Beim Anbremsen von Kurve 11 ("La Caixa") des Circuit de Barcelona-Catalunya fehlt nicht viel. Ein bisschen optimistischer gebremst, womöglich mit ein paar km/h mehr Anfluggeschwindigkeit, und der Cupra Leon VZ TCR wäre als das geendet, was er ganz am Anfang einmal war: ein 1.105 Kilogramm schweres Puzzle aus rund 900 Komponenten. Doch das Sechsgang-Renngetriebe von Hewland sortiert die Gänge hart und sauber vom fünften bis in den ersten hinunter, Geschwindigkeit und Bremspunkt bleiben auf der konservativen Seite, sodass der feuchte Fleck auf dem Asphalt, den der Schatten der neuen VIP-Hospitality vom Abtrocknen abhielt, nur ein kurzes Untersteuern verursacht.
Schere, Stein – blockier!
Danach tobt der Cupra wieder trompetenprustend den Linksbogen bergauf (macht zu!), stürzt sich in die folgende Doppel-Rechts. Noch erscheint alles neu, die Strecke, das Auto, alles erfordert Gewöhnung für den Rennfahrer-Darsteller. Und natürlich das leidige Thema ABS – denn der Leon verzichtet darauf. Muss er, schließlich balgt sich der Kompakte in der TCR-Klasse, fährt dort unter anderem gegen Honda Civic Type R und Hyundai Elantra N.
Die TCR-Boliden bekommen nur dann ein ABS zugestanden, wenn sie an Langstreckenrennen wie beispielsweise den 24 Stunden vom Nürburgring teilnehmen. Falls du dir also die teuren Reifen nicht gleich in der ersten Kurve unter bemerkenswerter Rauchentwicklung eckig bremsen möchtest, gilt es, den linken Fuß zu trainieren. Vorneweg: Dafür bleibt an diesem Tag keine Zeit, sehr bedauerlich. Die Zeit reicht jedoch, um sich ein wenig auf das Fahrverhalten, den Charakter des Cupra einzuschießen. Zunächst macht er dir das recht leicht, bietet auch einem etwas aus dem Rennfahrer-Jockey-Schema gefallenen Piloten reichlich Platz sowie einen ergonomisch akkuraten Abstand zum Lenkrad-Fragment. Diese Steuer-Dinger zählen in Straßenfahrzeugen eher zu den Plagen. In einem Rennwagen nerven sie wegen des arg limitierten Lenkwinkels nicht, sparen ein paar Gramm Gewicht und geben in diesem Fall den Blick auf das Sieben-Zoll-Infodisplay frei. Wunderbar.

1.105 kg Gewicht, 340 PS Leistung und ca. 900 Komponenten schmücken den Leon VZ Tourenwagen.
Also brätst du aus Kehre 14 ("New Holland"), einer hängenden Rechts, auf Start-Ziel, tobst die leicht gewölbte Gerade unter dem Radau-Brüllen des Vierzylinder-Turbotriebwerks herunter. Der Motor stammt aus der Serie, es handelt sich um den EA888 aus allerlei bekannten Sportmodellen, von ebendem Cupra über Golf GTI und R bis hin zu Skoda Octavia RS und Audi S3. Leistung? 340 PS, eingedampft von der sogenannten Balance of Performance, kurz BOP.
Übrigens: Der Motorkühler stammt aus dem VW Passat, der Ladeluftkühler aus dem Audi Q3. Rund 60 Prozent aller Komponenten eines TCR kommen aus dem Konzernregal, der Rest sind Maßanfertigungen. Während Achsträger und Hilfsrahmen aus der Serie übernommen werden können, müssen die Dreiecksquerlenker wegen der breiteren Spur speziell angefertigt werden. Das Ziel: das Motorsport-Vergnügen möglichst kostengünstig zu halten, auch wenn das in diesem Kontext schnell lächerlich wirkt. Alleine der Grundpreis: 149.000 Euro, netto, eh klar. Und dann lass es mal scheppern! Beispielsweise gleich in Kurve 1, einem Rechts-links-Haken. Hier merkst du beim Umsetzen, wie das Auto um die Hochachse giert. Sehr schön. Mit ein bisschen mehr Fahrpraxis ließe sich der Cupra mit einem gekonnten Lastwechsel bestimmt noch akkurater positionieren, um früher ans Gas gehen zu können.
Mein Name ist Front

Die bei Kompaktwagen traditionell eher Auftriebslastige Aerodynamik-Balance versucht den Heckflügel zusammen mit dem Frontsplitter in Richtung Abtrieb zu verschieben.
Apropos: So als Fronttriebler – einfach am Kurvenausgang rauf auf den Stempel und ab dafür? Hm, jein. Ist der Radius zu eng und/oder sind die Curbs zu feucht, lässt die aggressive Differenzialsperre den Leon einen kräftigen Ausfallschritt zum Außenrand vollführen. Ein bisschen Gefühl schadet nicht, so wie in vielen Bereichen des täglichen Lebens.
Die Strecke schraubt sich im weiten Rechtsbogen bergauf, gefolgt von einer kurzen Geraden, du zuppelst an den Serien-Schaltpaddeln hoch bis in den Fünften, dann runter in den Zweiten. Einlenken, die Vorderreifen beißen. Sicher, der TCR folgt auf Fingerschnipp, unmittelbar, direkt. Dennoch lässt dir die vom Seat/Cupra-Entwicklungszentrum überarbeitete Standardlenkung ein kleines bisschen Luft, sodass eigentlich keine Gefahr besteht, das Auto zu überlenken. Die Hinterachse wirkt ebenfalls stabil, die Bremsbalance liegt bei 60 zu 40 Prozent. Sicher hat die Cupra-Truppe eine eher zivile Fahrwerkseinstellung gewählt, soll ja nichts mit Ansage schiefgehen an so einem Tracktest-Tag. Weiter, das Auto rotieren lassen, links bergab. Das Zweiliter-Aggregat hat sich längst mit deinem rechten Fuß verdrahtet, spricht fein an, dreht gerne, wenngleich ohne Übereifer (Turbo, Langhuber, ist halt so), produziert einen emotionalen Vierzylinder-Klang.

Zum Vergleich: Das an sich gar nicht harmlos wirkende Serienmodell wirkt hier doch arg schüchtern.
Allein 2024 nahmen Leon an 36 internationalen Meisterschaften teil, fuhren 68 Rennsiege ein und holten 11 Titel. Erfahrung zahlt sich offenbar aus, denn die 40 Mann starke Cupra-Truppe hat auch den Audi RS 3 TCR und den VW Golf GTI TCR gebaut. Diese beiden Konzernmarken verabschiedeten sich aus dem Kundensportprogramm, also bleibt der Marke Cupra nun der Markt alleine. Vom Vorgänger konnten innerhalb von drei Jahren 60 Exemplare abgesetzt werden, durch das Konzernmonopol waren es vom Neuen alleine 2024 bereits 25 Stück. Und ab diesem Jahr darf der Leon auch in den USA und in China antreten.
Im dritten Gang raus aus Kur ve 9, die lange Gerade hinunter zur Kurve mit dem feuchten Fleck. Hochschalten bis in den Fünften. Neben dem Hewland-Renngetriebe steht noch eines von SADEV zur Wahl. Das erste wechselt die Gänge pneumatisch, das zweite hydraulisch. Warum zwei Getriebe? Das habe regionale Gründe, Teams in Südamerika beispielsweise würden nach Hewland fragen. In jedem Fall sorgt ein eigener Lüfter für eine im Vergleich zum Vorgänger effizientere Kühlung, schließlich würde ein Getriebetausch das Budget mit rund 15.000 Euro belasten. Heute allerdings wird nichts belastet, zumindest nicht bis an die Grenze. Weder in Kurve 11 noch woanders. Dieser Leon VZ TCR bleibt ein Gesamtfahrzeug, läuft nicht Gefahr, als Teilepuzzle zu enden. Wäre ja auch höchst bedauerlich.