Audi S6 TDI & Mercedes E 450 d 4Matic im Test

Audi S6 TDI & Mercedes E 450 d 4Matic im Test
Dreifach aufgeboostete Diesel im Oberklasse-Duell

Veröffentlicht am 24.11.2024

Es ist ja nicht so, dass es die Zukunft erst seit gestern schwer hat. Sie hat es schon seit der vergangensten Vergangenheit. Was war das – die Älteren erinnern sich – für ein Gezanke in der Jungsteinzeit, ob das Sammeln und Jagen noch eine Zukunft habe oder man nicht doch auf das neumodische Sesshaftwerden mit Ackerbau und Viehzucht setzen sollte. Oder etwas später, um 3200 vor Christus, als junge Leute (angeblich aus der Gegend um Zürich, wie ein – schweizerisches – Forscherteam ermittelt haben will) mit diesem modernen Kram, dem Rad, ankamen! Lief doch vorher auch alles rund.

So liegt es im Wesen der Zukunft, es nie allen recht machen zu können. Für die einen soll sie die Vergangenheit hinter sich lassen, die anderen wünschen sie sich als Fortsetzung der Gegenwart. Mitunter gelingt ihr beides. Und damit willkommen beim Vergleichstest zwischen Audi S6 TDI und Mercedes E 450 d 4Matic. Denn die beiden Limousinen trimmen eine Antriebsart, die manche schon als Last der Vergangenheit überwunden glaubten, mit großem Aufwand und ingeniöser Spitzentechnologie für eine Zukunft, die noch weit über die Gegenwart hinausreichen kann. Bei Audi haben sie dafür gar das Rad neu erfunden. Zumindest ein kleines.

Strom für perfekte Ströme

Denn für den Audi S6 entwickelten die Ingenieure ein kleines, elektrisch angetriebenes Turbinenrad, das sich mit bis zu 70.000/min dreht. Dieser EAV (nein, liebe Mitgenossen der Generation Vokuhila mit Mittelscheitel, hier steht das nicht für "Erste Allgemeine Verunsicherung", sondern für "elektrisch angetriebener Verdichter") sitzt in der Ansaugstrecke direkt hinter dem Ladeluftkühler. Mit 7 kW, der Sturmgewalt dreier frisierladentauglicher Föhns, wirbelt der EAV nach 0,25 s Anlaufzeit die Luft direkt in den Brennraum, während der Turbo trotz verstellbarer Schaufelgeometrie so bis 1.650/min in der Ladedruckflaute herumnudelt. Hat der EAV das Anfahrzögern weggepustet, leitet ein Bypass den Ansaugstrom zum Turbo um den E-Vorverdichter herum, schaltet ihn aber bei hoher Last und geringem Ladedruck eilig wieder zu.

Strom bekommt der E-Strömer vom 48-Volt-Mildhybrid-E-Werk. Es besteht aus einem Riemenstartergenerator und einem 10 Ah großen Akku, der sich unter dem Kofferraumboden einrichtet. In den speist der Generator im Schiebebetrieb mit bis zu 8 kW Energie. Die findet nicht nur für den EAV Verwendung, sondern auch für die Bestromung der Bordelektronik, wenn das Mildhybridsystem in seiner Nebentätigkeit als Kapitän des motorlosen Segelns und als Start-Stopp-System beim Abbremsen (ab 22 km/h Resttempo) den TDI ausknipst.

Herrje, stimmt, ein Verbrenner treibt den Wagen ja auch noch an. Überliest man beinahe in der Pressemappe des Audi – wie in der des Mercedes E 450. Da klingt es fast, als bewege sich das Auto nur durch zugepustete Luft aus Rekuperationsenergie. Doch versteht man die E-Komponenten besser als eine Art Aufzug, damit der Dreiliter-V6 nicht die steile Leiter aus den Katakomben des Drehzahlkellers auf die Bühne hochstapfen muss. So schlendert er lässig die Showtreppe herunter, während noch das Elektro-Ballett aus Mildhybrid und EAV herumwirbelt – aber schön im Hintergrund bleibt und weghuscht, wenn der Diesel seinen großen Auftritt hat.

Obacht – alte Show-Weisheit: Um etwas aus dem Ärmel schütteln zu können, muss erst einmal etwas drin sein. Aber beim 190 kg schweren V6-Diesel steckt da ein ganzes Technik-Ensemble an Assen drin: Die Common-Rail-Anlage spritzt mit bis zu 2.500 bar den Kraftstoff ein, ein zweiteiliger Wassermantel kühlt den Zylinderkopf, ein getrennter Kreislauf das Kurbelgehäuse – und bei Bedarf dazu EAV, Ölkühler, Riemenstarter und das Verdichtergehäuse des Turboladers. Damit der den vollen Luftstrom des Abgases zum Antrieb bekommt, verlegten die Techniker die Abgasrückführung hinter den Partikelfilter. Auf dass der VTG-Lader die Luft mit der vollen Wucht von 2,4 bar Überdruck in die sechs Brennräume presse.

Ob es vorangeht? Und wie! Aber doch nicht wie erwartet. Denn die ganze enorme Wucht patscht den Audi S6 TDI nicht einfach in plumpem Ungestüm voran. Sondern in, jawoll, in harmonischem Ungestüm. Der kultivierte Antrieb inszeniert die Vehemenz so, dass der Fahrer sie exakt austariert intensivieren und der Allradantrieb sowie das Adaptivfahrwerk sie sicher auf die Straße verräumen können. Dafür grippt der Permanent-Quattro situationsoptimiert ein, verschiebt seine leicht heckbetörende Standard-Momentenverteilung (40 : 60) eilfertigst auf bis zu 70 Prozent vorn oder maximal 85 hinten. Derweil steuert die Dynamik-Allradlenkung vorn variabel übersetzt und hinten per Spindeltrieb neben agilisierender Wendigkeit in Stadt und Land einen Beitrag zur fast unerschütterlichen Fahrsouveränität auf Autobahnen bei: Bis 60 km/h lenkt sie bis zu fünf Grad entgegen, bei höherem Tempo bis zu zwei Grad parallel. Schließlich hätten wir die adaptiv geregelte, grundangestraffte Luftfederung rundum und das Sportdifferenzial an der Hinterachse – und doch eine Bandbreite an Fähigkeiten nicht ganz so opulent wie erwartet.

Was du, steigst du zuerst in den S6, weder erwartest noch vermisst. Ja, gälte es, halbe Kontinente zu durchkreuzen, gäbe es dafür doch wohl kaum ein vollendeteres Auto als die Sportversion des A6 . Kaum hast du dich in die weiteststreckenbequemen, haltformidablen Sportsitze gekuschelt, ist der S6 schon durch die Stadt gegrummelt. Nach Bedien-Umständchen umfassend assistiert, bestens klimatisiert, zielgeführt und bemusiziert, reckt er sich einem Horizont entgegen, hinter dem es immer weiter und weiter gehen könnte. Und das so leise und bequem – wobei es die Luftfederung im Comfort-Modus mitunter verpasst, kurzen, kantigen Unebenheiten die ganze Härte zu nehmen.

Nicht mal so viel straffer trimmt sich das Set-up im Dynamic-Modus. Er rafft Federn und Dämpfung, senkt die Karosserie ab. Neben dem etwas törichten Kunstsoundkrawall bekommt der Motor präsenteres Reagieren einprogrammiert. Wobei er dessen ebenso wenig bedürfte wie der treffsichere Achtstufenautomat. Bei der Lenkung wäre die Präsenz besser untergebracht. Bei aller Präzision der gut angepassten Übersetzung und Direktheit – irgendwo zwischen Reifen und Lederkranz verschwummert immer etwas Rückmeldung.

Womit wir wohl mal wieder auf dem höchsten Niveau des Jammerns angekommen wären. Denn der S6 ist ein prächtiger Wagen: geräumig, leise, wertvoll eingerichtet, sorgsamst verarbeitet, komfortabel, sehr sicher und für seine immensen Fahrleistungen fast schon unverhältnismäßig sparsam. Im Testschnitt genügen 7,9 l D/100 km, auf der Eco-Runde 5,5 l – macht 924 bis 1.327 km Reichweite.

Bis es so weit kommen kann? Gilt es, im Fall des Test-S6 fast 90.000 Euro verdient, versteuert und für den Erwerb eines Kräftigstfahrzeugs parat zu haben. Könnte man sich für die Zukunft durchaus mal vornehmen.

Boosten und Pusten

Oder doch für den Mercedes E 450 d 4Matic, der die Schier-Unerschwinglichkeit auf ein bei diesen Summen unerheblich höheres Niveau knapp nördlich der 90.000 treibt? Wobei er – sollte es eines Arguments für die Mehrausgaben bedürfen – die keineswegs unzureichenden Leistungs- und Drehmomentwerte des S6 um 23 PS und 50 Nm übertrifft. Wo wir gerade so nett über den Antrieb plaudern, dröseln wir die Aufgaben der eng miteinander verwobenen Teilnehmer mal auf.

Auch beim 450 d schafft das Mildhybridsystem ein Fundament für ansatzlose Kraft und hohe Effizienz – aber ein erheblich stabileres, das den Dreiliter-Reihensechszylinder nicht nur beim Rollen komplett ausknipsen, sondern ihm mit 17 kW und 205 Nm auch erheblich inniger zuboosten kann. Der interne Startergenerator wohnt zwischen Neunstufenautomatik und Motorblock. So drückt der E 450 d schon homogen voran, wenn den Borg-Warner-Hochdrucklader bei niedrigen Drehzahlen noch ein laues Abgaslüftchen dreht. Für höhere Drehzahlen kommt ein zweiter Turbo, ein Niederdrucklader, ins Rotieren. Ob Übergänge beim Hin und Her von Generator zum ersten und zweiten Turbo zu spüren sind? Sie belieben zu scherzen! Es geht dermaßen voran.

Wobei sich der Unterschied zum Audi S6 nicht in den kleinen Unterschieden der Dauer, sondern in der Dominanz der Beschleunigung zeigt, die jene im Audi noch übertrifft. Auch akustisch, denn für eine fesche Beschleunigung legt der Reihensechser seine allerbesten Manieren mal ab und lässt es mit den guten bewenden. Es ist der OM 656 M, die modifizierte Version des seit 2017 gebauten Modularmotors, der mit leicht erhöhtem Hub (94,3 mm) nun auf 2.989 cm³ kommt und den Kraftstoff mit 2.700 bar (plus 200) durch die Piezo-Injektoren in die Zylinder presst. Damit er sich dort vermische und selbst entzünde mit der von den Turbos auf maximal 2,0 bar komprimierten Luft. Im Alltag liegt der größte Erlebnisgenuss in der fast ansatz-, glatt maßlosen Durchzugsstärke. Geschwind nach Ende des 60er-Limits der Autobahnbaustelle auf lockere 200 km/h beschleunigen? Nur einen Fußtapser entfernt.

Ist das Fernreisetalent des Audi S6 TDI quattro schonaußergewöhnlich, so ist das der E-Klasse überragend. Es setzt sich aus vielen Einzeltalenten zusammen, die sich zu einer Gesamtgrandiosität summieren, mit der einzig die etwas komfort- und haltschwächeren Vordersitze nicht ganz mitkommen. Ansonsten fängt es bei der Niederschwelligkeit an, mit der sich die E-Klasse trotz der gewaltigen Bedienfülle über die verständige Sprachassistenz, den gut durchsortierten Touchscreen und ... nein, besser nicht über die flutschigen Lenkradtasten ... bedienen lässt. Dann ist da die unaufgeregt-souveräne Assistenz, die neben aktiver Spur- und Tempoführung auch das Überholen auf Autobahnen allein veranstalten kann. Vor allem (und das begeistert uns Freunde der Kraftfahrt viel mehr als jede geschicktere Assistenz und jedes aufgeschniegeltere Infotainment): Die E-Klasse fährt brillant. Nein, sogar mehr als das: in einer großen Bandbreite an Brillanz.

Denn brillant fährt ja auch der Audi S6 – in seiner Ausprägung als dynamikbezirzte Weitstreckenlimousine. Die E-Klasse macht noch mehr aus sich – und für dich. Magst du entspannt durch die Gegend gondeln, ist sie die gute alte Tante E, die dich nett umtüddelt, mit Luftfederkomfort umflauscht und in geradezu unangreifbarer Fahrsicherheit wiegt. Anders als der S6 stachelt dich der 450 d nie zur Eile an, lässt dich in Ruhe. Und hat doch alles parat, wenn es dir lange genug ruhig genug war.

Was dann folgt, wird noch schöner bei aktiviertem Sport-Modus. Ja, ganz ungewohnt ist der hier keine rumpelige Kasperei, sondern die perfekte Abstimmung von Fahrwerk und Lenkung für geschmeidiges Fahrvergnügen. Er strafft die Luftfederung nur so weit, dass die Karosseriebewegung gering, die Verbundenheit inniger, aber der Komfort selbst auf groben Unebenheiten nie weniger als galant wird. Und die Allradlenkung – 4,5 Grad gegenläufig, bis zu 2,5 Grad parallel – steigert ihre Strahlkraft bei Ansprechen, Präzision, Rückmeldung nun noch weiter.

Dabei wahrt der E eine unaufgeregte, geschmeidige Souveränität. Und eine Dynamik, die weiter und weiter reicht. Kurvst du mit dem Vierfünfzig übers Land, durchaus schon engagiert, hält er selbst in engen Kurven fest die Linie. Drückt er sich aus der Kurve auf die nächste Gerade, verschafft die sacht hinterachspointierte Momentenverteilung des Allrads (45 : 55) der Neutralität seines Handlings ein diskretes Aroma von Heckdrängeln. Die nächsten Kurven gehst du etwas eiliger an, doch die Vorderachse scheint sich nur noch bissiger in die Ecke zu grippen. So geht es noch vier-, fünfmal weiter, bis es eigentlich eher dir als der E-Klasse reicht. Der S6 geht das Tempo immer mit, aber schließlich wanzt sich doch ein kleines Untersteuern an sein Handling heran.

Nur eine Kleinigkeit? Ja, aber eine von vielen inzwischen. Und worauf sonst kann es in dieser Klasse ankommen? Finanziell gewiss nicht auf ein paar Zehntel Verbrauchsunterschied. Aber welch prächtiger ideeller Vorteil ist der niedrigere Verbrauch des Mercedes (7,3 l/100 km im Test, 5,1 auf der Eco-Runde)! Er ist eben noch sensationeller effizient für ein Zweitonnen-Luxusappartement mit genug Nullhundert-Kompetenz (4,9 s), um einen Ferrari F40 (4,6 s) zu hetzen.

Keineswegs nicht nur, aber auch damit ist der Mercedes E 450 d 4Matic ein bisschen mehr eines der besten Autos der Gegenwart. Und so, wie es gegenwärtig aussieht, kann es noch einiges an Zukunft dauern, bis sich das ändert.

Und wo ist der angekündigte BMW 540D geblieben?

Tja, daheim in München. Denn wegen eines technischen Defekts, der nicht rechtzeitig für unsere Produktionszeit des Vergleichstests behoben werden konnte, musste BMW den zugesagten und von uns ja auch in der Vorschau im letzten Heft angekündigten 540d xDrive für diesen Test absagen.

Dabei passt der 540d, nun einziger Fünfer-Diesel mit Reihensechszylinder, mit Mildhybrid-unterschäumten 303 PS, Twinscroll-Turboaufladung und Allrad perfekt ins Feld. Wir versuchen, seinen Test bald nachzuholen.

Technische Daten
Mercedes E 450 d 4matic Audi S6 TDI Quattro
Grundpreis86.263 €86.000 €
Außenmaße4949 x 1880 x 1468 mm4964 x 1886 x 1446 mm
Kofferraumvolumen540 l520 l
Hubraum / Motor2989 cm³ / 6-Zylinder2967 cm³ / 6-Zylinder
Leistung270 kW / 367 PS bei 4000 U/min253 kW / 344 PS bei 3850 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h250 km/h
0-100 km/h4,9 s5,2 s
Verbrauch7,9 l/100 km
Testverbrauch7,3 l/100 km7,9 l/100 km