Mit dem Konzeptfahrzeug GT XX stellt Mercedes-AMG einen elektrischen Supersportler auf die Startrampe, der nicht nur durch seine Power beeindruckt, sondern vor allem mit einigen ungewöhnlichen technischen Lösungen. Wir haben besonders herausragende Details identifiziert – aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Fahrzeugtechnik.
Axialflussmotoren an Hinter- und Vorderachse
Die Elektromotoren des GT XX basieren auf der Axialflusstechnik – ein Prinzip, das sich von allen anderen E-Maschinen im Serienbau (Radialfluss) deutlich unterscheidet. Beim Axialflussmotor verläuft der magnetische Fluss axial zur Rotationsrichtung. Dadurch entsteht eine sehr kompakte Bauform mit extrem hoher Leistungsdichte. Einer der AMG-Motoren misst lediglich 89 Millimeter in der Länge, liefert aber gleichzeitig ein hohes Drehmoment und schnelles Ansprechverhalten. Diese Technologie ist noch neu in der Automobilwelt, kaum verbreitet und findet sich fast ausschließlich in Hochleistungsanwendungen. Mercedes-AMG kombiniert zwei der je rund 450 PS starken Motoren an der Hinterachse mit einem an der Vorderachse.
Im AMG GT XX basieren die Motoren auf der Entwicklung von Yasa – einer Mercedes-Tochterfirma aus England. Die Produktion der Axial-Fluss-Motoren erfolgt im Mercedes-Benz Werk Berlin-Marienfelde in rund 100 Produktionsprozessen – rund ein Drittel dieser Fertigungsschritte betrachtet Mercedes als Weltneuheit und hat sie mit Patenten geschützt. Sie umfassen etwa neue Lasertechnologie und Fügeprozesse, die mit künstlicher Intelligenz kombiniert werden.
Formkühlung der Batteriezellen
Auch die Batteriearchitektur folgt einem ungewöhnlichen Ansatz: Anstelle konventioneller Modul- oder Plattenkühlung wird jede einzelne der komplett neuen Rundzellen direkt von einem speziellen, elektrisch nicht leitfähigen Kühlmittel umströmt. Diese Formkühlung sorgt für eine gleichmäßige Temperaturverteilung im gesamten Pack, wodurch die Batterie unter Dauerbelastung deutlich leistungsstabiler bleibt. In Kombination mit einer systemischen Steuerung ermöglicht sie eine hohe Rekuperationsleistung sowie einen schnellen und dauerhaften Leistungsabruf.

Im Mercedes-AMG GT XX wird eine eigens entwickelte Zellchemie verwendet. Sie basiert auf NCMA (Nickel/Kobalt/Mangan/Aluminium) in der Kathode sowie einer siliziumhaltigen Anode.
Auch das lasergeschweißte Aluminium-Zellgehäuse ist dabei eine Neuentwicklung. Es ist leichter als der typischerweise verwendete Stahlbecher und hat eine deutlich bessere Strom- und Wärmeleitfähigkeit. Dies bietet Vorteile bei der gezielten Temperierung der Zelle und ermöglicht bei Bedarf ein schnelleres Abkühlen oder Aufwärmen. Die Zellen sind als Full-Tab ausgeführt. Das bedeutet, dass der Zellwickel vollflächig – und nicht nur punktuell – elektrisch und thermisch an die Pole angebunden wird. Dadurch kann der Innenwiderstand der Zellen signifikant gesenkt werden, was höchste Lade- und Entladeleistungen ermöglicht. Darüber hinaus sind Full-Tab-Batteriezellen besonders robust und funktionieren auch in anspruchsvollen Belastungssituationen zuverlässig.
Aktive Aero-Räder mit adaptiven Lamellen
Besonders auffällig – und technisch komplex – sind die aktiven Aero-Räder. Hier sind drehzahlunabhängige Lamellen in die Felgen integriert, die sich je nach Betriebszustand öffnen oder schließen. In der Bremsphase sorgen geöffnete Lamellen für eine gezielte Kühlung der Bremsanlage. Im Normalbetrieb schließen sie sich, um die Aerodynamik zu verbessern und Luftverwirbelungen zu reduzieren. Diese Art der aktiven Felgensteuerung ist bislang im Serienbau kaum zu finden.

Aeroblades: links eingefahren, rechts geöffnet.
Jedes Rad beherbergt in seiner Nabe einen einfachen montier- und demontierbaren, zentralen Aktuator, der die Aeroblades bewegt. Der Clou: Jeder Aktuator ist eine autarke Einheit, die ihre elektrische Energie durch einen Minigenerator über die Drehung der Räder selbst erzeugt. Der Aktuator kommuniziert über Bluetooth kabellos mit dem Steuergerät im Fahrzeug. Zusammen mit einem integrierten Hochleistungs-Akku kann vorsorglich Energie für bis zu 200 Bewegungsvorgänge der Blades gespeichert werden, sodass stets eine sichere Bremsenkühlung gewährleistet ist.
Zweistufiges Getriebe für den E-Motor
Der doppelte Axialflussmotor an der Hinterachse ist mit einem zweistufigen Getriebe gekoppelt. Das Konzept ist aus Effizienz- und Performance-Gründen sinnvoll: Der erste Gang unterstützt maximale Beschleunigung aus dem Stand, während der zweite Gang bei höheren Geschwindigkeiten für eine verbesserte Effizienz und Endgeschwindigkeit sorgt. Anders als bei den meisten Elektrofahrzeugen, die auf ein einstufiges Getriebe setzen, ergibt sich hier eine deutlich breitere Spreizung der Leistungscharakteristik. Wir kennen die Technik bereits aus dem Porsche Taycan.

An der Hinterachse sitzen zwei Axial-Fluss-Motoren, die gemeinsam jeweils mit einem Planetenradgetriebe und einem Inverter in einem Gehäuse vereint sind. Die Motoren und die Getriebe sind ölgekühlt.
Aktive Aerodynamik im Unterboden
Zwei verstellbare Luftklappen im vorderen Unterboden ermöglichen einen gezielten Venturi-Effekt. Ab einer Geschwindigkeit von 80 km/h senken sich die Klappen ab und beschleunigen die Luftströmung unter dem Fahrzeug. Dadurch entsteht ein Unterdruck, der den Anpressdruck auf der Vorderachse deutlich erhöht – laut Hersteller um bis zu 60 Kilogramm bei 250 km/h. Diese Form aktiver Unterboden-Aerodynamik ist technisch anspruchsvoll und im Serienbereich selten zu finden.
Die elektronisch gesteuerte Aerodynamik soll in allen Geschwindigkeits-Bereichen bis hin zu mehr als 360 km/h für höchste Fahrstabilität sorgen und auch die Effizienz des Autos erhöhen. In Summe reduziert die aerodynamische Feinarbeit den Luftwiderstandsbeiwert und die Stirnfläche – und zahlt damit auf High-Speed-Performance und gleichzeitig auch auf eine längere Reichweite bei hohen Geschwindigkeiten ein. Trotz breiter High-Performance-Reifen beträgt der cW-Wert extrem günstige 0,198.
LED-Display im Heckspoiler und leuchtender Lack
Im adaptiven Heckflügel ist ein mehrfarbiges LED-Display integriert, das bei Bedarf sicherheitsrelevante Informationen anzeigen kann – etwa "Car Slow", "SC" (Safety Car) oder gelbe Flaggen. Diese Funktion zielt vor allem auf Trackday- und Kundensporteinsätze ab, wo schnelle visuelle Kommunikation zwischen Fahrzeugen von Bedeutung ist. Ein weiteres Highlight des Mercedes-AMG GT XX sind seine leuchtenden Lacksegmente.
Bei Nacht können damit definierte Bereiche am Fahrzeug speziell inszeniert werden. Die Experten aus Forschung und Entwicklung nutzen dafür die Elektrolumineszenz-Technologie: Spezielle Farbpigmente emittieren Licht als Reaktion auf das Anlegen einer Wechselspannung. Der hell leuchtende Lack ist somit in der Dunkelheit deutlich wahrnehmbar. Der Lackaufbau erfolgt in mehreren elektrisch leitfähigen und isolierenden Lackschichten. Mercedes-AMG hat bereits bei einem GT3-Rennwagen beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring diesen Lack erfolgreich eingesetzt. Beim AMG GT XX werden die Längsträgerverkleidungen in leuchtenden Segmenten entsprechend dem AMG Logo farblich hervorgehoben. Der Lack dient aber nicht nur der Inszenierung bei Nacht: Beim Ladevorgang dient er zusätzlich als Kommunikationsmittel und untermalt beim Ladevorgang.
Vollvariable Steuerung der Antriebseinheiten
Der GT XX setzt auf eine vollständig entkoppelte Architektur zwischen Vorder- und Hinterachse. Während der elektrische Axialflussmotor die Hinterachse direkt über ein eigenes Getriebe versorgt, ist die Software in der Lage, sämtliche Antriebsmomente an allen vier Rädern einzeln und in Echtzeit zu steuern – inklusive Torque Vectoring und elektronisch geregeltem Sperrdifferenzial. Dieses hochintegrierte Steuerungssystem erlaubt eine dynamische Momentverteilung zwischen den Rädern, angepasst an Fahrzustand, Traktion und Fahrsituation.
Science-Fiction im Innenraum
Auch wenn im Cockpit gewohnte Displays und ein rechteckiges Lenkrad sitzen, wirkt die Gestaltung doch extrem futuristisch. Die Farbgestaltung ist überwiegend schwarz mit silbernen und orangefarbenen Akzenten. Schnell fällt der Blick auf die spektakuläre Mittelkonsole. Die ist als offene Strangpressstruktur ausgeführt. Statt einer geschlossenen Abdeckung zeigt sie bewusst sichtbare Rohbau-Elemente wie etwa im Motorsport. Orangefarben beleuchtete Röhren verlaufen durch die Konsole und erinnern an Hochvolt-Leitungen eines Elektroauots.

Futuristischer Innenraum mit roher Präsenz von Technik.
Integriert in die Konsole ist ein massives Struktur-Element in Form des AMG-Wappens, das aus dem Vollen gefräst und beleuchtet ist. Diese offene Bauweise erlaubt zugleich die Führung von Frischluft und Kabeln. Der untere Bereich des Cockpits und die Mittelkonsole sind durch vertikale H-Streben miteinander verbunden. Um Gewicht zu sparen, sind die einzeln ausgeformten Carbonschalen-Rücksitze einschließlich der Polsterpads komplett in die Wagenrückwand integriert. Das Dach hat keinen Innenhimmel und ermöglicht den Blick auf die Carbonstruktur. Die Türverkleidungen mit leichten Röhren und orangefarbenen Zuziehschlaufen erinnern ebenfalls an Motorsport.