Es hilft nichts, ein tiefer Griff in die Mottenkiste der Sinnsprüche des Motorjournalismus steht an: "Mehr Leistung braucht eigentlich kein Mensch." Wird er heute gelassen ausgesprochen, mischt sich sofort ein großer Schluck Ironie darunter, denn speziell bei Elektroautos scheint mehr Leistung praktisch frei Haus geliefert zu werden. Selbst Basismotorisierungen walzen die 600-PS-Barriere nieder, so wie der Audi e-tron GT . Und bei seiner 2,4 Tonnen schweren Topvariante RS Performance Quattro wird die PS-Angabe sogar fast vierstellig.
Mal eben rund 50 Prozent beträgt der Leistungszuwachs gegenüber dem Vorgänger: von 440 auf 680 kW, was den Namenszusatz "Performance" absolut rechtfertigt. Allerdings haben sie den Audi analog zum Konzernbruder Porsche Taycan Turbo S lediglich verbessert, nicht völlig erneuert. Doch schon so haben wir es nun nach alter Währung mit 925 PS zu tun, also fast einem Kilo-PS.

Wie wäre es mit einer Halbierung bei Preis, Ladezeiten und Akku-Gewicht statt mit einer Verdoppelung der Leistung bei E-Autos?
Verblüffend urstabil
Die Änderungen betreffen nicht die Karosserie, weshalb der beengte Zustieg nach hinten geblieben ist, ebenso die eingeschränkte Kopffreiheit und Oberschenkelauflage auf der Rückbank sowie das Mini-Heckfenster, welches im Rückspiegel nicht einmal die Hälfte des Bilds ausfüllt. Neu dagegen ist das unten und oben abgeflachte Sportkontur-Lenkrad, das mit seinen Ecken statt Rundungen schon in anderen Modellen Autoaktivisten verärgert hat und nur einen Schluss zulässt: Wer so etwas absegnet, lenkt wohl ungern und dann wenig.
Dem Schubvermögen stellen sich optionale Keramikbremsen entgegen, die mit 5.600 Euro erkauft werden wollen. Wobei sie das Verzögern nicht allein übernehmen, schließlich mischen auch die E-Motoren mit, die dabei Energie rekuperieren, was sich in drei Stufen einstellen lässt. Der Druckpunkt des Pedals meldet die Verblenderei erst auf den letzten Metern beim Zielbremsen.
Noch gelungener ist das Verblenden bei den Fahrwerkskomponenten. Das Topmodell mit dem Aktivfahrwerk für 7.000 Euro kann seine Dämpfer hydraulisch beeinflussen und so auch die Radlast beim Fahren. In Verbindung mit Allradlenkung (1.900 Euro) und -antrieb, der sich aus je einem Motor pro Achse speist, ergibt sich ein verblüffend urstabiles und urneutrales Fahrverhalten. Was noch verblüfft: der Langstreckenkomfort. Auf Kanaldeckel oder Querrillen weisen die optionalen 21-Zöller vorwiegend akustisch hin; den Großteil aller weiteren Unebenheiten kehrt der e-tron unter den Tisch. Bis auf zwei lange Bodenwellen, welche die Federung dem harschen Geräusch zufolge kurz an ihre Grenzen brachten. Jene beiden Stellen werden von Luxusgleitern – von der Mercedes E-Klasse aufwärts – klaglos weggesteckt.

Bei Vollgas springt die nächste Kurve ins Bild. Gut, wenn Sprint- und Reaktionsvermögen korrelieren.
Das Vollgas-Nicken
Selbst dem 625 Kilogramm schweren Akku mit 97 kW Nettokapazität kann man Positives abgewinnen: Im Untergeschoss montiert, hält er den Schwerpunkt der Limousine tief – da kann wenig wanken oder nicken. Wobei andererseits das Potenzial fürs Vollgas-Nicken die Vorstellungskraft aller Menschen diesseits von WRC- und F1-Piloten übersteigen dürfte.
Es gibt einen roten Boost-Knopf links am Lenkrad, und er macht das, was man vermutet, boostet die Leistung – auf 620 kW. Doch wann wird die zusätzliche Leistung zu den regulär vorhandenen 550 kW eigentlich benötigt? Nicht einmal bei Überholvorgängen, denn hier muss man ohnehin darauf achten, vor dem Vollstromgeben wirklich voll auszu- scheren. Sonst könnte einen der Sprung des Audi so sehr überraschen, dass man dem Vordermann auffährt.
Stichwort: überraschen. Oder besser: erschrecken. Wer das rechte Pedal unbedarft durchtritt, hat hoffentlich vorher die stärkste Rekuperati- onsstufe aktiviert. Damit dem erschreckten Vom-Gaspedal-Rutschen nach dem Dragster-Schub gleich ein adäquates Bremsmoment folgt.

Per Zug an den beiden Lenkradwippen justiert man die Stärke der Rekuperation.
Wer seine Peristaltik zum endgültigen Krampfen bringen möchte, der wechselt in den Performance-Modus und lässt den RS e-tron GT von der Launch Control mit 680 kW abschießen. Das raubt einem fast die Sinne und setzt eine wirklich weitesthin einsehbare Gerade voraus. Anders als bei Übersee-Konkurrenten funktioniert die Abschussrampe übrigens auch ohne Vorglühen des Akkus.
Wir beschreiben hier die Darstellung des Machbaren, nicht des Sinnhaften. Was teilweise auch für das bereits kurz angerissene Aktivfahrwerk gilt, bestehend aus Zweikammer-Luftfederung sowie Zweiventil-Stoßdämpfern. Es benötigt keine Stabilisatoren und kann die Räder nicht nur auf die Straße drücken, sondern auch ausfedern und damit anheben. Möglich macht das eine elektrisch betriebene Hydraulikpumpe, die am 800-Volt-Bordnetz hängt.
Auf Wunsch stellt sich das System nahezu sämtlichen Karosseriebewegungen entgegen. Das klingt äußerst beeindruckend, entfremdet aber das Fahrverhalten vom Gelernten – Autoaktivisten wollen schließlich möglichst deutlich artikulierte Rückmeldung im Chassis, weil Bewegung den Grenzbereich ankündigt.
Also deaktiviert man diese Anti-Wank-Show besser im Display und hält sich auch vom Fahrmodus Dynamic fern, um zumindest ein wenig Seitenneigung zu ermöglichen. Sie ist als Indikator wichtig, denn die Lenkung verlautbart im RS das Erreichen des Grenzbereichs nur nuschelig. Immerhin hat sie eine stabile Mittellage, und ihre Unterstützung spricht harmonisch an.

Audi hat einen Elektro-Sound entwickelt, der nicht nach startendem Ufo klingt, sondern eher wie ein wummerndes Grollen.
Welcher Sound läuft dazu?
Der Grenzbereich übrigens zeigt sich im Audi erst zu einem Zeitpunkt, da man ihn schon im Feierabend wähnt. Dann taucht er nicht urplötzlich auf, um den Fahrer zu verschrecken – die montierten Pirelli P Zero Elect (ohne Corsa!) beginnen vielmehr weich zu rutschen. Übermotivierter Vortrieb sucht sich seinen Weg zunächst über die Vorderreifen und bleibt dann im ESP hängen. Wer sich jedoch einen sanften Gasfuß antrainiert hat und über stabile Kenntnisse im instabilen Fahrzustand verfügt, kann ins Sport-ESP wechseln und eine Kurvenausgangs-Party feiern.
Und welche Musik läuft dazu? Audi hat einen E-Sound entwickelt, der ausnahmsweise nicht nach abhebendem Ufo klingt. Für 500 Euro extra spielen die Lautsprecher innen wie außen eine Art Grollen ab, das sich in drei Stufen dosieren lässt.
Dass man in einer schweren Elektro-Limousine überhaupt das Herumkurven abfeiert, zählt wahrscheinlich zur größten Leistung dieser Konstruktion überhaupt. Natürlich ist die Plattform eigentlich viel zu breit für die Spaßstraßen, natürlich merkt man das hohe Gewicht, natürlich führt das "RS" im Namen in die Irre, trägt doch die Baureihe bei Audi nicht umsonst den Namen GT, natürlich beurteilen wir hier einen Testwagen mit reichlich Options-Helfern.

Mehr Leistung braucht kein Mensch – man könnte sich mit der Basisversion S Quattro samt ihren reichlich 680 PS ab 126.500 Euro begnügen und das gesparte Geld unter anderem in den optionalen Fahrwerkszauber investieren.
Schwergewicht
Der technische Aufwand, um ein schweres E-Auto gleichermaßen so gut federn wie um die Ecke fahren zu lassen, ist enorm und für den Kunden extrem teuer. Falls Sie als Interessent sichergehen wollen, dass Ihr RS e-tron genau so fährt, wie wir das hier bejubeln, müssen Sie zum Grundpreis von 160.500 Euro noch einmal über 12.000 Euro zusätzlich investieren.
Thema: Mehr Leistung braucht kein Mensch – man könnte sich mit der Basisversion S Quattro samt ihren reichlich 680 PS ab 126.500 Euro begnügen und das gesparte Geld unter anderem in den optionalen Fahrwerkszauber investieren. Denn sein Fahrverhalten macht den e-tron zur Sensation, nicht seine aberwitzige Beschleunigung. Für welches Modell man sich auch entscheidet: Der hohen Investition in dieses High-Performance-Fahrzeug steht zumindest die Gewissheit eines lokalen Low-Emission-Verbrauchs entgegen. Im Testdurchschnitt etwa kommt der RS Performance auf 26,4 kW je 100 Kilometer, was zweierlei bedeutet. Erstens: Umgerechnet in CO2 entspricht der Verbrauch nach dem aktuellen Strommix 106 Gramm je Kilometer. Und zweitens könnte man 412 Kilometer weit fahren, bis der Audi (im Idealfall punktgenau an einer HPC-Säule) stranden würde.
So viel zu den wesentlichen Erkenntnissen aus diesem Test. Folgt eine Feststellung zu guter Letzt: Offenbar denken derzeit die Entwickler lieber ganz groß und verdoppeln – zumindest gefühlt – im Takt der Modellwechsel die Kilowatt der E-Motoren. Gegenvorschlag: Wie wäre es mit einer Halbierung bei Gewicht, Preis und Ladezeit sowie einer Verdoppelung der realistischen Reichweite? Darauf würden wir uns freuen. Zunächst aber lassen wir uns von der Technologie aktueller Modelle wie des Audi e-tron GT faszinieren, mag auch manches übers Ziel hinausschießen. Die Leistung etwa. Mehr braucht wirklich kein Mensch.
Audi RS e-tron GT performance | |
Grundpreis | 160.500 € |
Außenmaße | 5004 x 1964 x 1402 mm |
Kofferraumvolumen | 350 l |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
0-100 km/h | 2,5 s |
Verbrauch | 0,0 kWh/100 km |
Testverbrauch | 26,4 kWh/100 km |