Der Aufschwung war ebenso enorm wie der Umschwung danach: Da haben die N-Hatches i20 und i30 die Marke Hyundai binnen weniger Jährchen vom sportlichen Nobody zu einem Liebling der Nürburgringer gemausert, um im Jahr 2024 – dem (europaparlamentarischen) Klimawandel sei Dank – einem Konzept zu weichen, das sich himmelweit von jenem entfernt, das ihm einen Namen machte. Der Ioniq 5 N mag der Vierzylinder-Rasselbande ein Bruder im Geiste sein, denselben Prinzipien folgen, in manch entscheidendem Punkt ist der übergroße Hot Hatch aber das genaue Gegenteil seiner Grundsteinleger – weil vollelektrisch, hochkomplex, bleischwer und schweineteuer.
Tja, und vorerst marschiert die N-Entwicklung weiter in dieselbe Richtung, was jetzt aber auch nicht die ganz große Überraschung ist. Schließlich wirft der neue Hyundai Ioniq 6 N seine Schatten bereits seit drei Jahren voraus. Ursprung? Die Studie RN22e, die der Automobilwelt anno 2022 gleichzeitig die nahende Elektrifizierung des N-Programms sowie das ambitionierte Styling der Vollstrom-Limousine beibringen musste – wobei wir uns immer noch nicht sicher sind, welche der Aufgaben die undankbarere war.

Dank tiefem Schwerpunkt und cleverer Fahrwerksabstimmung wirkt der Stromer überraschend agil.
Design mit Ansage – Flügel statt Entenbürzel
So oder so, jetzt ist die Zeit reif für die N-Version, die sich stilistisch zwischen der vogelwilden Konzeptstudie und der biedereren Serienversion positioniert. Statt des Entenbürzels steht ein stattlicher Flügel auf dem fließenden Heck, die um acht Millimeter verbreiterte Spur schafft Platz für 275er-Pirellis, gleichwohl aber nicht ganz die Dramatik des RN22e, der nochmal deutlich breitbeiniger, muskulöser, tiefer und satter auf der Straße stand. Das vom Lackkleid entblößte Heck darf der 6 N aber ebenso zur Schau stellen wie ein Antriebskonzept, das ganz und gar dem Fahrspaß fröne – wie die Entwickler unisono und unaufhörlich betonen.Fahrwerk feinjustiert – mehr Gefühl trotz mehr Gewicht.
Nun wäre es natürlich ungewöhnlich, dass sich Herstellervertreter vor die versammelte Journaille stellen, um zu erzählen, die langweiligste Hütte des Planeten gebaut zu haben. Selbstredend ist immer alles das Beste, Tollste, Geilste – allermindestens in seiner Klasse. Fragen Sie mich nicht wieso, aber dieser N-Truppe ist die Echtheit ihrer Überzeugung irgendwie anzumerken. Das mag an N-Vize Joon Park liegen, der sich das kindliche Grinsen kaum verkneifen kann, als er berichtet, dass sie dem Drift-Programm nun – hehehe – nochmal mehr Aufmerksamkeit gewidmet haben. Und auch Manfred Harrer sitzt der Schalk im Nacken. Der Bayer hat namhafte Stationen in der Vita, jetzt die Entwicklungsführerschaft aller Konzernmarken inne und obendrein ein derart großes Herz für die Sportfraktion, dass er die Fahrwerkskonstruktion auf letzter Rille nochmal ummodeln ließ – um mehr Fahrdynamik und vor allem intensivere Fahrgefühle herauszukitzeln.
Mehr Lenkgefühl, weniger Trägheit
Technikdetails sind vor der feierlichen Enthüllung auf dem Festival of Speed in Goodwood noch rar, ergeben sich aber durch die direkte Verwandtschaft zum Ioniq 5 N. So wanderte das Antriebskonzept bestehend aus je einer E-Maschine pro Achse und einem geregelten Sperrdifferenzial auf der hinteren substanziell ebenso unverändert in die Limousine wie der 84-kWh-Akku und der höchst löbliche Anspruch, im Endurance-Programm den Stress zweier Nordschleifenrunden am Stück durchzustehen.

Der Ioniq 6 N ist kein Mainstream-Modell, sondern ein fahrdynamisches Statement.
Unterschiede ergeben sich aus, beziehungsweise erzielte man über Details. Wie der kompaktklassisch geschnittene 5 N verteilt zwar auch der Sechser rund 2,2 Tonnen im Verhältnis fifty-fifty. Das tiefere Rollzentrum der Karosserie und das ausgefeilte, in den Anlenkpunkten hinsichtlich Feedback und Abstützung modifizierte Fahrwerk, das neben härterer Federn auch sensibler ansprechende ZF-Dämpfer umfasst, erwecken jedoch den Eindruck, als wickle sich der Ioniq 6 N nun nochmal einen Tick fester um Befehle.
Driftmodus 2.0 – Kontrolle trifft Kontrollverlust
Sicher, Ersteindrücke sind immer mit Vorsicht zu genießen, wenn sie mit einem camouflierten Prototyp auf einer Betonfläche mit Pylonen, einem kurzen (aber knackigen) Handling-Track und einem Nasskreis entsteht. Zwei Dinge stehen nach der Session dennoch fest: Der 6 N nimmt das Thema Gaudi ebenso ernst wie den Performance-Anspruch, legt in beiden Punkten aber nochmal nach. Offensichtlichster Profiteur der optimierten Kinematik ist die Lenkung. Durch einen veränderten Hebel in der Anbindung wirkt sie straffer, transportiert den steigenden Querkraftaufbau authentischer in die Handgelenke und dementsprechend auch jenen Punkt, an dem die Frontgummis aus der Führung kippen.

Im überarbeiteten Driftmodus lassen sich Einlenkwinkel, Giermoment und Regeleingriff individuell einstellen.
Wobei man mit Untersteuern eigentlich nur durch Übermut in Berührung kommt – oder aber, wenn die spezifisch abgeschmeckten Pirellis unter dem Druck des Gewichts mit dem Luftdruck durch die Decke und schließlich mit dem Grip in die Knie gehen. Von der Reifenbelastung und leichten Rollbewegungen in schnellen Wechseln abgesehen hat Hyundai die Trägheit der Masse aber bestens im Griff. Über den tiefen Schwerpunkt – dem Dauerpluspunkt der E-Performer – geerdet, stürzt sich der Allradler ohne Füllegefühl über die Berg-und-Tal-Bahn der Area C in Namyang, lässt sich tief in die beiden Haarnadeln reinbremsen, um sich mittels Sperre und Brake-Vektoring ums Eck zu stanzen. Sobald Last anliegt, spielt die Momentenverteilung ihre Vollvariabilität aus. Bis zu 90 Prozent der 770 Nm entladen sich im N-Modus auf der Hinterachse, lassen den E-Allradler ausgangs enger Kurven nach Belieben auf der viele Power sliden und superneutral um weite Bögen pfeifen.
N-Shift: Der Verbrenner-Style für Elektro-Fans
Über den Drift-Modus lassen sich die übersteuernden Grundtendenzen dann auf die Spitze treiben, was bis hierhin erstmal nichts Neues ist. Für den Ioniq 6 N hat man das System nun aber insofern ausgebaut, als sich die Regelung in den Punkten – ich übersetze frei – Einleitung, Winkel und Schlupf einstellen lässt. Der Deep-Dive dazu ist schon per Handschlag abgemacht und folgt sobald wir den Apparat hierzulande unterm Hintern haben. Einstweilen nur so viel: Das Spektrum reicht von Rumgerutschel mit reichlich Eingriff bis völlig enthemmt, wobei man dann ohne Einschränkungen ins Lenkrad greifen darf. Und muss!

Selbst im Wasserfilm behält der Ioniq 6 N die Spur – kontrolliertes Übersteuern trifft feinfühlige Momentverteilung.
Ihr Comeback gibt auch die N-Shift-Option alias das ultimative Bindeglied zwischen neuer und alter Antriebswelt. Wie im Ioniq 5 N gießt sie die an sich lineare Elektropower in einen Kraftfluss im Verbrennerstil: inklusive natürlichem Leistungs- und Drehmomentverlauf, simulierten Getriebestufen sowie kernig-krachledernem Hochdrehsound samt Gurgeln eines Auspuffs, der nicht existiert.
Gänsehaut statt Datenblatt – das N-Selbstverständnis
Meinung? Leider geil! Nicht nur weil die N-Truppe auch hier nochmal ins Detail gegangen ist, die Funktionalität der Playback-Show mit jener des Tempomats synchronisiert und beim Launch-Control-Start das scharfe Gerappel eines "Limiters" einspielt. Sondern vor allem, weil einem die serienmäßige Funktion das Fahren am Limit in ein gängiges Schema rastert. Durch die progressive Leistungsentfaltung mag schiere Power verloren gehen, dafür lassen sich Kurven wie gewohnt mit Gängen beziffern. Und glauben sie mir, es ist bedeutend einfacher eine "Vierte-Gang-Links" im, na ja, vierten Gang anzufliegen, als irgendwo in der Mitte eines diffusen Beschleunigungsstrangs, der in einer Linie von Null bis 260 km/h führt.

Das Fahrwerk wurde im Detail überarbeitet – für noch authentischere Rückmeldung.
Und um diese Griffigkeit geht’s. Sie ist stilbildend für das Selbstverständnis der N-Ioniqs, die (sei es aus technischer Notwendigkeit oder tatsächlicher Überzeugung) ihren Unterhaltungswert über Zahlenwerte stellen. Gut so! Nur belustigt Hyundai mit ihnen nun eben nicht die breite Masse.
Wird es wieder bezahlbare N-Modelle geben?
Wie der 5er wird auch der 6 N in Preisregionen um 75.000 Euro anlanden, was die Frage aufdrängt, ob die N-Abteilung künftig auch wieder kleinere Brötchen backt. Wie zu Beginn…
Konkretes dazu lässt sich Technik-Boss Harrer nicht entlocken, etwas Hoffnung schimmert dann aber doch. So habe man keineswegs vergessen, wo man herkomme, und wolle den N-Fans der ersten Stunde daher künftig auch wieder entgegenkommen – inwieweit und vor allem mit welcher Technologie wird sich erst zeigen.