Test: Ford F-150 Raptor

Ford F-150 Raptor im Test
Der braucht viel Auslauf

Veröffentlicht am 17.11.2024

Es ist keine sehr abseitige These, dass ein Land seine Autos formt. Das lässt sich leicht belegen, falls man sich einmal aus Versehen in einer engen süditalienischen Kleinstadt auf einen wenig erfolgversprechenden Infight mit einem rauflustig ondulierten Fiat Panda eingelassen hat. Deutsche Mittelklasse bleibt da meist zweiter Sieger. Sehr ähnlich ergeht es einem im Ford F-150, wenn man sich damit in eine ganz normale deutsche Stadt verirrt. Erst recht, wenn es sich wie in diesem Fall um die in Höhe wie Breite nochmals stark dramatisierte "Raptor"-Sonderausführung für den wilden Offroad-Ritt handelt.

Es wird eng im Parkhaus

Der ist irgendwie nicht so recht in Einklang zu bringen mit deutschen Straßenbreiten, Biegeradien und Normstellplätzen. Im Redaktionsparkhaus wirkt der Raptor, als hätte man Basketball-Star Victor Wembanyama von den San Antonio Spurs in ein schwäbisches Jugendherbergs-Stockbett gezwängt. Sieht lustig aus bei 2,24 Metern Körperlänge, funktioniert aber nur mittelgut.

F-150, das ist bei den Stückzahlen der Golf von Ford, eben nur in XXL und mit Ladefläche. Seit 76 Jahren, mittlerweile in 14. Generation, motorisiert der Pritschenlaster die Weiten Nordamerikas. Und seit vier Jahrzehnten ist er das meistverkaufte Auto in den Staaten, 726.004 F-Serie-Pickups konnte Ford allein im vergangenen Jahr dort absetzen, dazu kommt Kanada. In einem Land, das Getränkebecher in Gallonen bemisst und Supermarkt-Parkplätze in Omnibus-Größe bereithält, ist so ein sechs Meter langer Kleinlaster sicherlich eine geschmeidige Wahl für den Alltag. Im alten Europa dagegen muss man gelegentlich die Spiegelohren anlegen, um durch eine Einfahrt zu kommen. Und in der Stadt aufpassen, dass man nicht aus Versehen ein Bushaltestellen-Häuschen umrempelt.

Der Raptor als böse Variante des braven Ford F-150 erblickte 2010 das Licht der Welt. Man wollte das Geschäft mit den Vergröberungsmaßnahmen nicht mehr den Tunern alleine überlassen, sondern selbst an den für heftiges Gelände modifizierten Trucks verdienen. Weil F-150-Eigner in den USA besonders gerne ins weite Land abseits der Straßen aufbrechen, und das gelegentlich mit engagiertem Tempo, bekam der Raptor eine Ausstattung, die sich an die "Trophy Trucks" der US-Wüstenrennen wie die legendäre Baja 1.000 anlehnte. Im Wesentlichen ein verbessertes Fahrwerk und größere Reifen nebst ein bisschen Karosserieschminke, an diesen Grundzutaten hat sich bis heute nichts geändert.

Enorm aufwendiges Fahrwerk

Allerdings an der Ausführung, die inzwischen übertreibungsfrei als wettbewerbstauglich durchgeht. Hauptgrund dafür ist das grundlegend überarbeitete Fahrwerk, bei dem die Postkutschen-Blattfedern des früheren Raptor an der Hinterachse in Rente geschickt wurden. Diese Hinterachse ist zwar weiterhin ein starres Trumm wie im Lkw, wird jetzt jedoch liebevoll und aufwendig von vier Längslenkern und einem Querlenker geführt sowie durch Schraubenfedern abgestützt. Das verschafft dem Power-Pickup nicht nur ein erheblich besseres Federverhalten und eine viel präzisere Radführung als bei früheren Varianten, sondern auch enorme Federwege: 38 Zentimeter an der Hinterachse sind eine Hausnummer, vorn stehen 35 Zentimeter zur Verfügung.

Als Dämpfer an der Hinterachse und in den vorderen Federbeinen kommen Fox-Dual-Live-Valve-Stoßdämpfer zum Einsatz, auch das eine Weiterentwicklung. Mit zwei elektronisch gesteuerten Ventilen für Zug- und Druckstufe und einer von Ford speziell für den Raptor entwickelten Steuerungssoftware passen sich die Dämpfer permanent an den Untergrund an. Das geht bis hin zu einem Sensor am Längslenker, der Flugeinlagen erkennt und die Dämpfer in Sekundenbruchteilen für eine sanfte Landung vorkonditioniert.

Klingt alles prima, aber erst einmal raus aus der Stadt, wo das schwarze Trumm auch bei viel Einfühlungsvermögen einfach fehl am Platz ist. Bereits das Entern der Kabine ist außergewöhnlich. Die Trittbretter, die bei den Pickups, die üblicherweise in Europa erhältlich sind, eine weitgehend sinnfreie Deko darstellen, sind beim Ford F-150 Raptor hochwillkommen; hier wird nicht ein-, sondern aufgestiegen, um in die Eingangshalle zu gelangen. Und dort wird, angesichts der Fahrzeuggröße nicht sehr verwunderlich, in reichlich Platz geschwelgt. Einfach alles ist XL, die Schalter lassen sich vermutlich auch mit Boxhandschuhen bedienen. In der abgrundtiefen Mittelkonsole möchte man spontan ein Billy-Regal für bessere Übersicht installieren, und der Fahrstufenhebel kommt in der Dimension eines veritablen Vorschlaghammers daher. Höflich zeigt sich der F-150 dabei gegenüber jeder Körpergröße und -formung. Denn neben der elektrischen Verstellung für Fahrersitz und Lenkrad lässt sich die gesamte Pedalerie per Knopfdruck in der Weite verstellen, auch kurzbeinige Raptor-Liebhaber sollen hier ihre Freude finden.

Fast sechs Meter lang

Der Ablegevorgang geschieht mit angemessenem Drama, weil der 3,5-Liter-V6 zum Start mit leichtem Zorn aus der zweiflutigen Auspuffanlage bellt, die rechts und links unter der Ladefläche in armdicken Endrohren mündet. Und dann wird es erst mal eng rund um den Truck. Nur kurz zur Einordnung die Eckdaten: 5,91 Meter lang, 2,18 Meter breit (natürlich ohne Spiegel), und ein Radstand von fröhlichen 3,69 Meter. Da denkt man weniger an lustiges Kurvengewedel als daran, mit dem Heck beim Abbiegen bloß nichts abzuräumen. Der Weg in die Freiheit durch den Innenstadt-Stau funktioniert dann allerdings weitgehend problemlos, auch weil die anderen Verkehrsteilnehmer Respektabstand einhalten. Nachvollziehbar. Die Reifen alleine sind fast einen Meter hoch, aus einer C-Klasse kann man dem F-150 Raptor an der Ampel gerade mal ins Radhaus starren.

Der Raptor wird nicht nur durch sein Fahrwerk zum Bösewicht, sondern auch durch einige seiner vielen Einstellmöglichkeiten. Die lassen sich über die sieben verschiedenen Fahrprogramme diversifizieren, aber nicht nur dort. Im Multifunktionslenkrad sind zusätzliche Schalter untergebracht, mit denen sich das Ansprechverhalten der Stoßdämpfer und der Lenkung stufenweise anpassen lässt. Und das der Klappen-Auspuffanlage, die zur Klangverbesserung mit zwei exakt gleich langen Rohrsträngen pro Zylinderbank ausgeführt ist. Vier Einstellungen zwischen halbwegs nachbarschaftstauglicher Schleichfahrt und rüdem Gebrüll im (offiziell nur im Gelände zulässigen, zwinker-zwinker) Baja-Modus lassen sich hier aktivieren.

Wer der mehrheitstauglichen Meinung ist, bei einem solchen Fullsize-Truck gehöre gefälligst ein V8 unter die Haube, dem macht der lustigerweise (Testverbrauch 15,7 l/100 km) Eco-Boost getaufte V6 ein versöhnliches Freundschaftsangebot. Denn der Biturbo-Motor mit seinen 3,5 Litern Hubraum nimmt seinen Auftrag sehr ernst, schiebt das 2,7 Tonnen schwere Eisengebirge nach kurzem Luftholen energisch voran. Noch mehr Spaß machen Zwischenspurts. Beim Überholen, beim Einfädeln auf die Autobahn oder einfach bei kurzfristigem Übermut rumort der Raptor mit höchstem Engagement in Richtung Horizont, gut unterstützt von der passend abgestuften und sämig schaltenden Zehngangautomatik. Dabei zeigt sich der Pickup als fähiges Langstreckenfahrzeug mit stoischem Geradeauslauf, niedrigen Fahrgeräuschen und komfortablen Sitzen.

Prähistorischer Bremsweg

Bei alledem benötigt der Ford aber viel Platz und wohlüberlegten Sicherheitsabstand zum restlichen Verkehr. Die sehr indirekte Lenkung genügt für ungefähre Richtungswechsel, aber kaum zur superpräzisen Wahl der Fahrspur. Ähnlich verhält es sich mit dem dramatisch langen Bremsweg (kalt 44,2 m aus 100 km/h), der Notbremsungen zum echten Abenteuer macht, nicht zuletzt wegen der riesigen Geländereifen. Bei Alarmbremsungen aus hohem Autobahn-Tempo wird es mit den Rubbelgummis geschäftig am Lenkrad, der teigige Druckpunkt des Bremspedals macht die Sache nicht besser.

Im Gegensatz dazu zeigt sich das Fahrwerk auf der Straße von praktisch allen Fahrbahnzuständen unbeeindruckt. Mit einem für einen Pickup sehr hohen Komfort werden Querrillen, Frostaufbrüche, veritable Schlaglöcher oder Temposchwellen einfach inhaliert, ohne die Besatzung mit unbotmäßiger Schüttelei zu belästigen. Kehrseiten der gewaltigen Federwege – man ahnt es – sind eine bemerkenswerte Schräglage in flink angesteuerten Kurven und eine wilde Wankneigung bei schnellen Spurwechseln.

Im Gelände blüht er auf

Weil der Ford F-150 Raptor aber vor allem fürs Gelände gebaut wurde, führt an einem ausgiebigen Offroad-Test kein Weg vorbei. Dort leidet der große Pickup von vornherein unter demselben Problem wie im Straßenverkehr – er ist einfach monströs groß. Von Fahrten auf engen Waldwegen verabschiedet man sich daher schon gedanklich, ohne es überhaupt zu versuchen, weitläufige Verhältnisse sind gefragt.

Hier aber sammelt das Riesengerät die Pluspunkte im Dutzend ein. Den gewaltigen, bei steilen Kuppen eigentlich limitierenden Radstand egalisiert der Raptor mit seiner enormen Boden- und Bauchfreiheit. Überragend ist die Achsverschränkung, was im zerklüfteten Terrain den Griff zur serienmäßigen Hinterachssperre so gut wie überflüssig macht. Ebenso selten wird angesichts der im ersten Gang sehr kurz gestuften Automatik die Geländeuntersetzung benötigt. Wird es aber wirklich schwierig, liefert diese mit einer Übersetzungsverkürzung im Verhältnis 2,6:1 so viel Drehmoment an die Räder, dass nur noch die Haftung der BF-Goodrich-Gummis über das Weiterkommen entscheidet. Raubtiere fühlen sich eben in freier Wildbahn am wohlsten.

Technische Daten
Ford F-150 Raptor
Grundpreis143.990 €
Außenmaße5908 x 2184 x 2027 mm
Hubraum / Motor3491 cm³ / 6-Zylinder
Leistung336 kW / 456 PS bei 5850 U/min
Höchstgeschwindigkeit172 km/h
0-100 km/h5,9 s
Testverbrauch15,7 l/100 km