Turbo, Kompressor, 16V, W12, V6, V8 oder 5.0 – das sind Verbrenner-Attribute, die teils heute noch als Weißte-Bescheid-Schriftzüge an Karosserien kleben. Diese Plakettentradition überträgt Polestar auf seine E-Autos: "111 kWh/360 kW" steht auf den Türen des Polestar 3 Long Range Dual Motor – also reichlich Stromvorrat und umgerechnet 489 PS.
Tempo machen kann der große SUV jedenfalls: 4,8 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h und dann in 16 Sekunden weiter auf 200 km/h. Auf der Autobahn zeigt das Fahrerdisplay jetzt 215 km/h an, und weil so früh am Morgen hier nur ein paar Lastwagen entlanggondeln, ändert sich das Tempo lange nicht. Doch bei 40 Prozent Akkustand gehen an den Steigungen immer wieder einige km/h flöten, kurz darauf dann auch in der Ebene, und bei 16 Prozent schmiert der Polestar auf 176 km/h ab.
Sprintstärker als BMW i7 und Mustang Mach-E
Alles klar, mal hinter einen Lkw klemmen, eine Sprachmemo starten und diktieren, was mit Volllast noch geht: 80 auf 140 km/h in ganz grob 14 Sekunden statt der 5,2, die wir auf abgesperrter Strecke gemessen haben. Klar, der Leistungsverlust klingt heftig, aber erstens ist der Polestar auf dem Testgelände sechs 0-auf-200-km/h-Läufe durchgesprintet, ohne nachzulassen – das können ein BMW i7 M70 xDrive und ein Ford Mustang Mach-E GT nicht von sich behaupten. Zweitens kommt es praktisch nie vor, dass man mal auf einer leer gefegten Autobahn landet, ergo fehlt der Erfahrungsschatz, wie sich eine längere Etappe mit Vollstrom auf die E-Antriebe anderer Autos auswirkt.

Auf den Vordertüren kleben Sticker mit der Systemleistung und Akkukapazität.
Eine positive Konsequenz beim Polestar: Der 400-Volt-Akku hat sich aufgewärmt und lädt nun schneller. Vor der Autobahn vergingen bei 4 °C Außentemperatur 31 Minuten von 30 auf 80 Prozent bei maximal 127 kW Ladeleistung. Jetzt klettert die Anzeige auf 191 kW und der SOC in 17 Minuten von 14 auf 51 Prozent.
Zur Unterhaltung während des Ladens bietet sich etwa die YouTube-App an. Oder in diesem Fall die Verbrauchsstatistik, die für die letzten 100 Kilometer einen Schnitt von 65,7 kWh meldet. 26,9 kWh/100 km beträgt der ermittelte ams-Testverbrauch, aus dem sich eine Reichweite von 434 Kilometern ergibt; 500 km sind es auf unserer verbrauchsgünstigen Eco-Route.
Mit Fahrspaßansätzen

Trotz fast 2,6 Tonnen sprintet der E-SUV in 4,8 Sekunden auf 100 km/h.
Wir biegen nun aber auf eine Bergstraße ab, um möglicherweise unerwartete Unterhaltungswerte im neuen großen Polestar zu entdecken. Im gelockerten ESP-Modus gibt die Antriebsverwaltung dem Allradler gerne einen Heckdrall mit, bringt so Leben ins Fahrgeschäft. Nur klappt die Agilisierung nicht reproduzierbar, mancher Übersteuerimpuls kommt unangekündigt. Netter Versuch also, aber es bleibt doch so wie bei 2579 kg Leergewicht zu erwarten: Den Fahrspaß trägt vor allem das kraftvolle Motorenduo, das auch bis zu 2.200 kg Anhängelast schleppt.
Zum Fahrtantritt starten die Maschinen stets im Reichweitenmodus, in dem der Heckmotor nur bei Bedarf arbeitet. Richtig zügig vorwärts geht’s in dem Modus selbst bei Vollstrom nicht, für einen zackigen Zwischensprint muss man erst am Touchscreen die volle Leistung aktivieren. Ohnehin wird viel getoucht: Schauen Sie sich den Bedientest zum Volvo EX30 in diesem Heft an, der Großteil davon gilt auch für diesen konzernverwandten Polestar. Gut, seine Lenkradtasten funktionieren etwas anders, und wenn man auf das untere Ende des großen Hochkant-Touchscreens schaut, sieht man viel vom Fußraum, aber nichts von der Straße.

Beim Berühren der unbeschrifteten Lenkradtasten zeigt der Tacho die darauf abgelegte Funktion. Jedoch gibt es keine direkte Audiosteuerung.
Über den Monitor läuft auch die Aktivierung des Einpedalmodus. In ihm zieht die Rekuperation zügig genug an und der SUV kommt meist geschmeidig zum Stillstand. Mit dem Bremspedal hingegen klappt das selbst bei voller Konzentration so gut wie nie völlig ruckfrei, was den Komfort in der Stadt schmälert. Die Verzögerungsleistung ist hingegen sehr gut: 100 auf 0 km/h in 34 Metern.
Der Federungskomfort geht bis auf eine etwas straffe Note ebenfalls in Ordnung. Die Sitze vorn sind angenehm ausgeformt, jene im großzügig dimensionierten Fond auf den Außenplätzen beheizbar. Auch bleibt die Kabine bis circa 180 km/h bei 70 dB(A) Podcast-freundlich, erst darüber muss man etwas lauter drehen.
Nicht immer fehlerfrei

Für die Liederanwahl kippt man den Drehschalter auf der Mittelkonsole zu den Seiten.
Komfortassistenz bietet der Polestar 3 mit einer aktiven Spurführung, die sich allerdings trotz Kapazitivlenkrad manchmal mit der Meldung "Keine Hände am Lenkrad erkannt" verweigert. Faxen macht auch das Infotainment: Das Smartphone koppelt zwar zuverlässig, aber auf einigen Fahrten erklang die Musik über die Telefonlautsprecher, obwohl die Steuerung über den Bildschirm lief. Und wenn der Polestar 3 über Nacht am Lader hängt, zeigt er nach dem Öffnen der Tür einen Akkustand von 99 Prozent an und fängt dann wieder an zu laden. Polestar arbeitet an einer Lösung. Software-Entwickler würden bei solchen Fehlern wohl "Beta" auf die Türen kleben.
Polestar 3 Long Range Dual Motor | |
Grundpreis | 85.590 € |
Außenmaße | 4900 x 1968 x 1627 mm |
Kofferraumvolumen | 394 bis 1411 l |
Höchstgeschwindigkeit | 210 km/h |
0-100 km/h | 4,8 s |
Verbrauch | 20,1 kWh/100 km |
Testverbrauch | 26,9 kWh/100 km |