den Abgastrakt geleitet wird. Durch eine chemische Reaktion wandelt AdBlue die giftigen Stickoxide im Dieselabgas in ungefährlichen Stickstoff und Wasserstoff um. Für AdBlue muss ein zusätzlicher Tank eingebaut werden, zum Beispiel in der Reserveradmulde. Außerdem sind noch Heizsysteme, Sensoren und andere Kleinteile nötig. Der Einbau dauert dem Hersteller Baumot Twintec zufolge etwa einen halben Tag und kann von jeder AU-berechtigten Werkstatt durchgeführt werden. Oberland-Mangold nennt eine Einbauzeit von vier bis fünf Stunden in einer geschulten Autowerkstatt. HJS geht von etwa einem Tag Umbauzeit aus.

Kann jeder Diesel mit einem SCR-System nachgerüstet werden?

Prinzipiell ja, und doch auch wieder nicht. Ob der Diesel Euro 5 oder schlechter erfüllt, ist aus technischer Sicht egal, heißt es zum Beispiel bei HJS. Das Problem sei eher der nicht vorhandene Bauraum bei relativ alten Modellen. Außerdem sei eine Umrüstung bei ihnen oft nicht wirtschaftlich, weil die Kosten des Nachrüst-Systems den Wert des Autos übersteigen können. Deshalb konzentrieren sich sowohl die Hersteller der Katalysatoren als auch die Bundesregierung in ihrem Dieselkonzept vorerst auf Euro-5-Diesel und Euro-6-Selbstzünder ohne SCR-Kat. Euro-5-Diesel bilden derzeit mit etwa 5,6 Millionen Autos den größten Anteil innerhalb der deutschen Dieselflotte. Baumot Twintec, Oberland-Mangold und Co. versprechen, dank des modularen Aufbaus ihrer Systeme die allermeisten Automodelle umrüsten zu können – laut ADAC soll das für 90 Prozent aller Euro-5-Diesel möglich sein. Das heißt aber auch: Die Fahrer einiger Exoten dürften vergeblich auf eine technische Lösung für ihr Auto warten, einfach auch deshalb, weil es sich für die Kat-Anbieter nicht rechnen würde, ein SCR-System für dieses Modell anzubieten. Schwerer wiegt aber, dass die ebenfalls rund 5,6 Millionen Dieselautos mit Euro 4 oder schlechter bei einem Nachrüstungsprogramm erst einmal außen vor bleiben.

Was versprechen die Hersteller der Katalysatorsysteme?

Die Angaben von Baumot Twintec klingen fast zu schön, um wahr zu sein: „Verminderung der Partikelemissionen von über 99%“ oder „Die ‚Real Drive‘-NOx-Emissionen werden um 94 Prozent reduziert“, ist auf der Homepage der Firma aus Königswinter zu lesen. Vor allem im Stadtverkehr soll die Technik deutliche Fortschritte bringen. Da wird sie auch benötigt, schließlich sind es die Messstellen in den Stadtzentren, die fortwährend zu hohe Stickoxidwerte melden. Aber genau dort müssen die Werte sinken, wenn Fahrverbote vermieden werden sollen.

Machen nachgerüstete SCR-Systeme aus meinem Diesel automatisch ein Euro-6-Auto?

Nein. Erstens müsste für Euro 6 ein Validierungsprogramm durchlaufen werden, das zwei bis drei Jahre dauert. Außerdem ist nicht klar, ob nachgerüstete Euro-5-Diesel tatsächlich unter allen Bedingungen unter den Euro-6-Stickoxid-Grenzwert von 80 mg/km gedrückt werden können. Baumot Twintec bejaht dies. HJS ist vorsichtiger und hält – abhängig von den exakten gesetzlichen Vorgaben, die noch definiert werden müssen – einen Stickoxid-Ausstoß von 200 bis 300 Milligramm pro Kilometer (mg/km) für realistisch. Trotzdem soll mit einem solchen Auto die Einfahrt in Innenstädte mit Diesel-Fahrverbot möglich sein, sofern der Stickoxid-Ausstoß nach der Umrüstung höchstens 270 mg/km beträgt. Diesen Wert definiert das Dieselkonzept der Großen Koalition.

Halten die Nachrüst-Katalysatoren, was ihre Hersteller versprechen?

Es sieht ganz danach aus. Der ADAC macht derzeit einen Langzeittest mit drei gebrauchten Dieselautos und SCR-Katalysatoren, die noch Prototypen-Staus besitzen. Die ersten 10.000 Kilometer des Tests sind inzwischen absolviert. Im Laufe dessen sank der Schadstoffausstoß im Schnitt innerorts um bis zu 70 sowie außerorts um bis zu 90 Prozent. Auch Auto Motor und Sport wies die Wirksamkeit eines nachgerüsteten SCR-Katalysators bereits nach: Ein ursprünglich nach Euro 5 zertifizierter VW Passat Variant 1.6 TDI (Baureihe B7) stieß im Test nur 49 Milligramm NOx pro Kilometer aus. Das ist weniger als der Euro-6-Grenzwert (80 mg/km). Allerdings müssen die Nachrüst-Systeme noch nachweisen, dass sie unter allen Bedingungen funktionieren, also auch im nasskalten deutschen Herbst oder im Winter bei Minustemperaturen.

Was kostet die Nachrüstung, wer bezahlt sie und wer haftet?

An diesen Fragen entzünden sich die schärfsten Diskussionen. „Die Kosten betragen nach heutigem Stand ca. 1.500 Euro“, sagt Baumot Twintec. Damit dürfte eher eine untere Grenze benannt sein. Der ADAC geht modellabhängig von 1.400 bis 3.300 Euro plus Einbaukosten aus, der Verband der Automobilindustrie (VDA) nennt 2.500 bis 10.000 Euro. Dem Konzeptpapier der Großen Koalition zufolge sollen die Autohersteller die Kosten tragen, doch die wehren sich. Bisher haben nur VW und Daimler ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, sich an einem Nachrüstprogramm zu beteiligen; die Kosten wollen sie aber nur anteilig übernehmen. Opel und BMW blocken komplett ab, andere Hersteller wollen noch abwarten. „Bei der Hardware-Nachrüstung müssen wir noch Gespräche führen“, sagt Verkehrsminister Scheuer. Die Haftung übernehmen die Nachrüster selbst, das fordert auch die Bundesregierung. Scheuer: „Jeder muss Verantwortung für seine Bauteile übernehmen.“

Welche technischen Schwierigkeiten gilt es zu lösen?

Es geht vor allem um die Temperaturen, die möglichst hoch sein müssen. Allerdings schwanken die Angaben, wie groß die Hitze tatsächlich sein muss. Baumot Twintec nennt 150 Grad Celsius. Oberland-Mangold sagt, dass der chemische Prozess erst bei einer Abgastemperatur ab 200 Grad in Schwung kommt. Andere Experten halten sogar Temperaturen von 220 bis 250 Grad für nötig. Um dies zu gewährleisten, sollte das SCR-System möglichst nah am Motor installiert werden. Dafür fehlt jedoch meist der Bauraum. Der Kat muss also in großer Entfernung vom Motor verbaut und deshalb extern aufgeheizt werden muss. Ein weiteres Problem: Im Stadtverkehr mit langen Standzeiten und Rollphasen kühlt das System immer wieder ab und muss dann wieder aufgeheizt werden. Daher rührt der vom ADAC ermittelte Effizienz-Unterschied zwischen inner- und außerorts.

Welche Nachteile haben nachgerüstete SCR-Systeme?

Die Nachrüstung von SCR-Katalysatoren sei „ökonomisch nicht sinnvoll und technologisch nicht ausgereift“, sagt Opel stellvertretend für das Gros der Autobranche. Die Autohersteller fürchten, die SCR-Systeme der Drittanbieter könnten Schäden an ihren Produkten verursachen. Fest steht, dass der Spritverbrauch steigt, denn zum Heizen und Dosieren braucht das SCR-System elektrische Energie. Der ADAC ermittelte in seinem Langzeittest bisher einen Anstieg des Dieselkonsums und damit des CO2-Ausstoßes von fünf Prozent. Ein Sechs-Liter-Auto verbraucht also nach der Umrüstung 6,3 Liter. Auto Motor und Sport ermittelte ebenfalls einen geringen Mehrverbrauch: Der nachgerüstete Passat genehmigte sich 6,0 Liter, im Gegensatz zu 5,8 Litern beim Serienmodell. Außerdem gilt es laut ADAC sicherzustellen, dass ein Diesel nicht statt Stickoxiden plötzlich Ammoniak, das als Zwischenschritt bei der chemischen Reaktion entsteht, aus dem Auspuff bläst. Hierfür brauche es schnell reagierende Sensoren, die eine Überdosierung von AdBlue verhindern. Dessen Verbrauch liegt übrigens je nach Modell, Fahrweise und Einsatzzweck zwischen 1,5 und drei Litern auf 1.000 Kilometern – bei einem Literpreis von derzeit etwa 65 Cent. Zu kaufen ist es an immer mehr Tankstellen, in Werkstätten oder im Zubehörhandel.

Wann könnten die Nachrüst-Programme starten?

Das kann heute niemand seriös beurteilen. Die Anbieter halten ihre SCR-Systeme für serien- und marktreif. Bislang fehlt aber eine Richtlinie als gesetzliche Grundlage, auf deren Basis Baumot Twintech, HJS, Oberland-Mangold und Co. eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) für ihre Produkte erwirken können. Die Voraussetzungen dafür will der Bund nun schaffen. Dabei gilt es laut ADAC vor allem zu überprüfen, wie es um die Dauerhaltbarkeit und Betriebssicherheit der Komponenten bestellt ist. Da gerade dies schwer zu testen ist, könnte es noch dauern. Selbst die Kat-Hersteller rechnen damit, dass frühestens in etwa einem Jahr flächendeckend mit Umrüstungen begonnen werden kann. Auch, weil bisher die Unterstützung der Autohersteller fehlt.

Wie kann ich nachweisen, dass mein umgerüstetes Auto in die Fahrverbotszone einfahren darf?

Auch das ist eine spannende Frage, die von der Politik bisher nicht konkret beantwortet wurde. Die blaue Plakette, mit der nachgerüstete Diesel ebenso hätten gekennzeichnet werden können wie Autos mit Euro 6 oder besser, ist endgültig vom Tisch. Laut Verkehrsminister Scheuer soll eine Unterscheidung über das Kfz-Kennzeichen möglich sein. Dass das Auto umgerüstet wurde, soll im zentralen Fahrzeugregister hinterlegt sein, auf das die Verkehrsüberwachungsbehörden dann zugreifen können. Die Hersteller der Nachrüst-Katalysatoren können sich als Alternative auch einen Eintrag in den Fahrzeugschein vorstellen, der aber ebenfalls aufwändig kontrolliert werden müsste. Fraglich ist, ob beide Varianten praktikabel sind. So oder so droht ein Zulassungs- und Überprüfungs-Chaos.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

148 Seiten