Renault Scenic & VW ID. 5 im Test

Renault Scenic E-Tech 220 & VW ID. 5 Pro im Test
Fährt der Scenic mit neuer Form zum Testsieg?

Veröffentlicht am 02.01.2025

Wählt man bei der Benennung eines neuen Autos den Weg in die Historie, dann braucht man selbige überhaupt erst mal. Daran bestand schon bei der Präsentation des ersten Scénic , 97 Jahre nach Gründung Renaults, kein Mangel.

Als einer der ersten Kompakt-Vans passte er gut in das Jahr 1996. Die bunten, grellen 90er, die etwas kriselnde Wirtschaft und natürlich die Ernennung der Gemeinen Kuhschelle zur Blume des Jahres flankierten die Einführung des ersten europäischen Kompakt-Vans, der auf die Ansprüche der Zeit zugeschnitten war: ein modischer Wagen mit viel Platz und bescheidenen Wurzeln zum fairen Preis, der auch das eine oder andere Gartenbauprojekt mit ein paar Kuhschellen wegsteckt.

Unkreativ oder zeitgemäß?

Der Renault Scénic basierte auf dem damaligen Mégane, was uns ins Jetzt holt, denn 28 Jahre später sitzen der elektrische Megane E-Tech und der neue Scenic E-Tech ebenfalls auf derselben CMF-EV-Plattform. Nur – die Zeichen der Zeit eben – ist der Scenic nun ein Stromer im SUV-ähnlichen Gewand. Schlimm? Das muss der Test gegen den VW ID.5 zeigen. Ist Renaults Entscheidung für einen weiteren Elektro-SUV etwas unkreativ, verglichen mit dem Ausheben einer neuen Fahrzeugklasse? Ein bisschen vielleicht. Okay, die sogenannte Igenius-Armlehne mit ausklappbaren Smartphone-Haltern finden jüngere Mitfahrer sicherlich nicht schlecht.

Dafür fehlen die verschiebbare Rückbank oder die praktischen Tabletts an den Vordersitzen. Trotzdem ist bei Weitem nicht alles schlecht: Den Fond entert man durch beachtlich große Türen. Dort gibt es reichlich Bein- und Kopffreiheit, eine bequeme Rückbank, deren Sitzfläche jedoch für größere Mitfahrer etwas zu flach liegt. Vorn: ein gelungener Mix aus Tasten, etwa für die Klimasteuerung, klar beschriftete Knöpfe am Lenkrad und das fixe Google-Infotainment, das zwar die Laderouten mit Maps präzise und schnell plant, ohne Internetverbindung jedoch ziemlich nutzlos wird. Klasse: die Assistenztaste links des Lenkrads, mit der man einen individuellen Modus aktiviert, der beispielsweise den lästigen Tempolimitwarner mühelos lahmlegen kann.

Das große Tachodisplay leidet, abgesehen von der Kartendarstellung, meist unter Informationsarmut. Ein Head-up-Display gibt es nicht. Nervig: die Ausfahr-Türgriffe, die sich gerne und schnell wieder einziehen und dann noch einmal herausgefummelt werden wollen.

Macht sich klein

Irgendwie hat die Renault-Ingenieure der Sinn für das Praktische beim Kofferraum endgültig verlassen: kleiner Ausschnitt, hohe äußere und innere Ladekante und ein Ladeabteil, das nicht so recht nach den angegebenen 545 Litern aussieht und bei geklappter Rückbank keinen ebenen Boden bietet. Immerhin gibt es ein großes Unterflurfach für die Kabel, denn unter der vorderen Haube sitzt der Antrieb. Der arbeitet eher verhalten, was Bauchkribbeln genauso vermeidet wie den verfrühten Besuch beim Reifenhändler. Dafür sorgt der große 87-kWh-Akku bei passabler Effizienz für sehr ordentliche Reichweiten.

Die Lenkung spricht direkt an, der Renault Scenic E-TEch 220 L. R kann den agilen Ersteindruck aber nicht halten. Bei höherem Lenkwinkel lenkt er seltsam indifferent und gefühllos, hier grätscht das ESP bei jedem Anflug von Querdynamik weit vor der Haftgrenze ein. Immerhin federt der Renault passabel mit deutlichen Karosseriebewegungen. Gut: der nachvollziehbar regelnde Spurhalter. Nervig: das nervös ansprechende Bremspedal, die misslungene Darstellung der 360-Grad-Kamera und der zu Phantombremsungen neigende Abstandstempomat.

Und auf der anderen Seite? VW benannte seine zweite Generation E-Fahrzeuge konsequent neu mit dem ID-Namenszusatz. Der erste Aufschlag ging mit Software- und Qualitätsproblemen in die Hose. Aber ist der Ruf erst mal ruiniert, züchten sich die Kuhschellen ganz ungeniert, oder wie war das? Jedenfalls sind die Fortschritte der ID-Modelle nicht von der Hand zu weisen, ihre bestehenden Einschränkungen jedoch ebenfalls nicht.

Digitaler Aufschwung

Das neue Infotainment stürzt nicht mehr ab, lässt sich simpler bedienen und bietet dank Shortcuts kürzere Menüwege. Trotzdem toucht man im ID.5 auf dem Screen herum, will man den Tempolimitwarner deaktivieren oder die Klimaanlage verstellen, und noch immer fehlt eine Zurück-Taste. Auch das Touch-Lenkrad bleibt eine fummelige Sache. Digital hat der VW ID.5 trotzdem einiges zu bieten: Er besitzt die umfangreichere Sprachsteuerung, die auch in Fahrzeugmenüs führt und beim Abschalten von Assistenzsystemen hilft. Darüber hinaus offeriert VW eine der besten und am weitesten konfigurierbaren Laderoutenplanungen auf dem Markt.

Auf der Minusseite bleibt das triste Hartplastik-Cockpit, das zwar ordentlich verarbeitet ist, aber selbst im Options-Braun wenig fürs Auge bietet. Besser: die optionalen Sportsitze mit Komfort und Seitenhalt. Im Fond gibt’s etwas weniger ausladende Platzverhältnisse als im Renault. Die absinkende Dachlinie kostet Ladehöhe und Großgewachsenen ein wenig Raum am Kopf. Dafür sitzen sie auf der höher positionierten Bank mit entspannterem Kniewinkel. Beim Ladevolumen und der Praktikabilität hält der ID.5 Pro trotz seiner Coupéform mit dem Renault mit. Etwa mit dem ebenen und zweistufigen Ladeboden und mit der besseren Beladbarkeit. Auch beim VW landen die Kabel mangels Frunk in einem Unterflurfach.

Getarnte Kilos

Mit den 210 kW seines Heckmotors geht der VW deutlich kräftiger zu Werke als der Renault, bietet jedoch weniger Rekuperationsvarianz. In Kurven lenkt der 272 kg schwerere  VW ID.5 Pro im ersten Moment behäbiger ein als der Renault Scenic. Das liegt an der zahmer ansprechenden Lenkung, die mehr Lenkwinkel fordert. Dabei steuert man den VW aber stets präzise und harmonisch, ohne indes viel Feedback im Lenkradkranz zu spüren.

Der ID.5 wankt deutlich, gibt sich aber stets nahbar und exakt. Bei aktiviertem ESP-Sport-Modus spürt man am sanften Gieren des Hecks sogar kurz den Hinterradantrieb. Mit Adaptivdämpfern spricht der VW etwas sanfter als der Renault an, hält den Aufbau auf nachlässig gepflegten Straßen stabiler, wirkt mit seinen 21-Zoll-Rädern auf Gullydeckeln in der Stadt jedoch eine Spur holziger. Trotz des Mehrgewichts glänzt der ID.5 bei der Effizienz. Seine aerodynamischere Form verschafft ihm einen Vorteil gegenüber seinem Plattformbruder ID.4: Das Coupé ist mit cW 0,26 strömungsgünstiger als der Steilheck-SUV mit 0,28. Trotz 10 kWh weniger Batteriekapazität fährt er fast so weit wie der Renault Scenic E-Tech 220 Long Range.

Und die Preise? Hier hat Renault anscheinend etwas den Bezug zum Jetzt verloren, denn der top ausgestattete Renault Scenic Esprit Alpine kostet über 50.000 Euro. Dafür bekommt man im Fachhandel zwar 14.527 kleine Kuhschellen, nicht jedoch – und hier wird’s noch bitterer – einen VW ID.5 Pro, und schon gar nicht auf dem Ausstattungslevel des Renault. Der VW ist zwar das bessere, weil effizientere und komfortablere Auto mit eigenem neuen Namen, jedoch enttäuscht er mit dieser Preisgestaltung die Erwartungen an einen anderen Namen: Volkswagen.

Technische Daten
VW ID.5 ProRenault Scènic e-Tech 220 Esprit Alpine
Grundpreis48.970 €50.100 €
Außenmaße4599 x 1852 x 1618 mm4470 x 1864 x 1571 mm
Kofferraumvolumen549 bis 1561 l545 bis 1670 l
Höchstgeschwindigkeit180 km/h170 km/h
0-100 km/h6,7 s8,6 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km17,2 kWh/100 km
Testverbrauch23,0 kWh/100 km24,4 kWh/100 km