MISSING :: structure.inactiveTabOverlay
{"irCurrentContainer":"29948470","configName":"structure.inactiveTabOverlay"}

Mercedes-AMG GT 63 Coupé im Test
SL-Gene, aber GT-Abstimmung

Sein Single-Dasein ist vorbei, fortan lebt der AMG GT mit dem SL zusammen – gravierende Folgen inklusive. Gut 1,9 Tonnen Leergewicht stehen allerlei ausgebuffter Technik gegenüber, sodass der vermeintliche Couch-Potato doch ein echter Sportwagen bleibt.

Mercedes-AMG GT 63 Coupé
Foto: Rossen Gargolov

Erinnern Sie sich noch an den TV-Spot zum Debüt des ersten AMG GT? Nein? Dann lohnt eine YouTube-Suche nach dem gut gemachten Stück: Ein kleiner Junge liegt im Bettchen, sieht im Schlaf einen 911 über eine Rennstrecke dübeln. Auf einmal beginnt er sich herumzuwälzen, schreckt hoch, weil von hinten der Benz herandonnert und sich schließlich den Porsche krallt. Message: "Das Auto, von dem Sie als Kind träumten, wurde soeben überholt!" Die Realität? Nun ja. Zwar vermochte der Riesenschnauzer mit dem Stern dem Rekordmeister durchaus einzuheizen, abgesehen von ein paar Schreckmomenten beim Duell um den Nordschleifenrekord konnte der Bub aber selig weiterschlafen. Jetzt steht GT Episode zwei in den Startlöchern, von der man ja eigentlich erwarten konnte, dass sie noch mal Anlauf nimmt, um das Traumwagen-Denkmal vielleicht endgültig vom Sockel zu nieten.

Unsere Highlights

Doch es kommt anders. AMG hat das Zielfernrohr seiner Speerspitze neu ausgerichtet. Es geht nicht mehr nur um schneller, höher, weiter, es geht um Breite – vor allem im Profil.

Verantwortlich für den Umschwung? In erster Instanz wohl die Sparfüchse, in zweiter: die MSA – die Modulare Sportwagen-Architektur, die für den Mercedes-AMG GT nicht nur das Ende der Alleinstellung bedeutet, sondern auch seinen Ursprungsgedanken ad absurdum führt. Ja, es ist so grotesk, wie es sich liest: Obwohl der eigenständige AMG-Sportwagen einst aus der Einsicht entstand, dass der SL als Absprungbasis für die Entwicklung veritabler Fahrdynamik eher ungeeignet ist, stecken sie den GT nun ausgerechnet mit ihm unter ein und dasselbe Technikdach. Oder um es mit einem anderen Mercedes-Slogan früherer Tage zu formulieren: "Eigentlich müsste er Coupédster heißen!"

Im Ernst: AMG ist natürlich um Differenzierung bemüht. So bekommt die Festdach-Version höhere Federraten, eine eigenständige Abstimmung sämtlicher Dynamik-Systeme, mehr Spurweite an beiden Achsen und deutlich breitere Vorderreifen – 295er statt 265er. Die Grundsubstanz jedoch, die wird brüderlich geteilt – und damit zwangsläufig zum Kompromiss.

Aus sportlicher Perspektive ist der Mercedes-AMG GT 63 der Gelackmeierte. Statt wie bisher nach dem Transaxle-Prinzip ist er nun konventionell gebaut. Das Getriebe sitzt nicht mehr im Heck, es ist direkt am Motor angeflanscht, der sich dadurch wiederum auf anstatt hinter der Vorderachse breitmachen muss.

Die Rückbank kostet 1.904 Euro Aufpreis, ist als solche aber kaum zu gebrauchen, weil die Dachlinie, die Vordersitzlehnen oder beides im Weg sind.

Die Folge: eine Kettenreaktion, die das GT-Konzept in eine neue Richtung lenkt. Die Gewichtsbalance kippt von minimal heck- auf eindeutig kopflastig, die Position der packenden Sitze rückt nach vorn, dafür gibt’s dahinter nun Platz für einen polstermöblierten Fond (optional). Dessen Lederkuhlen sind laut AMG für Körpergrößen bis 1,50 Meter geeignet. Wir möchten ergänzen: Aber nur, wenn Fahrer und Beifahrer nicht viel größer sind.

Mehr Platz, Mehr Cedes

Weitaus zugänglicher: der Laderaum. 321 Liter beträgt bereits das Standardvolumen, bei geklappten Lehnen wächst das Abteil auf deren 675 an. Zum Vergleich: Der "Frunk" eines 911 schluckt nicht mal ein Fünftel. Kofferraum ist kein Argument für einen Sportwagen, sagen Sie? Absolut, aber eines weniger dagegen! Problem nur: Der viele Raum birgt Fülle. Auch wenn es die verschobenen Proportionen gut kaschieren, der neue Mercedes-AMG GT hat knapp 20 Zentimeter an Länge zugelegt sowie – ungleich dramatischer – gut 230 Kilogramm Leergewicht. Aber: Ein Teil des Ballasts wird in Fahrdynamik reinvestiert. Allradantrieb, Anti-Wank-Fahrwerk, Aktiv-Aero – alles wiegt, alles ist Serie und dafür verantwortlich, dass der Zwo-plus-zwo am Ende bedeutend schlanker fährt, als er gebaut ist. In diesem Sinne, ran an die Bulette.

Die Ausfahrtürgriffe sind begriffsstutzig und schwergängig. Zumindest hier gilt: Früher war alles besser.

Auftritt: stilsicher. Der Eintritt indes – kompliziert. Die Versenk-Türgriffe mögen aerodynamisch wertvoll sein, sind aber ergonomischer Unfug. Punkt! Im Cockpit mischen sich irre Summen von Aufpreis-Geschmeide, wie das Rautenstepp-Leder, die CFK-Einlagen und die pittoresk inszenierten Burmester-Boxen, mit dem gängigen Mercedes-Bedienkonzept. Das ist weithin schlüssig, dank der Bildschirmgröße auch in voller Fahrt zu bedienen, in diesem Kontext aber ziemlich zweitrangig, einfach weil da vorn einer hockt, der einen noch auf analoge Weise zu beschäftigen vermag: vier Liter, zwei Turbos und, guck an, acht Zylinder, was man bei AMG inzwischen ja dazuschreiben muss.

Mit 585 PS liegt der Mercedes-AMG GT 63 dort, wo sich der Vorgänger erst in der R-Version hinentwickelte. Zwar schaufeln die Lader nicht mehr ganz so zackig los wie einst, der Grundwums des Langhubers ist trotz der geringeren Verdichtung aber immer noch deftig genug, damit keine Dellen im Ansatz entstehen. Im Gegenteil: Der GT ist sofort im Flow, wirkt entgegen der Befürchtung eher geballt als pummelig, lenkt fetzig, trotzdem hochexakt, und liegt dank der gestutzten Schnauze schneller besser in der Hand, um dabei entweder locker-rockig auf der Drehmomentwelle dahinzubrodeln oder all seine 800 Nm unter schnodderigem Hämmern rauszuballern.

Der V8 sitzt auf statt wie bisher hinter der Vorderachse, baut mangels Trockensumpf zudem höher.

Nicht ganz so rabiat wie der Punch ist nur mehr seine Übertragung. Der Doppelkuppler wich einer milderen Automatik mit neun statt sieben Stufen. Dementsprechend herrscht reger Betrieb im Stellwerk, was im Grunde egal wäre, da die Gangwechsel blitzschnell und butterweich vonstattengehen. Bloß ist der D-Modus an eine überspitzte Gaspedalkennlinie gekoppelt, sodass man den besseren Draht zum Motor im linear angebundenen Manuell-Modus aufbaut. Und der ist weniger Gepaddel, als man denkt. Der Buckel des V8 ist so breit, dass es keine Rolle spielt, ob jetzt der Dritte oder der Fünfte anliegt. Der Achte reißt bei Bedarf das komplette Autobahnspektrum ab, und selbst im Neunten leiert der Durchzug nie komplett aus.

Wucht im Speckmantel

Mit anderen Worten: Trotz des Mehrgewichts hat der Mercedes-AMG GT nichts von seiner urwüchsigen Wucht verloren, bloß hüllt sie sich ab sofort in ein softeres Naturell. Oder wie böse Zungen sagen: Sie steckt im Speckmantel. Die Dämmung wirkt wattiger, die Reaktionen sind nicht mehr ganz so zornig, das Feedback ist weniger intensiv. Dafür zogen neue Qualitäten ein.

Schlichte Ansichten mischen sich mit Firlefanz. Für die Rennstrecke fehlt ein Look mit mittiger Runduhr.

Beeindruckend vor allem: die Spreizung. Über die Bediensatelliten am Lenkrad lässt sich der GT-Charakter quasi einmal um die ganze Sportwagen-Welt drehen. Allein der Antrieb splittet sich in fünf Kennlinien auf, wobei sich "Reduced" nicht ganz so positiv auf die Verbrauchsbilanz auswirkt wie der Race-Mode auf den Unterhaltungswert. Das Fahrwerk kann alles – und das meiste zugleich.

Es ergänzt ein Fünflenker-Raumkonstrukt um einen aktiven Wankausgleich. Der arbeitet über zwei Druckkreisläufe, mit denen die dreistufigen Adaptivdämpfer untereinander verschaltet sind. Die Wechselwirkungen sind komplex, der Endeffekt griffig: Die Hydraulik wiegt negative Einflüsse auf, Sturzverlust und Wankneigung werden reduziert, das Ansprechen auf Verwerfungen optimiert. Die hohe Innenspannung mündet zwar in ein leichtes Geeier auf Längsrillen, zudem sind schnelle Kurven von gemischten Gefühlen begleitet, da durch das reduzierte Rollen der Karosserie die Bezugspunkte fürs Limit fehlen – speziell im Nassen. Dafür kann der GT 63 geradeaus relativ locker auf seinen Federbeinen wippen, um im nächsten Moment wie von der Tarantel gestochen ins Eck zu sensen.

232 kg Mehrgewicht bringt der GT 63 im Vergleich zum hinterradgetriebenen Ex-Modell mit 530 PS auf die Waage.

Auch weil alle mit anpacken. Die Hinterachslenkung stachelt an oder stabilisiert – je nach Tempo; Einlasslamellen, ein ausfahrbares CFK-Profil im Unterboden und der fünfstufige Heckflügel justieren den Bodenkontakt über den Luftstrom nach; das aktive Sperrdifferenzial zwirbelt einen neckischen Heckdrall aus der Gesäßmuskulatur, ehe kurvenausgangs der größte Trumpf zusticht: der variable Allradantrieb, der beileibe nicht nur die Fahrsicherheit nährt. In 3,2 Sekunden stanzt der GT dank seiner unerbittlichen Traktion auf 100 – ein Wert, den der hinterradgetriebene Vorgänger erst mit den 730 PS der Black Series bewerkstelligte.

Auch querdynamisch ist die Trittfestigkeit kein Nachteil. Es gibt kaum einen Sportwagen, der sich bis in extreme Tempobereiche so satt auf die Straße legt, und obwohl die Kraftverteilung am Limit eher gen Untersteuern als gen Powerslide tendiert, muss sich der GT auf der Rennstrecke nicht verstecken – weder vor seinem Vorgänger noch vor seinem Erzrivalen.

Dabei befindet sich die Patchworkfamilie erst im Aufbau. Den V8 gibt’s zu reduzierten Preis- und Leistungskonditionen auch als 55er, eine halbe Portion ist ebenfalls im Angebot: GT 43 mit 422 PS aus vier Zylindern – süß. Aber auch nach oben ist noch Lust: Wie Schwesterchen SL gerade vorweggenommen hat, kommt der GT früher oder später als E-Perfomance-Hybrid, dessen gut 800 PS Systemleistung wirklich dafür sorgen könnten, dass Porsche-Fans – ob groß, ob klein – senkrecht in ihren Betten stehen.

MISSING :: article.inlineMivodo
{"irCurrentContainer":"29948470","configName":"article.inlineMivodo"}
Vor- und Nachteile
Karosserie (63 von 150 Punkten)
Automobilwelt-weit mag das Raum- und Kofferraumangebot unterdurchschnittlich sein, unter den Sportwagen ist der neue GT der Meister dieses Fachs
Mau: 250 kg Zuladung
Sicherheit (105 von 150 Punkten)
Der satte Fahrbahnkontakt ist objektiv wie subjektiv bemerkenswert
Griffige Michelin S 5 und die Keramikanlage erzeugen standesgemäße Bremswerte
Komfort (68 von 100 Punkten)
Für einen Sportler fahrwerkt der AMG fast elegant. Nur auf Flicken reagiert er trampelig
Der V8 prägt das Innengeräusch – gut so
Rücksitze sind vorhanden, aber zwecklos
Antrieb (118 von 150 Punkten)
Der Antrieb verkörpert die Idealvorstellung eines AMG, hat Rhythmus und genügend Punch für erstklassige Fahrleistungen
Kehrseite: der hohe Verbrauch
Fahrverhalten (117 von 150 Punkten)
Die vielen Technikfaktoren fuhrwerken bisweilen spürbar im Handling herum, weswegen das Fahrverhalten weitaus klarer ist als ...
... das Fahrgefühl
Fahrverhalten (20 von 150 Punkten)
Der V8 motorisiert ohne Netz, mit doppeltem Lader. Die Emotionen gedeihen, ...
... die Umweltbilanz blutet. Immerhin: kurzer Transport ab Bremen
Fahrverhalten (23 von 150 Punkten)
Gemessen an der Neuausrichtung in Richtung Großserie ist die Preisentwicklung viel zu steil. Immerhin sind die Fahrdynamik-Macher serienmäßig

Fazit

514 von 1000 Punkte

Der neue GT nimmt sich beim Wort, hat seinen Ehrgeiz aber keineswegs begraben. Das Mehrgewicht und die üppigen Ausmaße werden mit Fahrwerkstechnik und vereinten Antriebskräften niedergerungen, was nicht nur die Performance, sondern leider auch den Preis in die Höhe treibt.

Technische Daten
Mercedes AMG GT 63
Grundpreis188.704 €
Außenmaße4728 x 1984 x 1354 mm
Kofferraumvolumen321 bis 675 l
Hubraum / Motor3982 cm³ / 8-Zylinder
Leistung430 kW / 585 PS bei 5500 U/min
Höchstgeschwindigkeit315 km/h
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 14 / 2024

Erscheinungsdatum 20.06.2024

148 Seiten