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Ablenkung im Straßenverkehr
Was ist gefährlicher als Touchscreens?

Trinken, Taschentücher, Formel 1-Besuch – all das erhöht das Unfallrisiko immens. Wie lange dauert der Blindflug bei Ablenkung?

Reckless, smiling mature woman talking on the phone and holding a cup of coffee while driving a car
Foto: iStockphoto

Sie stehen an der grünen Ampel. Warum? Weil der Fahrer vor Ihnen unbeeindruckt stehen bleibt. Selbst von hinten erkennen Sie den Grund für die verpennte Grün-Phase: Statt den Blick auf den Verkehr zu richten, wird am Smartphone herumgespielt. Solange dies im stehenden Zustand passiert, zehrt es lediglich an den Nerven der anderen Verkehrsteilnehmer.

Während der Fahrt sind die Folgen durch die Smartphone-Ablenkung dramatischer. Denn wenn Sie nur eine Sekunde nicht auf die Straße schauen, sind das 14 Meter Blindflug bei 50 km/h und 28 Meter bei 100 km/h. Auf der Autobahn sind es bereits 36 Meter bei Tempo 130. Bei Tempo 180 rast ein Autofahrer jede Sekunde an einem der weißen Leitpfosten am Straßenrand vorbei. Genau: Die stehen in Deutschland 50 Meter weit auseinander. In Österreich reicht da Tempo 119 (33 Meter Abstand).

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Woman In Car Texting On Mobile Phone Whilst Driving
iStockphoto
Als die Autofahrer auf Anweisung ihr Smartphone vom Beifahrersitz nahmen und eine Whatsapp-Nachricht lasen und beantworteten, wurde ihr Fahrstil bedeutend unruhiger.

Studie von ADAC und ÖAMTC

45 Teilnehmer durften genau dies bei einer gemeinsamer Studie des ADAC und ÖAMTC am eigenen Leib erfahren. Auf jeweils drei Runden auf speziellen Teststrecken wurden den Probanden unterschiedliche Aufgaben gestellt, die zur Ablenkung führten. Mussten sie in der ersten Runde nur auf die ausgeschilderten Tempolimits und Verkehrszeichen achten, erhielten sie auf den beiden Folgerunden per Funk ihre Aufgaben.

Dazu zählten das Lesen und Beantworten von Whatsapp-Nachrichten, eine Packung Taschentücher aus dem Handschuhfach entnehmen und an einen der Mitfahrer auf dem Rücksitz weiterreichen und die Packung zurück auf den Beifahrersitz legen. Ebenfalls durfte der Griff zur Wasserflasche im Seitentürfach und die Eingabe einer Adresse ins Navigationssystem nicht fehlen.

Blickabwendung; Ableckung am Steuer; Brillenetui
ams
Ob Taschentuch oder Spielzeug - wer Gegenstände von vorn nach hinten reicht ist stark gefährdet.

35 Meter Blindflug wegen eines Taschentuchs

Allein bei der Taschentuch-Aufgabe zeigte sich schnell, was solch eine kleine Ablenkung ausmachen kann. Zwei Drittel der Fahrzeuglenker gerieten dabei für 1,5 bis 2,6 Sekunden auf die Gegenfahrbahn. Durchschnittlich drei Sekunden wendeten die Probanden zudem ihren Blick von der Fahrbahn ab. In der Zeit legten sie 35 Meter zurück – im Blindflug.

Ein ähnliches Bild ergab sich beim Griff zur Wasserflasche. Beim Öffnen, Trinken, wieder Schließen und Zurückstellen war der Blick im Schnitt drei Sekunden von der Straße abgewendet. "82 Prozent der Teilnehmer nahmen zudem über eine Strecke von 80 bis 100 Metern beide Hände vom Lenkrad. Gleichzeitig sank die Geschwindigkeit erheblich, und ein Proband geriet bei 60 km/h auf 22 Metern Länge in den – in diesem Fall virtuellen – Gegenverkehr", ist in der Studie zu lesen.

Blickabwendung; Ablenkung am Steuer
ams
82 Prozent der Teilnehmer nahmen beim Öffnen einer Flasche über eine Strecke von 80 bis 100 Metern beide Hände vom Lenkrad.

Die Bedienung von Navi und Smartphone sind Todesfallen

Bedeutend unruhiger wurde der Fahrstil, als die Bedienung des Smartphones anstand. "Beim Tempolimit gab es viele Abweichungen – sowohl nach oben, als auch nach unten. Im Durchschnitt ging der Blick 14-mal weg von der Straße aufs Handy, das summierte sich zu 140 blind gefahrenen Metern. Ein Drittel der Teilnehmer überfuhr die Mittellinie und blieb teilweise für 3,5 bis 4 Sekunden bzw. 35 Meter auf der falschen Straßenseite."

87 Prozent der Probanden wären im Ernstfall mit durchschnittlich 43 km/h auf ein Hindernis geprallt, das in der Navi-Challenge plötzlich auftauchte. Nur ein Drittel der Lenker führte eine Vollbremsung durch. Sechs Sekunden lang beziehungsweise auf einer Strecke von 100 Metern fehlte im Mittel der Blick auf das Verkehrsgeschehen.

Blickabwendung; Ablenkung am Steuer
ams
Moderne Infotainmentsysteme bieten jede Menge Funktionen. Bedienen sollte man sie allerdings besser vor Antritt der Fahrt.

Studien von 2015 zeigte bereits Touchscreen-Gefahren auf

Bereits in einer im Jahr 2015 veröffentlichten Studie im Fachmagazin Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik (VKU) wurde die Bedienung des Navigationsgeräts besonders getestet. Bei dieser Aufgabe ging es ebenfalls um die Messung der fahrerischen Verhaltensreaktion auf ein plötzlich auftauchendes Hindernis. Die Aufschlüsselung fand hier auch in Altergruppen statt.

VKU Ablenkung durch Touchscreen
VKU
Aufprallgeschwindigkeit in km/h an das Hindernis bei der Aufgabe nach Altersgruppe.

Die Aufgabe selbst bestand darin, einen definierten Zielort in ein mobiles an der Frontscheibe angebrachtes Navigationsgerät einzutippen. Das Gerät wurde dazu entsprechend vorbereitet, sodass keine Menüsteuerung zur Eingabe notwendig war. Die Eingabe in das Gerät selbst konnte unmittelbar nach erfolgter Aufforderung begonnen werden.

VKU Ablenkung durch Touchscreen
VKU
Blickabwendungen: Im Blindflug zurückgelegte Strecke während der Ablenkung nach Aufgaben und Geschlecht, differenziert in Prozent.

Unfallgefahr steigt um das 12-fache

Wissenschaftler der Universität Virginia veröffentlichten bereits 2016 eine Studie, nachdem drei Jahre lang das Fahrverhalten von 3.500 Autofahrern mittels Tonband, Videoaufnahmen und Fahrtenschreibern beobachtet wurde. Den Erkenntnissen zufolge steigert der Griff zum Handy während der Fahrt die Unfallgefahr um das 5-fache. Das Lesen oder Tippen einer Nachricht hebt es auf das 6-fache, die Eingabe einer Telefonnummer sogar auf das 12-fache.

Laut einer repräsentativen Studie des Allianz Zentrums für Technik ist Ablenkung am Steuer bei zehn Prozent alles Unfälle mit Personenschaden die Hauptursache, bei rund 30 Prozent spielt sie zumindest eine Rolle.

Mehr Unfälle durch Formel 1

Geschwindigkeit war auch das Thema einer Untersuchung in Großbritannien. Dort haben Forscher einen Zusammenhang zwischen TV-Übertragungen von Motorsport-Events und Unfällen durch überhöhtes Tempo festgestellt. So stieg die Zahl der Unfälle durch Raserei nach einem Formel 1-Rennen im Fernsehen um bis zu 6,3 Prozent. Besonders die Rennsport-Enthusiasten liefen der Studie zufolge Gefahr, das Verhalten der Rennfahrer zu simulieren und dadurch Unfälle zu verursachen. Als Ursache dafür sehen die Forscher das Entstehen einer Verknüpfung im Hirn zwischen schnellem Fahren und einer Belohnung.

Fazit

Auch kleine Gefälligkeiten, wie das Anreichen eines Taschentuchs oder eines Spielzeugs nach hinten, können zur tödlichen Falle werden. Denn allein bei Tempo 50 werden pro Sekunde 14 Meter Strecke zurückgelegt.

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Erscheinungsdatum 03.07.2024

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