BMW i5, Lucid Air und Nio ET7 im Vergleichstest

BMW i5 XDrive40, Lucid Air Pure, Nio ET7 100 kWh
Wie schlägt sich der i5 mit Allradantrieb?

Veröffentlicht am 11.11.2024

Die Korken knallten, die Olympiahalle war pickepackevoll, und am Münchner Hauptsitz verfolgten 35.000 Mitarbeiter den Festakt. 2016, als es BMW zum 100-jährigen Jubiläum ordentlich krachen ließ, entscheidet ein Zulieferer namens Atieva, sich in Lucid umzubenennen. Die Pläne für ein eigenes E-Fahrzeug waren da schon geschmiedet. Zur gleichen Zeit stellte Nio seinen E-Supersportler EP9 vor. Bereits 2014 hatte der chinesische Geschäftsmann William Li das Unternehmen gegründet, dessen Logo Erde und Horizont darstellen soll. Bisher sah der ET7 am Horizont meist nur seine Gegner. Und ob kleinere Updates gegen den frischen, aber mit vielen Jahren Erfahrungsvorsprung im Autobau entwickelten i5 ausreichen oder ob am Ende der Lucid Air seinem Namen gemäß zwischen Horizont und Erde hindurch an die Spitze gleitet? Kehren wir’s aus!

Das mit dem Gleiten klappt schon mal ziemlich gut beim BMW i5, der hier erstmals als allradangetriebener xDrive40 antritt. Unabhängig davon sprechen die Adaptivdämpfer fein an. Bei der Aufbaukontrolle hilft das M-Fahrwerk Professional (4.100 Euro), das neben einer Hinterradlenkung auch eine Wankstabilisierung umfasst, die nur für den xDrive zu haben ist. Damit kombiniert der i5 komfortable Samtigkeit mit einer guten Aufbaukontrolle, nur bei einseitigen Anregungen fallen die zackigen Rollbewegungen auf.

Die 590 Nm des Antriebs lassen sich fein säuberlich über das linear abgestimmte Strompedal verteilen. Das Pedal weiter links vermittelt gekonnt zwischen Rekuperation und hydraulischer Bremse. Nicht immer jedoch überzeugt der Einsatz der adaptiven Rekuperation, zu oft fällt die Verzögerung nicht wirklich antizipierbar aus. Abschalten? Nur im Untermenü.

Bei 2,35 Tonnen Lebendgewicht wird "Freude am Fahren" mehr zur Frage als zum Statement. Die Antwort? Ja, aber mit Einschränkungen. Die direkte Lenkung schmiegt sich über das dicke Lenkrad schön in die Handflächen, stellt aber keine innige Bindung an die Vorderachse her. Mit ihm dirigiert man den perfekt austarierten (Gewichtsverteilung 50 : 50) Fünf-Meter-Kaventsmann in hohen Tempi um die Ecken. Untersteuern? Findet man erst im JWD (janz weit draußen) der Fahrdynamik-Skala. Wankstabilisierung, Hinterradlenkung und Adaptivfahrwerk greifen perfekt ineinander und servieren ein faszinierendes, Slotcar-artiges, aber auch etwas steriles Fahrerlebnis.

Effizienz contra Dynamik

Das ESP regelt in Ausweichgasse und Slalom etwas unharmonisch, dennoch fegt der i5 klar am zügigsten um die Hütchen. Das hat jedoch einen Preis: Die griffigen Options-P-Zeros mit BMW-Kennung haben viel Grip, aber auch viel Rollwiderstand. Dementsprechend hoch liegt der Testverbrauch. Dass der BMW i5 Potenzial hat, zeigt der gute Eco-Verbrauch unterhalb der WLTP-Angabe. Anders gesagt: Mit einer anderen Konfiguration wären sicherlich mehr als die schmalen 326 km Testreichweite drin, aber auch nicht die Sicherheit eines Bremswegs von nur 32,2 Metern. Unabhängig von der Gangart erweisen sich die optionalen Komfortsitze (2.200 Euro) als Pflichtkreuz, da sie es schaffen, dich einerseits beim Einsteigen kuschelig zu begrüßen, aber andererseits bei aufbrandenden G-Kräften perfekt zu halten.

Der bekannte Dreh-Drück-Steller hilft bei der Bedienung, schafft es aber nicht, sie in Gänze selbstverständlich zu gestalten. Die Menüs haben eine teils stattliche Tiefe, und besonders nerven die Berührflächen in den Leuchtleisten für Sitz- und Lichteinstellungen. Es braucht einen festen Druck auf die Zierteile, ein haptisches Feedback gibt es jedoch nicht. Unschlagbar hingegen: die umfangreiche Sprachsteuerung, die fast alles im Fahrzeug bedienen kann bis hin zur Fahrassistenz.

Apropos Fahrassistenz: Mit seinem teilautonomen Autobahnassistenten, der mit Spiegelblick auch Spurwechsel durchführt, liegt der BMW i5 XDrive40 hier einsam an der Spitze. Nicht nur, weil er als Einziger erlaubt, die Hände dauerhaft vom Lenkrad zu nehmen, sondern auch in Sachen Regelgüte und Vertrauensbildung. Ist die Autobahn nicht zu voll, sind problemlos 50 km und mehr ohne Hände am Lenkrad möglich. Das Problem: Finden Sie mal 50 km Autobahn ohne Baustelle, denn vor denen bittet Sie das System um Übernahme der Kontrolle. Das Platzangebot im Fond reicht für größere Erwachsene, begeistert angesichts von 5,06 Metern Außenlänge aber nicht. Ein Frunk für Handbesen und Ladekabel? Nicht vorhanden.

Und der Lucid? Dessen Frunk ist so groß, dass er in manch teurer Großstadt zum Wohnen vermietet werden würde. 283 Liter passen unter die Haube. Die flache Fahrgastzelle spannt sich über den Großteil der Fahrzeuglänge, was für ein loftiges Raumgefühl im Fond sorgt.

Vorn? Nervt der Einstieg unter der flachen A-Säule hindurch, hier besteht Kopfstoßgefahr. Der Lucid Air Pure ließ sich nämlich maßgeblich von selbigem Element formen. Mit cW = 0,197 ist er das strömungsgünstigste Serienauto der Welt. Das geht jedoch mit Kompromissen einher. Die Rundumsicht ist eingeschränkt, besonders nach vorne links, wo man zwar das feine Alcantara an den A-Säulen inspizieren kann, jedoch beim Linksabbiegen Fußgänger nur schwer sieht.

Generell bietet der Innenraum auf den ersten Blick mehr fürs Auge als der des BMW i5. Wo beim Bayern die B-Säulen hartplastikverkleidet sind, hängt im Lucid noch mehr Alcantara. Doch bei der Verarbeitung hapert es: Die Gummis an der Heckklappe quietschen, die Fensterleisten sitzen schief und krumm, und das Lenkrad knarzt bedrohlich. Immerhin trägt es auf seinen Speichen echte Tasten für Fahrassistenz und Medien.

Für das Infotainment-System auf zwei Bildschirmen ist Eingewöhnung erforderlich. Die meisten Menüs sind schachtelig und nur am unteren Bildschirm bedienbar, wofür stets der Blick von der Straße nach unten abgewendet werden muss – etwa zum Abschalten des Tempolimitwarners, da die Verkehrszeichenerkennung äußerst unpräzise ist. Die kleinteilige Kartenansicht des Navis ruckelt. Immerhin: gute Laderoutenplanung.

Fährt wie ein Etablierter

Erstaunlich für ein Start-up: der Fokus auf die Hardware, und zwar nicht nur auf die selbst entwickelte Antriebstechnik. Nimmt dich der BMW i5 an die Hand, fällt dir der Lucid Air förmlich um den Hals – für eine große Limousine. Sauber definierte Mittellage, direktes Ansprechen, handfester Lenkwinkelaufbau, dazu erstaunlich erdiges Feedback: So baut Lucid die beste Lenkung des Vergleichs. Kritik? Für eine Reiselimousine dürfte die Steuerung leichtgängiger sein. Da beim Lucid nur die Vorderräder lenken, fühlt er sich in Parkhäusern klotziger an als der größere BMW. Dafür ist der Air stets näher bei dir. Beachtlich: Der Federungskomfort ist nicht schlechter als beim i5. Der Amerikaner überflauscht mit seinen serienmäßigen Adaptivdämpfern Bodenwellen ebenso sanft wie der BMW, bleibt auf einseitigen Anregungen sogar stabiler.

Okay, verschärft man das Tempo, kommt der Lucid Air Pure dem BMW i5 XDrive40 nicht hinterher. Als einziger Hecktriebler kämpft er zum einen öfter um Traktion, zum anderen fehlt seinen rollwiderstandsärmeren Michelin-EV-Reifen ein wenig Grip. Dennoch: Beim Wechsel vom Modus "Smooth" zu "Swift" oder "Sprint" wird die Leistungsabgabe über das Strompedal direkter, die strafferen Dämpfer schaffen eine schöne Anbindung an die Straße, ohne das Federn zu vernachlässigen. Der Air fühlt sich im Fahrverhalten analoger und gefühlsechter an als der durchtechnisierte i5.

Die Limitierungen des Lucid: der hohe Geräuschpegel und das klare Verfehlen der Werksangabe beim Sprint auf 100 km/h. Außerdem sollte man die Nutzung der Fahrassistenz auf den Abstandshalter beschränken, der Rest fühlt sich noch ziemlich unterentwickelt an. Zudem gibt es keine Segelfunktion und keine wirklich sanfte Rekuperationseinstellung. Der Lucid rekuperiert aggressiv, belohnt dafür mit äußerst niedrigen Verbräuchen und Rekordreichweiten. Während sich der BMW voll auf Dynamik fokussiert, findet der Lucid einen eleganten Mittelweg aus Effizienz, subjektiv empfundener Dynamik und Komfort. Nur der Feinschliff fehlt.

Und in welche Richtung fegt der zweite neue Besen der Runde? Beim Entern des Nio staunt man erst mal nicht schlecht. Feines Mikrofasermaterial, hübsche Zierleisten aus Rattan und hochwertige Schalter machen Eindruck. Die beste Qualität der Runde? Materialseitig ja, nur klappert die Rückbank, die Außenspiegel quietschen beim Anlegen, und die Innenraumteppiche fusseln schon jetzt wie bei anderen Autos erst nach 80.000 Kilometern.

Die heiz- und lüftbaren Sessel mit Massagefunktion sind gemütlich, könnten aber besser stützen. Im äußerst geräumigen Fond sitzt man nicht nur bequem, sondern findet die gleichen Annehmlichkeiten wie vorne vor. Das Problem: Deren Steuerung erfolgt teilweise über das Fonddisplay, das aber stets im Dunkelmodus arbeitete und die Bedienung unter dem sonnendurchfluteten Glasdach unmöglich machte.

Zwischen Schein und Sein

Generell schafft es der Nio ET7 100 kWh nicht, den guten ersten Eindruck mit echter Substanz zu untermauern. Das beginnt beim Infotainment, das klasse aussieht, fantastisch auflöst und blitzschnell rechnet, jedoch einer einfachen Bedienung tiefe Menüs und immensen Scrollaufwand entgegensetzt und dazu Apple Carplay und Android Auto verweigert. Um Punkt 18 Uhr schalten Touchscreen und Tachodisplay in den Nachtmodus. Zwar lässt sich der Touchscreen wieder in den hellen Tagmodus versetzen, das Fahrer-Display jedoch nicht.

Auch beim Fahren fegt der Nio ET7 mit glänzenden, doch stumpfen Borsten. Das immense Sensorik-Arsenal mit teurem Lidar auf dem Dach ändert nichts daran, dass er bei dichtem Verkehr mit aktivierter Assistenz ständig unnötig abbremst. Aber auch beim unassistierten Fahren kann er seinen Luxusanspruch nicht bestätigen. Als Einziger setzt er rundum auf Luftfedern und adaptive Dämpfer. Trotzdem eliminiert das Technik-Ensemble weder das leicht hölzerne Ansprechverhalten noch die Aufbaubewegungen oder die lauten Fahrwerksgeräusche. Dabei gäbe es Potenzial für Fahrkomfort, etwa durch das niedrige gemessene Innengeräuschniveau, das jedoch immer wieder von zischelnden Windgeräuschen an den A-Säulen unterbrochen wird.

In Saus und Graus

Ist der Nio ET7 100 kWh mehr der sportliche Typ? Geradeaus auf jeden Fall, denn mit der klar höchsten Spitzenleistung katapultiert er sich in unter vier Sekunden auf 100 km/h. Dabei wünscht man sich jedoch eine harmonischere Fahrpedalabstimmung mit weniger Lichtschalter-Charakter. Trotz Allrad drehen unter Volllast spürbar die Vorderräder durch und zerren an der ansonsten sehr gefühllosen Lenkung. Das Handling wirkt schwer desinteressiert und lässt den ET7 meist plump untersteuern. Positiv: die ordentliche ESP-Applikation im Slalom. Trotz der größten Batterie im Test gibt es kaum mehr Reichweite als im BMW i5. Aber: Auf der Eco-Runde muss der Lucid Air erst 200 km  später an die Ladesäule. Vielleicht ist das auch der Grund, warum der Nio keinen klassischen Durchschnittsverbrauch anzeigt.

Für all das verlangt Nio auch noch das meiste Geld. Der effiziente, handfeste Lucid beeindruckt, braucht aber noch ein paar Qualitäts- und Funktionalitäts-Updates. Der BMW geht einen klaren dynamischen Weg, fühlt sich ausentwickelt an, lädt zackig, opfert aber Effizienz für Querdynamik. Teure Optionen wie das M-Fahrwerk treiben die Kosten nach oben. Fazit: Die neuen Besen kehren gut, aber die alten kennen die Ecken.

Technische Daten
BMW i5 xDrive40 M SportpaketLucid Air RWD PureNio ET7 100 kWh
Grundpreis78.650 €85.000 €90.900 €
Außenmaße5060 x 1900 x 1515 mm4975 x 1936 x 1409 mm5101 x 1987 x 1509 mm
Kofferraumvolumen490 l627 bis 1835 l363 l
Höchstgeschwindigkeit215 km/h200 km/h200 km/h
0-100 km/h5,3 s5,2 s3,8 s
Verbrauch15,9 kWh/100 km13,7 kWh/100 km0,0 kWh/100 km
Testverbrauch27,9 kWh/100 km22,0 kWh/100 km28,8 kWh/100 km