Lamborghini Temerario: V8-Hybrid mit 920 PS im Fahrtest

Lamborghini Temerario
V8 PHEV statt V10 – funktioniert das?

Veröffentlicht am 05.08.2025

Um sich von unbedarften Autofahrern im automobilen Streichelzoo ein bisschen am Kinn kraulen und mit Nüsschen füttern zu lassen, nein, dafür sind Sportwagen von Lamborghini nun wirklich nicht bekannt. Selbst im Raubtiergehege geht das Zittern um, wenn ein neuer Kampfstier aus Sant‘ Agatha anrückt. Aber einschüchtern lassen? Falscher Ansatz. Auch nicht von 920 PS Systemleistung. So hängt der neue Temerario Ausgangs Kurve 10 auf der ehemaligen Formel 1-Rennstrecke von Estoril ein wenig das Heck raus, als das V8-Biturbo-Triebwerk mit ungerührter Leichtigkeit über 6.000/min hinaus dreht. Runterbremsen mit verbindlichem Pedalgefühl, vorne packen 10-Kolben-Zangen zu, hinten sechs Kolben. Den Curb im Linksknick mitnehmen, dann in die unendlich lange Senna-Rechts reinhalten, etwa in Kurvenmitte frühzeitig in den vierten Gang hochschalten.

Ein Zug an der rechten, feststehenden Sichel aus Metall und das quer hinter dem Motor eingebaute Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe vollstreckt blitzschnell. Sobald du die Gerade siehst: Hahn auf. Hier schichten sich zahlen im 12,1-Zoll großen Fahrerinformationsdisplay rasch zu bemerkenswerten Höhen auf. Gut, die Außentemperatur von 28,5 Grad steht da schon eine Weile, doch die Motordrehzahl nähert sich unaufhaltsam der 10.000/min-Marke. Erreichst du sie, läuft das Vierliter-Aggregat sanft in den Begranzer. Und: Beim Launch-Control-Start darf es sogar bis 10.250/min drehen, technisch sollen sogar 11.000/min drin sein.

Anbremsen aus 310 km/h

Der Tacho zeigt am Bremspunkt kurzzeitig 310 km/h an. Mal eben, einfach so. Ankern, runterschalten bis in den zweiten Gang. Der dritte Gang täte es auch, denn neben dem V8 unterstützen drei E-Motoren, zwei davon mit 220 kW Spitzen- und 60 kW Dauerleistung an der Vorderachse. Diese Axialflussmaschinen stammen ebenso aus dem größeren Revuelto wie der Akku. Der dritte, im Gehäuse des Verbrenners am Übergang zum Getriebe integriert, leistet ebenfalls 110 kW, soll aber vorwiegend mit seinem Drehmoment von 300 Nm das Turboloch des alleine schon 800 PS starken (maximales Drehmoment: 730 Nm) V8 zuschütten. Der verfügt laut Lamborghini über die derzeit größten in der Erstausrüstung verfügbaren Turbolader, arbeitet mit 1,5 bar relativem Ladedruck. Und nein, der Antrieb zögert nicht, nie. Der steht immer in Flammen, meistens lichterloh. Einzig im reinen E-Modus registrierst du eine gewissen Zurückhaltung, was soll’s.

Bis zu 10 km soll der Temerario rein elektrisch fahren. Damit es die Nachbarn leichter haben. Und der eine oder anderen Kunde damit in zufahrtsbeschränkte Metropolen fahren darf. Auf der Rennstrecke hingegen schickt sich das Antriebs-Orchester an, die Physik auf links zu drehen, verschafft dem letztlich knapp zwei Tonnen schweren und nicht eben kompakten Temerario einen unerhörten Fahrdynamik-Hüftschwung, eine Leichtigkeit um die Hochachse, die so nicht zu erwarten war. Maßgeblich dafür verantwortlich: Die beiden Axialfluss-E-Motoren vorne, die Torque Vectoring ohne Bremseingriffe ermöglichen.

Lamborghini Temerario, Auspuff
Lamborghini

Die maximale Rekuperationsleistung liegt bei über 100 kW, die Leistungselektronik sorgt stets dafür, dass der Saft im Akku nie verebbt. Das Resultat: Immer Alarm, ohne dass sich dessen Tonfolge überschlägt. Will sagen: Der Temerario handelt ebenso stürmisch wie präzise, lässt sich exakt platzieren, spannt sich dabei schon vor, um sich in die Kurven hineinzustürzen. Im Verlauf kleistert er den Radius entlang, schenkt dir dabei Vertrauen, weiter am Gas zu bleiben, bis, ja bis dann eben doch mal das Heck kommt. Schlimm? Nein, denn den zarten Schwimmwinkel parierst du leicht, wenn nicht, greift sanft die Regelelektronik ein.

Nimm’s leicht

Apropos leicht: Das Lenkgefühl erfordert dann doch etwas Gewöhnung, da du bei einem Apparat wie dem Temerario eher erwartest, richtig fest zupacken zu müssen. Doch der Handmomentbedarf liegt recht deutlich unter dem anderer Sportwagen. Wer das Alleggerita-Paket (klingt wie ein außergewöhnlicher Frauen-Vorname, steht aber schlicht für "Leichtbau") mitbestellt, kann das Fahrzeuggewicht um angeblich 25 Kilogramm reduzieren, dazu die aerodynamische Effizienz (Korrelation von Auftriebsreduzierung und Luftwiderstands-Erhöhung) um 62 Prozent erhöhen, bekommt statt Bridgestone Potenza Sport deren Race-Variante aufgezogen, also einen Nässe-empfindlichen Semislick. Im Trockenen hingegen verfestigt sich so das Lenkgefühl spürbar, Lamborghini gesteht, die einzige Lenkungs-Kennlinie eher auf diesen Reifen optimiert zu haben. Wobei du schon mit dem Sport-Reifen prima zurechtkommst, letztlich den leicht Hallodri-haften Charakter dieser Variante zu schätzen weißt.

Lamborghini Temerario, Cockpit
Lamborghini

Und ja, letztlich auch den Klang, denn die Erinnerung an den kehligen V10-Sauger des Vorgängers hat der Temerario mit seiner immensen Antriebsleistung, seinem Handling-Talent und den perfekten Arbeitsbedingungen hinterm Lenkrad, die er bietet, längst aus dem Arbeitsspeicher gelöscht. Das Motoren-Quartett klebt dir regelrecht unter dem Gasfuß, Leistung und Drehmoment lassen sich fein modellieren oder stumpf linear bis ans Limit treiben, immer, überall. Der V8 mit seiner flachen 120 Grad-Kurbelwelle produziert dabei einen reinen, eher hochfrequenten Klang, hört sich eher nach Dream Theatre als Queens of the Stoneage an. Letztlich passt das ins Bild einer neuen Generation von Sportwagen, einer kleinen (oder doch einer großen?) Revolution statt Evolution. In jedem Fall einer gelungenen. Und auf keinen Fall eine, die den Temerario in den automobilen Streichelzoo verbannt.