Porsche 963 RSP: Le-Mans-Prototyp mit Straßenzulassung im Test

Porsche 963 im Test
Wie wild darf Straßenverkehr eigentlich sein?

ArtikeldatumVeröffentlicht am 16.08.2025
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Es war einmal 1975: Porsche 917, mit Straßenzulassung. Im April vor 50 Jahren fuhr der italienische Geschäftsmann, langjährige Porsche-Sponsor und Martini-Erbe Count Rossi mit einem Porsche-Rennwagen 917K auf eigener Achse nach Paris. Porsche hatte mit diesem Rennmodell 1970 seinen ersten Gesamtsieg in Le Mans geholt. Count Rossi hatte Kohle, dann haben Träume keine Grenzen. Er ließ bei Porsche einen 917K mit Straßenzulassung aufbauen, um vergnügliche Spritztouren zu unternehmen. Die Frage lautete nicht, ob das Sinn machte. Spaß hat es gemacht.

Es war einmal 2025: Porsche 963 mit Straßenzulassung. Und wir müssen Sie gleich enttäuschen, liebe Leser: Der Autor fuhr 50 Jahre nach Count Rossi nicht im 963 auf eigener Achse nach Frankreich. Und der Porsche 963 hat als Hypercar-Prototyp seit seinem Debüt 2023 zwar viel gewonnen, aber leider noch nicht in Le Mans. In diesem Jahr schrammte er denkbar knapp vorbei, im Ziel fehlten 14,084 Sekunden auf den siegreichen Ferrari. Aber das ist eine andere Geschichte.

"Marcus, kannst du früher nach Le Mans kommen?" Pause. "Es lohnt sich! Nur du und drei andere dürfen fahren." Porsche-Motorsport-Kommunikator Holger Eckhardt weiß, wie man Fische fängt. Der Anruf kam Dienstag, drei Tage später stehen wir auf dem Aéroport du Mans, schütteln einige Hände. Und die Köpfe. Vor uns strahlt in historisch korrektem Martini-Silber (auch ein Seitenhieb auf die Pfeile von Mercedes und Audi?) der Porsche 963 RSP. Was für eine total bekloppte Karre! Wer hat sich das ausgedacht? Und wie fährt sich so etwas? Der rechte Fuß beginnt schon zu jucken.

Erst Bedenken, dann Begeisterung

Ein Porsche 963 mit Straßenzulassung? Das sind fünf mal zwei Meter pure Rennsporttechnik, rund 1.100 Millimeter hoch. Die Linien hat der Windkanal gezeichnet. Ein brutaler Anblick. Sicher nichts für die Straße. Vorne am Silberpfeil prangt ein französisches Nummernschild zum Beweis des Gegenteils: W-742-MH. Links ein F für Frankreich, rechts die 92 fürs Département Hauts-de-Seine. Okay, es ist ein Händlerkennzeichen, aber immerhin!

Die Idee hatte der amerikanische Porsche-Importeur, und der Weg war lang. Erst gab es mehr Bedenken als Begeisterung. Dann siegte die Porsche-Eigendynamik: "Geht nicht" gibt’s nicht! Also wurde in der Rennabteilung in Weissach ein originales Rennchassis aufgebaut, das dann im Porsche-Workshop in Atlanta verstraßelt wurde: Einige Renn-Utensilien fielen den Zulassungsbestimmungen zum Opfer, wie die martialisch-illegalen Radhaus-Entlüftungen. Die Fahrwerksaufhängungen wurden angepasst, die Bodenfreiheit erhöht, Scheinwerfer und Rückleuchten adaptiert, eine Blinkerfunktion ergänzt und einige rennspezifische Betriebssysteme entfernt. Doch die Hülle und Linie des Rennautos blieben unverschandelt. Einziger Unterschied: Die Verarbeitung der Komponenten und die Lackierung ragen weit über alle Rennsportstandards hinaus.

Zwei Mechaniker entfernen die riesige Heckabdeckung, unter der Motor, Hybridantrieb und Getriebe in Reihe strammstehen. Der Fachmann erkennt sofort: Hier wurde kein Schindluder getrieben, alles original. Sogar die Auspuffanlage ist identisch. Der deutsche TÜV, für seine Milde und Nachsicht weltberühmt, wäre spätestens hier ausgestiegen. Es gibt Regeln, von der Lautstärke über die Emissionen und Crashvorschriften bis zu weiß der Kuckuck was. Da hätte auch keine Einzelzulassung mehr geholfen. Nicht in Deutschland!

Die Tür schwingt weit nach oben. Von wegen Rennauto! Lederduft steigt in die Nase, der Innenraum ist mit beigen Häuten und feinstem Alcantara ausgeschlagen, auch der Sitz, sogar das Rennlenkrad. Rechts neben dem Fahrersitz erlaubt eine neue Ablage die Unterbringung von Headset und Lenkrad. Es gibt eine Rückfahrkamera, eine Hupe – und sogar einen Cupholder! Womit endgültig klar ist: Die Federführung beim 963 RSP hatte Amerika.

Aus Amerika stammt auch der Käufer des Unikats, das theoretisch noch Duplikate gebären könnte, über das Sonderwunsch-Programm von Porsche, wo es ja eine Preisliste für Unbezahlbares gibt. So wie für Roger Searle Penske. Seine Initialen geben diesem Porsche den Namen: 963 RSP. Das kann man nicht kaufen, das wird einem gegeben. Penske ist ein milliarden-schwerer Unternehmer und Ex-Rennfahrer, vor allem darf der 88 Jahre alte Ami mit Fug und Recht als einer der bekanntesten und erfolgreichsten Motorsport-Teamchefs auf dem Planeten gelten. Er ist die Vaterfigur des US-Rennsports. Er ist Partner von Porsche mit dem 963, rund um den Globus. Er hat fast alles gewonnen, was man gewinnen kann.

Außer Le Mans. Sein letzter großer Traum ist der Sieg in Le Mans zusammen mit Porsche. Der 963 mit Straßenzulassung ist jetzt so eine Art Überbrückung: "Wie beim Count Rossi 917 wollte ich, dass dieses Auto seiner Ausgangsbasis treu bleibt und so wenig Änderungen wie möglich erhält", sagt Penske. Der prüfende Blick sagt: Alles roger!

Genug der Worte! "Willst du mal reingleiten? Mit den Schuhen wird das aber nix!" Timo Bernhard hat immer was zu lachen. Der ehemalige Le-Mans-Sieger und Langstrecken-Weltmeister ist die Allzweckwaffe bei Porsche: Fahrpräsentationen, historischer Motorsport, Spezialprojekte. Heute also 963 RSP, Timo baby-sittet die handverlesene Kutscher-Schar. Der 963 wurde für Männer wie ihn gebaut: 174 cm, 60 kg. Der kann überall reingleiten!

Hauptsache, was zu lachen

Nicht so der Autor. Stellen Sie sich vor, Ihre Augen wären verbunden, Sie müssten auf einem Bein stehen und den Fuß des anderen Beins mit einem Arm in einen Kompressionsstrumpf einfädeln – ungefähr so "gleitet" der Autor in den 963, wobei immer einige Körperteile nicht da sind, wo sie sein sollten. Endlich drin, stellt sich heraus, dass Timo recht hatte: Mit Straßen-Sneakern tritt man beide Pedale gleichzeitig, was die Sache ausbremst. Also aussteigen, Schuhe tauschen und alles noch mal von vorne. Die Umherstehenden haben gut lachen, allen voran Timo.

Einmal drin, will man nie mehr raus. Erstens, weil das Aussteigen ähnlich kompliziert ist wie das Einsteigen. Zweitens ist das Eingepferchtsein im Cockpit-Kerker subjektiv die coolste Erfahrung im 963. Das Cockpit wird zum Schraubstock, man ist knalleng mit dem Auto verbunden, Mensch und Maschine sind eins. Gefühlt. Durch die Verblockung wird alles intensiver: die mechanischen Laufgeräusche des Motors, die Brüllorgien der offenen Abgasanlage, das Pfeifen der Turbolader, die Abrollgeräusche der Reifen, das Prasseln der Steinchen im Radhaus. Mittendrin statt nur dabei.

Dafür muss man erst mal in Fahrt kommen, ein sensibles Thema für Track-testende Journalisten. Rennkupplungen sind launische Zicken, deren Aufgabe weniger der Kraftschluss ist als das Blamieren Ungeübter. Mit dem Porsche 963 RSP aber könnte jeder Fahranfänger losfahren, hätte er beim Briefing für das lange Startprozedere aufgepasst: Hauptschalter an, Zündung an, Hybrid an, Pitstop-Limiter aktivieren, Kupplungs-Paddel am Lenkrad ziehen, ersten Gang einlegen, Gas geben – und schon surrt man los. Den elektrischen Saft dafür liefert das Hybridsystem. Sobald der Tacho mehr als 40 km/h anzeigt, lässt man die Kupplung einfach los, woraufhin der Verbrenner mit martialischem Rumpeln zum Leben erwacht. Von da an kann man Kuppeln getrost abhaken.

Das Vertrauen in Journalisten hat Grenzen, abzulesen an Kleinigkeiten. Für die hübschen Bilder zur Illustration dieser Story in und um Le Mans war Timo Bernhard zuständig, dem man bei Porsche schon teurere Autos anvertraut hat. "Im Stadtverkehr lässt sich der 963 völlig entspannt fahren, der Umgang ist viel freundlicher und nachsichtiger als beim Rennauto, und natürlich ist alles viel komfortabler", sagt Bernhard. Bei den Tracktest-Runden auf dem Aéroport du Mans war es Timos Job, den Übereifer der kampfbereiten Journalisten mittels eines Führungsfahrzeugs zu zähmen.

Diese Eingrenzung schwächt Erkenntnisse und Emotionen nur marginal ab. Mit welcher Lust und Leichtigkeit der 4,6 Liter große V8-Biturbomotor auf der Drehzahlleiter bis 8.000/min stürmt, raubt selbst erfahrenen Testern jeden Atem. Der 720-PS-Treibsatz jagt den im Straßentrimm weniger als 1.300 Kilo schweren Prototyp in Richtung Horizont, als würden ihn zehn grantige Transformer verfolgen. Das akustische Spektakel ist intensiv: Der V8 mit flacher Kurbelwelle fräst sich wie eine unauslöschliche Gravur in den Gehörgang, dazu zischeln Turbos und jaulen Gangräder im Orchestergraben. Eine unfassbare Kakofonie des Rennsports, ein extrem maskuliner Antrieb!

Die brutale Nähe zum Rennsport sorgt auch für Momente des Zauderns wie beim Bremsen in Runde eins. Wenn die Scheiben aus Carbon kalt sind, ist die Verzögerung lächerlich. So was weiß man, aber es trifft einen in Kurve eins dennoch unvorbereitet. Schlimmer ist Kurve drei am Ende der nächsten Geraden, denn man glaubt, dass auf maximale Beschleunigung nun maximale Verzögerung folge. Der Tritt ins Carbon verpufft, das blaue Heck des Porsche 911 GTS von Timo Bernhard rast mit Warp-Speed auf mich zu. Rechts oder links vorbei? Erst ganz am Ende der Verzögerung ist urplötzlich die volle Wirkung da, der Biss ist brutal und böse – und der blaue Elfer kein Thema mehr.

Ab Runde zwei beginnt im Porsche 963 RSP der echte Genuss, knapp an der Schwelle zum Drogenkonsum. Die Kraft der Beschleunigung und die Gegenkraft der Verzögerung sind im Einklang, ein wildes Pingpong-Spiel der Längskräfte. Weil man in dem winzigen Cockpit eingekeilt und mit Sechspunktgurten festgezurrt ist, treffen einen Be- und Entschleunigung wie Boxschläge. Und quer? Auch nett, aber vier 90-Grad-Lowspeed-Ecken verbieten den großen Trommelwirbel weiser Worte. Zumal: Der 963 RSP rollt auf Michelin-Rennregenreifen, also weit weg vom Supergrip echter Slicks. "Die Traktionskontrolle haben wir hochgedreht – nichts für ungut", lacht Timo Bernhard.

Das Unikat 963 RSP ist ein schützenswertes Kulturgut wie sein Vorgänger und Vorbild, der Porsche 917K von 1975. Der tobt übrigens bis heute über die Sträßchen Südfrankreichs, am Steuer der Unternehmer und Rennfahrer François Perrodo. Unverbastelt, dezent restauriert, mit toller Patina. Vielleicht sehen sich die beiden Unikate wieder, wenn Porsche weiter Appetit auf Le Mans hat. Es wird einmal 2075.