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Fachwissen/Lernfeld 9 - Technik Elektroantrieb
Bremsen für Elektrofahrzeuge

Eine überschaubare Anzahl von Automobilherstellern baut rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge. Dabei geht es den Entwicklern nicht allein um Vortrieb, auch das Bremsen erfordert neue Konzepte.

Bremsen für Elektrofahrzeuge
Foto: Bosch, VW

Bremsen für Elektrofahrzeuge

Eine bislang noch überschaubare Anzahl von Automobilherstellern baut inzwischen rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge, speziell für den Bereich der unteren Mittelklasse mit einer Reichweite unter 200 Kilometern. Doch geht es für die Entwickler nicht allein um Vortrieb, auch das Bremsen erfordert neue Konzepte.

Elektrisch angetriebene Fahrzeuge sind ausgerüstet mit hydraulisch betätigten Bremsen an Vorder- und Hinterachse, an der Vorderachse mit Scheibenbremsen, an der Hinterachse entweder ebenfalls mit Scheibenbremsen oder aus Kostengründen mit einer Trommelbremse (siehe Aufmacherbild). Insofern existiert kein Unterschied zum Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Da allerdings bei elektromotorischem Antrieb die separat angetriebene Unterdruckpumpe für den Bremskraftverstärker fehlt, muss Ersatz geschaffen werden. Eben jener ist der elektromechanische Bremskraftverstärker mit nachgeschaltetem Tandem-Hauptbremszylinder und zusätzlichem Druckspeicher.

Unsere Highlights
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Bosch, VW
B2 Systemkomponenten der Bremse des e-Up bestehend aus elektronischem Bremskraftverstärker mit Tandem-Hauptzylinder und Druckspeicher

Der elektromechanische Bremskraftverstärker bietet gegenüber dem pneumatischen Bremskraftverstärker die Vorteile einer:

▶ vom Unterdruck unabhängigen Verstärkung
▶ große Druckaufbaudynamik
▶ hohe Druckstellengenauigkeit
▶ Kombination aus elektrischer und mechanischer Bremsverzögerung bei gleichbleibender Bremspedalcharakteristik und Pedalkraft.

Aufbau

Der elektromechanische Bremskraftverstärker (eBKV) besteht aus einem konventionellen Tandem-Hauptzylinder mit aufgesetztem Bremsflüssigkeitsbehälter, zusätzlichem Anschluss für den Druckspeicher und einer vorgeschalteten Motor-Getriebe-Einheit mit einem Steuergerät für die Bremskraftverstärkung.

Zur Motor-Getriebe-Einheit gehört ein Elektromotor mit Positionsgeber und ein zweistufiges Getriebe, das in eine Verstärkungshülse mit Bremspedalweggeber eingreift.
Das vom Fahrer betätigte Bremspedal wirkt auf die Betätigungsstange und die Kolbenstange des Bremskraftverstärkers verschiebt die Kolben des Tandem-Hauptzylinders.

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Bosch, VW
B3 Schnittmodel des eBKV

Zum Gesamtsystem gehört ferner ein Druckspeicher, der mit dem Tandem-Hauptbremszylinder direkt verbunden ist. Ein angeflanschter Elektromotor verschiebt über einen Spindelantrieb einen Kolben und verändert so das Zylindervolumen.

Funktion

Betätigt der Fahrer das Bremspedal, wird die Betätigungsstange des eBKV in Richtung Tandem-Hauptbremszylinder verschoben. Der Pedalweggeber meldet die Stellung der Betätigungsstange an das Steuergerät für die Bremskraftverstärkung. Zur Verstärkung der Pedalkraft, die der Fahrer aufbringt, wird der Motor des eBKV aktiviert. Das Ritzel des zweistufigen Getriebes verschiebt mithilfe einer Zahnstange die Verstärkungshülse und wirkt zusätzlich zur Pedalkraft auf die Kolbenstange des Tandem-Hauptzylinders. Das Fahrzeug wird mechanisch abgebremst. Bosch gibt die Leistung des Elektromotors mit 300 W an, die Unterstützungskraft des Boosters beträgt 5,5 kN und der Stromverbrauch 1 A pro 10 bar Bremsdruck bei einer Standardbremsung.

Die Rotorlage des Elektromotors und damit gleichzeitig die Position der Verstärkungshülse erfasst ein Hallgeber. Erst nach Überwindung eines Leerwegs liegt die Verstärkungshülse an der Druckstange an und unterstützt dann die Betätigungskraft des Fahrers.
Bei Ausfall der Unterstützungsfunktion werden Hülse und Druckstange entkoppelt, sodass ein Bremsen auch bei Ausfall der Unterstützungsfunktion gewährleistet ist.

Rekuperation

Um die Reichweite des elektrischen Fahrens zu verlängern, wird rekuperiert, das heißt, der Drehstromantrieb wird im Verzögerungsfall als Generator geschaltet und lädt die Batterie. Die Bremsenergie-Rückgewinnung ist abhängig von der Motor/Generatordrehzahl, sowie von Temperatur und Ladezustand der Hochvoltbatterie. Beispielsweise beträgt die maximale elektrische Verzögerung beim VW e-Up 3,5 m/s², ein Wert, der bei vorausschauender Fahrweise ausreicht, das Fahrzeug ohne mechanische Bremse genügend zu verzögern.

Bei frühen Elektrofahrzeugen war die elektrische Verzögerung oft Schwankungen unterworfen. Bei Bremsbetätigung wurde die mechanische Verzögerung durch das Rekuperieren teils unangenehm verstärkt. Eine vorausschauende, genau definierte Abbremsung des Fahrzeugs durch den Fahrer, der die Verzögerungswirkung durch das Rekuperieren nicht einschätzen kann, war kaum möglich.
Das Problem ist zwischenzeitlich durch ein Reduzieren des hydraulischen Bremsdrucks und eine Überlagerung von hydraulischer und elektrischer Verzögerung (Brake Blending) gelöst. Die Vorteile dieser Bremsstrategie sind in der Grafik deutlich zu erkennen.

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Bosch, VW
B4 Brake Blending: a Pedalkraft des Fahrers b Generator-Bremsmoment c Verzögerung der Betriebsbremse d Geschwindigkeitsabnahme

Die dunkelblaue Linie d entspricht der gewünschten Fahrzeugverzögerung, das heißt, das Fahrzeug soll aus einer Geschwindigkeit von 100 km/h innerhalb von 8,5 Sekunden auf 0 km/h abgebremst werden. Die untere Linie a entspricht der Kraft, mit der der Fahrer das Bremspedal betätigt. Diese Kraft bleibt während des gesamten Bremsvorgangs konstant. Kurve b zeigt die Verzögerung durch das Generator-Bremsmoment des Drehstromantriebs, c die Verzögerung durch die Betriebsbremse. Die Gerade d entspricht der durch den Fahrer gewünschten Verzögerung und e der Geschwindigkeitsabnahme durch das Bremsen.
Aus dem Diagramm ist ersichtlich, dass nach ungefähr sechs Sekunden der Generator durch das Rekuperieren für etwas mehr als eine Sekunde die gesamte Verzögerung des Fahrzeugs übernimmt und das Moment der Betriebsbremse null beträgt. Erst nach etwa 7,5 Sekunden steigt das Reibmoment der Betriebsbremse wieder an, während gleichzeitig die Verzögerung durch die elektrische Bremse sinkt.
Nach 8,5 Sekunden steht das Fahrzeug und der Fahrer hält das Bremspedal getreten. Die Gesamtverzögerung, die der Fahrer erreichen möchte, entspricht der Summe aus der Verzögerung durch den Generator und der Verzögerung durch die hydraulische Bremse: a = aG + aH.

Funktion des Druckspeichers

Wie bereits erwähnt, ist der Druckspeicher direkt mit dem Hauptbremszylinder verbunden.

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Bosch, VW
B5 Druckspeicher zur Aufnahme der Bremsflüssigkeit beim Brake Blending

Muss beim Abbremsen der durch das Bremspedal und dem damit verbundenen Haupt-Bremszylinder erzeugte hydraulische Druck gemindert werden, kommt der Elektromotor des Druckspeichers zum Einsatz.
Angesteuert vom Steuergerät bewegt der E-Motor mithilfe des Spindelantriebs den Kolben nach unten, sodass durch die Volumenvergrößerung im Zylinder Flüssigkeit aus dem Bremssystem einströmen kann. Der Bremsdruck im hydraulischen Bremskreis sinkt und die Bremskraft an den Rädern nimmt in dem Maße ab, wie die elektrische Bremskraft steigt.
Damit das Bremspedal nicht nachgibt, wird die Verstärkung des eBKV reduziert. Lässt die elektrische Bremswirkung nach, fördert der Kolben aus dem Druckspeicher Hydraulikflüssigkeit ins Bremssystem und erhöht dadurch die Wirkung der mechanischen Bremse. Unterhalb einer Fahrgeschwindigkeit von 10 km/h wird das Bremsmoment des Generators abgeschaltet und das Fahrzeug nur noch hydraulisch gebremst.

Wartung des Systems

Bremskraftverstärker und Druckspeicher können im Service nicht repariert werden. Bei einem Defekt müssen beide Bauteile ersetzt werden. Nach dem Tausch wird das Steuergerät des eBKV online codiert und die gesamte Bremsanlage sorgfältig entlüftet. Im Rahmen einer Grundeinstellung werden die Messwerte der Sensoren sowohl bei nicht betätigtem als auch betätigtem Pedal erfasst.
Die Ansteuerung des Elektromotors ermöglicht die Aufnahme einer Druck-Volumen-Kennlinie und erfasst auch Bauteiltoleranzen, die bei einer Regelung des Bremsablaufs Berücksichtigung finden.

Fazit

Bremssysteme für Fahrzeuge mit reinem Elektroantrieb sind recht komplex aufgebaut. Zusätzlich zum serienmäßigen ESC/ABS-System ist – vom Gesetzgeber vorgeschrieben – eine sorgfältige Abstimmung zwischen elektrischer und mechanisch/hydraulischer Abbremsung zu realisieren. Das Ergebnis ist ein Bremskraftverstärker mit elektromotorischer statt pneumatischer Verstärkung und einem Druckspeicher zur Minderung der hydraulisch-mechanischen Abbremsung.

Über den Einsatz in Hybrid- oder Elektrofahrzeugen hinaus kann der eBKV auch in konventionell angetriebenen Fahrzeugen eingebaut werden. Er ersetzt dort den voluminösen Vakuum-Bremskraftverstärker und schafft die technischen Voraussetzungen für automatische Notbremssysteme und zum automatisierten Fahren. Mithilfe des Elektromotors ist er in der Lage, in Notsituationen ohne Eingriff des Fahrers innerhalb von nur 120 Millisekunden den vollständigen Bremsdruck aufzubauen. Genauso gelingt es ihm, das Fahrzeug, etwa im Stop-and-go- Verkehr, sanft und komfortabel abzubremsen.

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