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Euro-5-Diesel-Nachrüstung von Carly und Twintec
SCR zum Nachrüsten und GPS-Software im Test

Wegen hoher Stickoxid-Emissionen drohen Millionen älterer Dieselfahrzeuge demnächst Fahrverbote. Dabei gibt es Systeme, mit denen sich der NOx-Ausstoß von Euro-5-Dieseln auf Euro-6-Niveau drücken lässt. Wir haben die Technik getestet.

Diesel Nachrüstung SCR-Kat VW Passat
Foto: Hans-Dieter Seufert
BMW 640d xDrive Carly NOx Test Emissions Analytics 2018
ams
GPS-gestützte Software von Carly im Test: 524 statt 1.040 mg NOx/km bei einem BMW 640d mit Euro-5-Norm.

Dieselfahrzeuge mit zu hohem Stickoxid-Ausstoß lassen sich auch mit einer veränderten Motorsteuerung sauberer machen, die nur dort „hochgeschaltet“ wird, wo die Luft besonders schlecht ist. Eine solche Software, die möglicherweise die Nachrüstung von Filtern ersetzen könnte, hat das Münchner Software-Unternehmen Carly entwickelt. Die Zeitschrift auto motor und sport hat die nicht serienreife Software gemeinsam mit dem Messinstitut Emissions Analytics auf der rund 100 Kilometer langen Testrunde im Stadtverkehr, auf Landstraße und Autobahn getestet. Ergebnis: Bei einem BMW 640d xDrive, Baujahr 2014 (Euro 5), halbierte sich der NOx-Ausstoß von 1040 auf 524 mg NOx pro Kilometer. Auch das Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg hat die Technik überprüft und sogar eine Emissionsreduktion von 64 Prozent festgestellt.

Maximal sauber in der Stadt

Statt die Motorsteuerung dauerhaft zu verändern, verfolgt das Unternehmen Carly den Ansatz, die Abgasreinigung nur dort zu beeinflussen, wo die Überschreitung der Grenzwerte für Luftschadstoffe droht. Möglich wird das im getesteten Versuchsaufbau mit einem GPS-gestützten OBD-Dongle, der die Abgasreinigung beeinflusst. Befindet sich das Auto beispielsweise in einer Umweltzone, fährt das System die Abgasrückführrate auf Maximum. Außerhalb des Bereichs läuft der Motor dann wieder im Serienbetrieb, sodass beispielsweise der Partikelfilter regeneriert werden kann.

Alte Diesel nachrüsten? Geht doch!

Ältere Diesel nachrüsten? Geht nicht! Den Stickoxiden (NOx) mit Zusatztechnik zu Leibe rücken, um Fahrverbote zu umgehen? Viel zu aufwendig und zu teuer, lautete bis vor Kurzem die Aussage der meisten Autohersteller. Doch spätestens seit dem Autogipfel der grünschwarzen Landesregierung in Baden- Württemberg Mitte Mai heißt es inzwischen: Geht doch.

Die Runde aus 40 Vertretern von Herstellern, Zulieferern, Wissenschaft und Politik ließ in einer Abschlusserklärung verlauten, dass durchaus Emissionsfortschritte an Euro-5-Dieseln realisiert werden könnten. Doch wann mit Umrüstungen zu rechnen ist, steht in den Sternen. Denn die Autobauer prüfen jetzt erst einmal, welche Maßnahmen an welchen Fahrzeugen zu Verbesserungen führen. Im Gespräch sind Software- Lösungen, die die vorhandene Abgasnachbehandlung besser nutzen.

Nachrüstung für Euro-5-Diesel im Test

Diesel Nachrüstung SCR-Kat VW Passat
Hans-Dieter Seufert
Als erste Automobilzeitschrift konnte auto motor und sport das SCR-System von Twintec im Realbetrieb testen.

Dabei gibt es bereits ein fertiges Nachrüstsystem, das den Stickoxid-Ausstoß älterer Diesel drastisch reduziert. So hat die zur Baumot-Gruppe gehörende Firma Twintec ein universelles SCR-System entwickelt, das sich in jedem Diesel nachrüsten lassen soll – auch in Autos vor Euro 5. Einen Namen machte sich Twintec in der Vergangenheit mit Nachrüstsätzen für Partikelfilter. Als erste Automobilzeitschrift konnte auto motor und sport nun das BNOX genannte System mit einem parallel dazu gemessenen Serienfahrzeug auf seine Wirksamkeit hin testen. Und zwar nicht auf Prüfständen, sondern auf der Straße unter realen Verkehrsbedingungen. Twintec hat einen nach Euro 5 klassifizierten VW Passat Variant 1.6 TDI der Vorgängergeneration (B7) umgerüstet, ein identisch motorisierter Variant mit serienmäßiger Abgasreinigung liefert die Vergleichswerte.

Twintec-System bereits sauber kurz nach dem Start

SCR-Systeme kommen heute in vielen Euro-6-Fahrzeugen ab Werk zum Einsatz und bieten bei richtiger Auslegung die derzeit bestmögliche Reduktion von Stickoxiden (NOX). „SCR“ steht für „Selektive katalytische Reduktion“ und basiert auf dem Einspritzen einer Harnstofflösung (Ad-Blue) in den Abgasstrang, wo unter Einwirkung von Hitze Ammoniak entsteht. Ammoniak wiederum reagiert mit den Stickoxiden, die in harmlosen Stickstoff umgewandelt werden. Die heutigen SCR-Systeme funktionieren erst ab einer gewissen Abgastemperatur, da sich sonst der Harnstoff nicht in Ammoniak umwandelt. Nach Kaltstarts tut sich daher erst mal minutenlang nichts.

Diesel Nachrüstung SCR-Kat VW Passat
Hans-Dieter Seufert
Der in der Reserveradmulde sitzende AdBlue-Tank fasst 18 Liter.

Um diesen Nachteil zu umgehen, nutzt das BNOX-System von Twintec ein anderes Verfahren: In einem separaten Bauteil wird das AdBlue erhitzt und in Ammoniak umgewandelt, das dann als heißes Gas quasi servierfertig in den eigentlichen SCR-Katalysator geleitet wird (siehe Illustration in der Fotoshow). Der Ammoniak-Generator wird über eine kleine Menge abgezweigter Abgase auf Temperatur gehalten, bei Bedarf schaltet sich ein elektrischer Heizer mit 400 Watt hinzu. Nach Kaltstarts soll es daher nur 60 bis 90 Sekunden bis zur vollen Reinigungswirkung dauern. Neben Ammoniak-Generator und SCR-Kat besteht das BNOX-System im Wesentlichen noch aus einem Ad- Blue-Tank mit 18 Litern Inhalt, der in der Reserveradmulde im Passat-Kofferraum steckt, sowie einem Steuergerät, das die richtige Menge Ammoniak aus den Daten des NOX-Sensors im Auspuff bemisst. Die serienmäßige Motorsteuerung bleibt dadurch komplett unverändert, weswegen das System universell einsetzbar ist und zudem wenig Bauraum verschlingt.

Sauberer als neue Euro-6-Fahrzeuge

Die Kosten für die Nachrüstung beziffert Twintec jedoch auf 1.500 Euro, hinzu kommen Einbaukosten. Viel Geld, aber die Wirkung der BNOX-Anlage darf getrost als sensationell bezeichnet werden: So stieß der Twintec-Passat auf unserer Testrunde gerade einmal 49 mg NOX/km aus und blieb damit unter dem Euro-6-Grenzwert von 80 mg/km. Von allen je bei uns gemessenen Euro-6-Dieseln war damit bisher nur die Vierzylinder-Version der neuen Mercedes E-Klasse besser (41 mg), selbst gute Neuwagen liegen üblicherweise bei 100 bis 300 mg. Das bisher schlechteste von der Redaktion getestete Auto (Renault Captur dCi 110) zeigt mit seinen 1.336 mg/km die obere Grenze aktueller Euro-6-Fahrzeuge.

Der Twintec-Passat schlägt damit nicht nur die meisten derzeit verkauften Diesel, er lässt auch seinen Serien-Bruder weit hinter sich: Mit 431 mg stieß dieser fast die neunfache NOX-Menge aus. Und das, obwohl unser Vergleichsmodell bereits das Software-Update aufgespielt bekommen hat, mit dem Volkswagen derzeit alle vom Dieselskandal betroffenen EA-189-Motoren umrüstet, zu denen auch der 1.6 TDI gehört. Das Twintec-System zeigt daher, was technisch prinzipiell möglich ist und wie wirkungsvoll sich ältere Diesel entgiften lassen. Nicht einmal die 2018 in Kraft tretenden Euro-6c-Grenzen müsste der BNOX-Passat fürchten. Den Conformity Factor von 2,1, der einem Euro-6-Diesel auf der Straße 168 statt 80 mg zubilligt, hat das ehemalige Euro-5-Auto nicht nötig. Abgesehen vom hohen Preis halten sich die Nachteile der Twintec-Anlage in Grenzen: Der Passat verbrauchte auf unserer Testrunde 6,0 l/100 km, was vor allem an den elektrischen Zusatzverbrauchern (Heizer, Steuergerät, Pumpe) liegt; beim Serienmodell waren es 5,8 Liter.

1,8 Liter AdBlue auf 1.000 km

Als zweiter Nachteil muss das regelmäßige Nachfüllen von AdBlue genannt werden. Nach Twintec-Aussagen reichen die 18 Liter beim Passat für knapp 10.000 Kilometer. Da die Ammoniak-Dosierung vom NOX-Ausstoß des Ausgangsmotors abhängt, kann die AdBlue-Menge jedoch variieren. Bei einem angenommenen Preis von einem Euro pro Liter Harnstofflösung erhöhen sich die Betriebskosten in unserem Fall durch Mehrverbrauch und AdBlue um rund 40 Cent/100 km, was bei der durchschnittlichen Jahresfahrleistung von 12.000 km in Deutschland weniger als 50 Euro pro Jahr und Auto ausmacht. Angesichts drohender Fahrverbote und des daraus resultierenden hohen Wertverlustes dürfte dies für viele Besitzer neuerer Euro-5-Diesel das kleinste Problem darstellen.

Was die Lösung ebenfalls interessant macht: Bis auf den Ammoniak-Generator besteht das BNOX-System weitgehend aus Originalteilen. So kommt der AdBlue-Tank für die Reserveradmulde ebenso aus dem VW-Ersatzteillager wie der SCR-Katalysator. Auch beim Steuergerät für die Ammoniak-Dosierung handelt es sich Hardwareseitig um Serientechnik. Die 1.500 Euro, die Twintec veranschlagt, beziehen sich auf einen regulären Erwerb der Teile. Sollte sich ein Hersteller jedoch entschließen, das System zusammen mit Twintec für bestimmte Modelle anzubieten, könnten wesentlich günstigere Komponentenpreise veranschlagt werden. Obwohl Twintec derzeit mit Anfragen überrannt wird, lässt sich die clevere Reinigungstechnik noch nicht kaufen. Auch eine Genehmigung zum Umschlüsseln von Euro 5 auf Euro 6 seitens des KBA fehlt. Wann diese kommt, steht ebenfalls in den Sternen. Fest steht zwar, dass die Politik Nachrüstlösungen fordert, doch derzeit prüfen die Autobauer erst mal ihre auf dem Stuttgarter Autogipfel vorgeschlagenen Software-Updates.

Diesel Nachrüstung SCR-Kat VW Passat
Hans-Dieter Seufert
Der Ammoniak-Generator ist eine Eigenentwicklung von Twintec. Der Rest des 1.500 Euro teuren Systems besteht überwiegend aus Serienteilen.

Von der Dauer mal abgesehen: Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen halten Experten ohnehin für überschaubar, da die betroffenen Fahrzeuge mangels SCR-Kat nur eine begrenzte Einflussmöglichkeit auf ihre Abgase besitzen. So sollen die Stickoxide über eine Anhebung der Abgasrückführung (AGR) reduziert werden. Zu hoch lässt sich die AGR-Rate jedoch nicht treiben, da sonst die Partikelmenge und der Verbrauch stark ansteigen und die AGR-Ventile verstopfen. Software-Lösungen dürften die NOX-Werte daher nur um 20 bis 50 Prozent senken. Da viele Euro-5-Diesel bei 1.000 mg NOX/km und mehr liegen, sind solche Autos immer noch weit von den Werten unseres BNOX-Passat entfernt. Einen so hohen Hardware-Aufwand wie Twintec zu treiben, scheuen sich die Autobauer, auch weil die Politik eine Beteiligung an den Kosten fordert. Angesichts von knapp sechs Millionen Euro-5-Dieselautos in Deutschland bedeuten 1.500 Euro pro Auto immerhin neun Milliarden Euro. Realistisch ließe sich eine Umrüstung älterer Diesel daher nur durchführen, wenn sich Staat, Hersteller und Besitzer die Kosten teilen.

Und die Politik? Entscheiden muss der Bund

Verhalten optimistisch äußerte sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach der Expertenrunde im baden-württembergischen Verkehrsministerium. Experten von allen wichtigen deutschen Autoherstellern, aber auch Importeure und Zulieferer diskutierten im Mai über die Möglichkeit, vorhandene Diesel per Nachrüstung sauberer zu bekommen. Die Forderung der Politik: Der NOX-Ausstoß muss um 50 Prozent runter, nur so seien Fahrverbote noch zu umgehen. In ihrem Abschlussbericht erklärten die Hersteller zwar, dass eine Schadstoffreduktion prinzipiell möglich sei, konkrete Werte wurden jedoch nicht genannt. Zudem seien Maßnahmen nur bei Euro-5-Fahrzeugen sinnvoll. Auch wie es technisch funktioniert, ist unklar, es stehen reine Software- Updates im Raum. Nicht mal ein Zeitrahmen wurde definiert. Die Hersteller sind angehalten, Maßnahmen zu prüfen.

Mit einer so hohen Reinigungswirkung wie bei SCR-Systemen ist bei Software-Updates ohnehin nicht zu rechnen, schon die angepeilten 50 Prozent halten Experten für äußerst ambitioniert. Doch selbst wer freiwillig auf teure Nachrüstsätze wie den von Twintec setzt, schaut zunächst in die Röhre: Ob und wann sich Autos auf Euro 6 umschlüsseln lassen, ist nicht geklärt. Hier drängt Baden-Württemberg auf eine deutschlandweit gültige Regelung, nach der das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) Typgenehmigungen geprüfter und für gut befundener Maßnahmen ausstellt. Besitzer älterer Diesel sollten daher auf einen Gesetzesrahmen warten. Falls sich die Industrie mit ihrer Software-Lösung durchsetzt, könnten Fahrverbote auch ohne teuren Hardware-Einbau umgangen werden. Für die Luftqualität in den Städten wäre dies ein mäßiges Ergebnis angesichts des Potenzials des getesteten SCR-Systems von nahezu 90 Prozent. Zudem bleibt zu hoffen, dass der derzeitige Nachrüstungseifer von Politik und Herstellern nach der Bundestagswahl im September nicht nachlässt.

Info: So haben wir getestet

Um den NOX-Ausstoß unter identischen Verkehrs- und Wetterbedingungen messen zu können, haben wir neben dem nachgerüsteten VW Passat Variant 1.6 TDI mit 105 PS ein technisch identisches Exemplar mit serienmäßiger Abgasreinigung getestet. Beide Autos wurden mit einem portablen Emissionsmessgerät (PEMS) ausgerüstet und gleichzeitig auf eine ca.100 km lange Testrunde mit Stadt-, Landstraßen- und Autobahnabschnitten geschickt. Nach einem Fahrertausch ging es erneut auf Tour, die Fahrweise war jeweils entspannt, aber nicht übertrieben langsam. Die angegebenen NOX- und Verbrauchswerte wurden aus dem Mittelwert beider Messfahrten gebildet.

Fazit

Dass eine wirkungsvolle Entgiftung älterer Diesel möglich ist, hat das BNOX-System eindrucksvoll bewiesen. Mehr noch: Ein kleiner Zulieferer zeigt der Autoindustrie, was möglich ist, wenn sich die Entwickler nicht nur am untersten Rand des gesetzlich gerade noch Zulässigen orientieren. Angesichts des gewaltigen Image- Schadens für die Dieseltechnik sind die Hersteller jetzt gut beraten, wirkungsvolle Systeme für ihre Bestandsfahrzeuge zu entwickeln. Schließlich betonen Autohersteller immer, wie wichtig der Diesel für die ab 2020 gültigen CO2-Vorgaben ist. Nicht nur das: Angesichts bevorstehender Umwälzungen und neuer Konkurrenz muss die Branche um ihre Zukunftsfähigkeit fürchten – wer will schon Stromer von einer Marke mit Luftverpester-Image, wenn es doch Alternativen gibt.

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AUTO MOTOR UND SPORT 15 / 2024

Erscheinungsdatum 03.07.2024

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