Audi SQ6 e-tron im Test: Besser als der Macan?

Audi SQ6 e-tron im Test
Was kann Audis Elektro-Flaggschiff mit 517 PS?

Veröffentlicht am 29.12.2024

So viel Zeit. Muss sein. Für eine neue Elektro-Plattform mit 800-Volt-Technik. Für das 270-kW-Schnellladen eines neuen, elf Zentner schweren Lithium-Ionen-Akkus mit 100 kWh Bruttokapazität. Für zwei neue E-Maschinen mit ölgekühlten Rotoren, für den haarnadelumwickelten Stator am Asynchronmotor vorn. Für Siliziumkarbid-Halbleiter im Pulswechselrichter. Für ein Bildschirmpanorama aus drei Monitoren. Und dafür, dass fünf Hochleistungsrechner miteinander auskommen. So viel Zeit, die sein muss, zusätzlich, um den mit großem Tschingderassabum für 2022 angekündigten Audi S Q6 e-tron zur Serienreife zu bringen. Zwei Jahre, heißt es, rund 24 Monate, gewiss nicht exakt 731 Tage und noch viel weniger genau 63 158 400 Sekunden. Dabei drehte sich die Welt in jeder dieser Sekunden, stünde man auf dem Äquator, um 463 m weiter.

Darin mag es liegen – das Drama des Audi SQ6 e-tron: Der Fortschritt wartet nicht, erst recht keine zwei Jahre. So kommt der SQ6 nun zu einem Zeitpunkt, an dem kein Mangel mehr an 2,5 Tonnen schweren, 380 kW starken 100.000-Euro-Stromern herrscht. Sondern an halb so schweren, ein Drittel so teuren, ein Viertel so starken E-Autos – so was wie einem elektrischen Nachfolger des Audi A2 3L.

Audi SQ6 E-Tron
Hans-Dieter Seufert

Ein Rotor des Fortschritts?

So wurden andere für die Sensationen gefeiert, die der Audi liefern wollte: Haarnadelwicklung? Kennen wir vom Porsche Taycan seit 2020. 800-Volt-Plattform? Ebenso schon damals im Taycan im Einsatz. 270 kW Schnellladeleistung? Im letzten Heft zeigte der von allzu vielen weiteren Talenten freie chinesische XPeng G9 im Test einen Maximalwert von 318 kW und eine Null-bis-achtzig-Prozent-Durchschnittsleistung von 213 kW. Doch wird das Späterkommen allein dem Audi SQ6 E-tron nicht gerecht. Bringt er doch als eines der derzeit am umfassendsten talentierten Elektroautos viele Einzel-Glanzpunkte auf 9,38 Quadratmetern Grundfläche zusammen.

Im Fundament zwischen den Achsen staffeln sich die 180 Pouch-Zellen – je 15 in Reihe geschaltet zu einem der zwölf Module. Es sind weniger, aber größere Zellen als bisher. Das senkt den Verkabelungsbedarf und optimiert die Voraussetzungen für die 800-V-Technik. Zudem haben die Zellen eine höhere Energiedichte und einen besseren Brandschutz. Der in Ingolstadt montierte Akku eignet sich für Hoch- wie Flachbodenmodelle und lässt sich besser in deren Kühl- und Crashstruktur einpassen. Ins Gehäuse integrierten die Techniker eine Kühlplatte sowie ein internes Kontrollsystem. Das schickt Daten wie Zellspannung oder Temperatur an einen der fünf Hochleistungsrechner hoch, damit der daraus ein vorausschauendes Thermomanagement ausknobelt.

Ach, und das Lademanagement teilt, hängt der Audi nur an einem 400-Volt-Schnelllader, die Batterie in zwei elektrische Blöcke auf, die dann mit der jeweils halben Maximalleistung, also 135 kW, mit säulenüblichen 400 Volt bestromt werden. Auf dass sie den SQ6 darauf wieder weitreichend vorantreiben, die beiden E-Motoren.

Vorn ist das ein Asynchro, achsparallel montiert. Als ASM lässt er sich fast verlustfrei aus dem Antriebsgeschehen rausschalten – wenn eben die Kraft des Permanentsynchros an der Hinterachse genügt. Wobei der sich ja nun gewiss nicht der Schwächlichkeit verdächtig macht, drückt er mit seinen 280 kW los. Die Maschine im Bug bringt es auf 140 kW. Zieht sie über die minimal kürzer übersetzte Vorderachse am Antriebsgeschehen mit, summiert sich die Maximalleistung im Boostmodus auf 380 kW.

Dagegen gewiss, zudem üblich und gewohnt bei solchen E-Wuchtbrummen: Es ist von allem immer überaus genügend vorhanden, ob Kilowatt oder Newtonmeter (820 Nm gesamt). Ebenso bekannt: wie galant und gripfest-clever die beiden Antriebe solche Massen auf die Straße räumen. So stanzt sich der SQ6 in beiläufiger Nebensächlichkeit in 4,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Da dauert es uns um die verflossenen Zeiten, als der Lamborghini Diablo in 4,6 s noch eines dieser ganz großen, sehr italienischen, geradezu operettenhaften Zeterundmordios samt Differenzialschaden und herunterbaumelnder linker Antriebswelle (ams 5/1992) inszenierte.

Audi SQ6 E-Tron
Hans-Dieter Seufert

Doch mal mit Gefühl

Dagegen witscht die Welt in zunehmender Rasanz und doch so leise an den Seitenscheiben des Audi SQ6 vorbei, derweil er seine Passagiere luftgefedert und adaptivgedämpft über die meisten Unbilden des Straßenbaus erhebt. Allerdings rollt der Audi mit optionalen 21-Zoll-Rädern angeherbt ab, federt mitunter harsch an. Und auch die Federung selbst verhaspelt sich auf kurzen Unebenheiten mal. Souverän jedoch hält das Set-up den Aufbau schon in der Comfort-Kennlinie unter Kontrolle. Der Dynamic-Modus rafft Federung und Dämpfung, ohne rennstreckiges Gebolze zu veranstalten. So verbindet die Abstimmung angestrafften Komfort mit innigerer Straßenverbundenheit.

Zu der steuert auch die präzise Progressivlenkung mit einer von Audi bisher selten erlangten, gefühlvollen, fein akzentuierten Rückmeldung bei. Ja, wir wissen, was Sie denken, und Sie haben recht: Der SQ6 bleibt dennoch eine Zweieinhalb-Tonnen-Wuchtbrumme. Es gelingt ihm zwar in einem erstaunlichen Maß, die Trägheit der Masse mit dem Geschick der Fahrwerks- und Regeltechnik zu verstecken. Doch irgendwann bringt sie den SQ6 dann eben doch ins Drängen und Vornewegschubbern, was die Regelsysteme dann alert und geschickt parieren. Und anders als viele Schwergewichts-E-SUV, die träge, wankende Haken schlagen wie alte Rummelboxer, verfügt der Audi über eine Kurvengewandtheit, die durchaus eine dynamische Handlingvergnüglichkeit ermöglicht. Dass er die Dynamik seines Plattform-Cousins Porsche Macan nicht erreicht – oder wohl nicht erreichen darf –, gleicht der SQ6 mit besserem Komfort und umfassenderem Alltagsnutzen aus.

So packt er stattliche Mengen an Gepäck in den Kofferraum, den er mit der dreiteilig klappbaren Lehne um einen Kubikmeter Volumen hochvariieren kann. Damit man dann die ganze Ladekabelei nicht aus dem kleinen Souterrain hervorkramen muss, passt sie in das 64-Liter-Frontkabuff.

Auf der breiten, bequemen Rückbank reisen zwei Erwachsene sehr ungedrängt. Zu dritt geht es einigermaßen gut – auch weil sich nur ein flacher Mitteltunnel am Boden erhebt. Erhaben und doch umschlungen sollen sich Pilot und Co fühlen, schwingt sich die Cockpitkulisse doch bis in die Seiten. Wobei sie hier eher eine Bildschirmwand darstellt, verfügt der Testwagen doch über den dritten Monitor (Teil des Tech-plus-Pakets), auf dem der Beifahrer herumfingern kann. Für den Fahrer blendet die Anzeige ihre Inhalte aus, um ihn nicht abzulenken. Wobei der selbst einen großen Touchscreen hat, der es an Möglichkeiten zur Ablenkung nicht fehlen lässt. Was an der schieren Funktionsfülle liegt, in die es sich vorzutasten gilt. Denn bis auf kleine Ungeschicktheiten – der Auto-Rekuperationsmodus ist in einem Untermenü verschollen – staffelt das Infotainment all die Funktionen in einem zwar vielschichtigen, aber gut beherrschbaren Organigramm.

Zudem gibt es die verständige Sprachbedienung und auch kleine Erleichterungen: das Dreh-/Skip-Rad für die Musik oder die Favoritentaste auf dem Lenkrad – bestens geeignet etwa, um die Stummschaltung des Tempolimitwarners draufzuprogrammieren. Denn der bimmelt öfter etwas wirr drauflos, wenn sich die Verkehrszeichenerkennung schwertut mit dem, was wir an sich für ihre Kernkompetenz hielten: dem Erkennen von Verkehrszeichen.

Abgesehen davon liefen Elektronik und Assistenz beim SQ6 stabil. Man mag geneigt sein, das bei einem 100.000-Euro-Auto für eine Selbstverständlichkeit zu erachten. Stimmt, sollte eigentlich keiner Erwähnung bedürfen. Doch müssen wir an den Test des Porsche Macan Turbo im vorherigen Heft erinnern, bei dem die Assistenz durch Ausfälle auffiel. Und der SQ6 nutzt dieselbe Elektronik-Plattform namens E³ 1.2, ein Produkt von Cariad, der Software-Tochter des Volkswagen-Konzerns. Die E³ 1.2 hat so ziemlich am meisten Verdruss und Verzögerung bereitet mit ihren fünf Hochleistungsrechnern: einer für Antrieb und Fahrwerk, einer für die Assistenz, einer fürs Infotainment, einer für die Komfortfunktionen und der fünfte dafür, die vier anderen so miteinander zu vernetzen, dass alles stabil und schnell läuft.

Nachsprung durch Technik

Schnell und stabil läuft auch der SQ6 immer, nur nicht immer sehr weit. Beim Testverbrauch von eher intensiven 27,9 kWh/100 km genügt eine Akkuladung für nur 354 km. Da beeindrucken Effizienz- und Schnellladepotenzial mehr: Sparsam gefahren wie auf der Eco-Runde (19,8 kWh) reicht der Akku für 499 km. Mit bis zu 278 kW Ladeleistung speichert der Audi in 15 min Energie für 200 km.

Damit – wie mit vielen anderen seiner Fähigkeiten – wäre der SQ6 vor zwei Jahren noch ein Beweis für Audis versprochenen Vorsprung durch Technik gewesen. Ja, womöglich wäre er gar wie der Taycan als Wunderwagen gefeiert worden. Und nun? Nun ja. Die Zeit heilt alle Wunder.

Technische Daten
Audi SQ6
Grundpreis93.800 €
Außenmaße4771 x 1965 x 1665 mm
Kofferraumvolumen514 bis 1517 l
Höchstgeschwindigkeit230 km/h
0-100 km/h4,2 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km
Testverbrauch27,9 kWh/100 km