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Rolls-Royce Ghost 6.6 V12 im Test
Wenn Lordschaft Dynamik begehrt

Ein wenig flinker soll der Rolls-Royce Ghost 6.6 V12 über die Straßen huschen, denn ein in Richtung Agilität modifiziertes Fahrwerk stimme den Selbstfahrer milde, behaupten die Briten. Ob es der 571 PS starken Limousine damit auch gelingt, gängigen Klischees auszuweichen?

Rolls-Royce Ghost, Frontansicht
Foto: Hans-Dieter Seufert

Ganz kurz flackert sie dann doch auf, die Idee, zwei Löcher in ein Bettlaken zu schneiden, es sich überzustülpen und sich so vor dem Rolls-Royce Ghost ablichten zu lassen. Ghost – Geist – haha, Sie verstehen. Um diesen platten Gag konnte die jüngst modellgepflegte Luxuslimousine aber gerade noch einen Haken schlagen. Dagegen scheiterte der Versuch, die Klischees von Geisterstimmung, Ländereien und alten Gemäuern zu umkurven. Schön, dass sich das mit Johann Wolfgang von Goethe ein wenig rechtfertigen lässt: „Die Welt urteilt nach dem Scheine“, lässt er seinen Clavigo im vierten Akt des gleichnamigen Trauerspiels feststellen.

Das war 1774, geändert hat sich daran nicht viel, bis heute. Hinter dem geradezu rebellisch dreispeichigen und traditionell dünn bekranzten Lenkrad könnte es selbstverständlicher kaum sein, mit dem Rolls-Royce Ghost Kurs auf Schlösser, Burgen oder wenigstens Landsitze zu nehmen, dabei sämtlichen Stress auf dem stundenlang polierten Lack abperlen zu lassen.

Nicht immer stumme Diener

Verfahren? Oh dear! Am serienmäßigen Navigationssystem mag sich zwar besonders deutlich die Zugehörigkeit von Rolls-Royce zur großen, glücklichen BMW-Familie zu erkennen geben, doch gerade beim Infotainment könnte das kaum unerheblicher erscheinen. Also hilft die dienstbare Stimme, unterstützt vom Echtzeit-Stauwarner, den angenehmsten Weg zu finden. Mehr noch: Das GPS-Signal informiert das Achtstufen-Automatikgetriebe darüber, welche Fahrstufe ob der Topografie angemessen wäre. Überhaupt die Assistenten: WiFi-Hotspot, Nachtsichtassistent, Head-up-Display, Abstandsregeltempomat, Spurverlassenswarnung – alles dabei, ganz ohne Lohnsteuerkarte und Sozialversicherungsnummer. Dafür tragen diese Assistenten keine Maßanzüge und können auch keine Schleuderwende, doch der Rolls-Royce Ghost versteht sich ohnehin als Limousine für Selbstfahrer.

Burgen und Bussi-Bussi

Und der Rolls-Royce Ghost lässt Burg Stettenfels weiter in der Dämmerung vor sich hin marodieren, spürt schnell wieder den Neckar auf, dort, wo geometrisch mit Weinreben überzogene Uferhänge auf das Frühjahr warten. An der sacht mit LED-Scheinwerfern und etwas fülligeren Stoßfängern aufgefrischten Karosserie sehen die Münchner Eurokennzeichen zwar ein wenig zu sehr nach Moshammer-Bussi- Bussi aus, britische oder Schweizer (vorzugsweise ZH oder GE) Nummernschilder wären stilvoller. Doch als zöge er einen Glanzschweif hinter sich her, erhellt der Rolls-Royce Ghost auch Nordwürttemberg – zuweilen durchaus eine bemerkenswerte Leistung.

Dunkler Lack in Blue Velvet, cremefarbenes Leder mit schwarzen Kontrastnähten und mindestens ein Klafter helles Holz der Rasse „Crossbanded Paldao“ bedienen wiederum ein Klischee, klassischer könnte die Farbkombination im Rolls-Royce Ghost kaum ausfallen. Einzig das vom Frontscheibenrahmen bis zum Stoßfänger herabfließende Alusilber hebt sich davon ab, mischt ein bisschen Punk unter die Kammermusik. Burg Hornberg reckt unterdessen Turm und Giebel in die Sonne, chinesische Touristen rascheln durchs Laub, der Rolls-Royce Ghost zwängt sich durch den Torbogen – und wieder passt die Stimmung wie Marmelade zum Scone, keine Chance, dieses Klischee zu umgehen. Und es tut auch überhaupt nicht weh. Gleiches gilt übrigens für ein Designmerkmal, mit dem sich der neue Rolls-Royce Ghost Modelljahrgang offenbart: die sichtbaren Endrohre der Abgasanlage – hui.

Ein Dynamik-Paket für den Rolls-Royce Ghost darf die geschätzte Klientel nun ordern, in das Rolls-Royce noch 21-Zoll-Räder packt. Modifizierte Dämpfer, neu gestaltete Fahrwerksstreben und ein neues Lenkgetriebe stecken dagegen in jedem Rolls-Royce Ghost, das 6,6-Liter-V12-Triebwerk sowieso. Doch ebenso wenig, wie auf Schlössern und Burgen heutzutage noch Kämpfe ausgetragen werden, bei denen es um die Neuverteilung von Land oder wenigstens um das Herz einer Dame geht, muss ein Rolls-Royce heute den Alpine Trail in Bestzeit stemmen oder scotchdurchtränkte Wettfahrten ambitionierter Gentlemen überstehen. Obwohl … wie auch immer. Der Rolls-Royce Ghost Series II behält jedenfalls trotz seiner Leistung von 571 PS und des maximalen Drehmoments von 780 Nm die markentypische Unaufgeregtheit bei.

Rolls-Royce Ghost kann auch wild

Wenn es denn sein muss, schubst die Limousine jedoch in 4,9 Sekunden aus dem Stand die 100-km/h- Schallmauer um, beschleunigt in 15,8 Sekunden auf 200 km/h – und verzögert mit bis zu 11,2 m/s² durchaus sicherheitsbewusst. Nur selten allerdings bewegt sich die Nadel der Kraftanzeige, verdeutlicht so, dass der V12 im Rolls-Royce Ghost kaum mehr als 20 Prozent seiner Leistung aufwendet, um zwischen Bauland und badischem Odenwald ein paar nett drapierte Landstraßen zu finden. Angaben zur Drehzahl? Thanks, but no thanks.

Generell behelligt der Rolls-Royce Ghost seinen Fahrer nur ungern mit Zahlen, verschweigt selbst Temperaturangaben für den Innenraum. Ein fließender Übergang von Blau nach Rot auf den massiven Reglern reicht, und nahezu geräuschlos strömt die Luft aus den Öffnungen, aus deren Material sich wohl ein kontinentaleuropäischer Kleinwagen falten ließe. Der Antriebsstrang arbeitet ebenso unauffällig, das Triebwerk rauscht bestenfalls etwas vernehmlicher, falls ihm doch mal seine Leistung abverlangt wird, und das Automatikgetriebe huscht sanft durch die verschiedenen Übersetzungen. Manuelle Eingriffe? Nicht vorgesehen, Selbstfahrer hin oder her. Ein betont dünner Hebel an der Lenksäule des Rolls-Royce Ghost erscheint den Briten mehr als genug Bedienung für das Getriebe.

Jetzt tauchen sie dann doch auf, die ersten Kurven, in einem verlassenen Winkel nördlich von Mosbach, dort, wo sich die Vegetation vier Wochen früher entsommert, dafür aber vier Wochen länger in der Winterstarre verharrt als im Neckartal. Viel los ist hier nie, gut so, denn der große Rolls-Royce Ghost benötigt Platz. In seinen Kreisen muss man offenbar nicht teilen.

Und nun auch noch Kurven

Das Fahrverhalten des Rolls-Royce Ghost lässt sich wohl am besten mit „ambitioniertem Wogen“ umschreiben, gemessen an Masse und Größe vielleicht sogar dynamisch, dennoch immer betont komfortabel – und leise, so wunderbar leise. Ja, es ginge schon schnell, an der ausreichend präzisen Lenkung soll es nicht scheitern, doch es fühlt sich einfach nicht richtig an. Falsch eigentlich auch nicht, aber irgendwie – hach, ein Dilemma, wenngleich nicht von Clavigo’schem Ausmaß.

Die Römer trabten einst durch dieses Gäu, hinterließen Wachposten und Kastelle, noch heute in Fragmenten erkennbar. Der Rolls-Royce Ghost sticht die rudimentäre Vergangenheit allerdings mit der prächtigen Gegenwart seines Interieurs aus. Es mag schon so viele Geschichten über die dicken Teppiche geben, wie diese Fasern tragen, doch wenn darin die Schuhe versinken, scheint sich all der Luxus dieser Welt in einer banalen Fußmatte zu verdichten. Dazu penibel bis ans obere Ende der Dachsäulen verlegtes Leder, poliertes Holz, das sich mit gewollter Willkür durch den Innenraum masert. Vier elektrisch einstellbare, frisch konturierte Sitzmöbel verteilen ihre Bequemlichkeit ganz demokratisch. Weiche Polsterung, natürlich, jedoch nicht von jener Art, die einen rückenstrapazierend aufsaugt. Es existiert sogar die Illusion von Seitenhalt, die sich mit der Illusion von Fahrdynamik zu einem harmonischen Bild fügt.

Weitere Annehmlichkeiten: In den mächtigen vorderen Türen stecken nicht minder mächtige Regenschirme. Die hinteren Portale öffnen natürlich in die Gegenrichtung, lassen sich wunderbar dekadent per Knopfdruck am Rahmen des dritten Seitenfensters schließen. Selbst Isofix-Aufnahmen sahen die Entwickler vor. Wer in einem Rolls-Royce Ghost Kinder spazieren fährt? Nun, vermutlich wohlhabende Menschen, die sich der Sinnlosigkeit eines SUV bewusst sind – oder die einen echten Geländewagen als Arbeitsgerät fürs Personal vorhalten.

Pause vorbei, das Head-up-Display im Rolls-Royce Ghost grüßt erneut mit „Rolls-Royce Motor Cars Goodwood“, das Holzelement mit Emily-Intarsie schwingt nach oben, gibt den großen Bildschirm frei, darauf wartend, eine neue Zieleingabe zu erhalten. Ziele verfolgte Goethes Clavigo ebenfalls, hatte es „ohne Stand, ohne Namen, ohne Vermögen“ bereits zum Archivar des Königs in Madrid gebracht. Eine Abfolge schlechter Ideen und falscher Entscheidungen kostet ihn am Ende das Leben. Das hätte die Nummer mit dem Bettlaken wohl nicht, der gute Ruf wäre aber auf jeden Fall dahin.

Fazit

Natürlich begeistert die handwerkliche Qualität, mit der Rolls-Royce bereits das Einstiegsmodell Ghost möbliert. Großartig ist allerdings auch, dass die Limousine nicht nur wunderbar komfortabel, sondern auch engagiert und sicher fährt.

Technische Daten
Rolls-Royce Ghost
Grundpreis277.657 €
Außenmaße5399 x 1948 x 1550 mm
Kofferraumvolumen490 l
Hubraum / Motor6592 cm³ / 12-Zylinder
Leistung420 kW / 571 PS bei 5250 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
0-100 km/h4,9 s
Verbrauch14,0 l/100 km
Testverbrauch16,3 l/100 km
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