Spurassistenzsysteme von Mercedes, Nio, Tesla und Volvo im Test

Assistenzsysteme im Test
Wie zuverlässig führen Spurhalte-Assistenten?

Veröffentlicht am 15.06.2025

Spurassistenten sind in zwei Kategorien aufgeteilt. Die erste: Neuwagen müssen seit Juli 2024 mit Spurhalteassistenten ausgerüstet sein, die in die Spur zurücklenken, wenn der Fahrer an oder über eine Spurmarkierung steuert. In die zweite Kategorie fallen Komfortassistenten, die den Wagen eigenständig in der Spur führen. Diese bezeichnen viele Hersteller als Lenkassistent; bei Nio heißt die Funktion Fahrspurzentrierung, bei Volvo Pilot Assist. Eine Besonderheit gibt es bei Tesla, denn dort steht im Infotainment "Lenkassistent (Beta)" – als Beta bezeichnet man die Testphase einer nicht vollständig entwickelten Software. Im Einstellungsmenü listet Tesla das System noch dazu unter der Überschrift "Autopilot-Funktionen".

Die Spurführungssysteme der Testfahrzeuge Tesla Model Y , Volvo EX30 , Nio ET5 und Mercedes E-Klasse sind als Systeme für assistiertes Fahren nach Level 2 klassifiziert, bieten also ganz explizit keine echten Autopilot-Funktionen. Level-2-Systeme können zwar selbst bremsen, beschleunigen und lenken, die Verantwortung trägt jedoch ausnahmslos der Fahrer. Sollte der seine Hände vom Lenkrad nehmen, wird er vom Fahrzeug visuell, akustisch oder haptisch gewarnt. Je nach Modell greift nicht viel später der Notfallassistent ein, der das Auto stoppt.

Wie objektiviert man Spurführungstests?

Die Qualität und Unterschiede der Lenkassistenten prüfen wir üblicherweise subjektiv, im Rahmen dieser Testreihe in Zusammenarbeit mit der MdynamiX AG aber auch objektiv. Die Ingenieure installieren in den Autos Messausrüstung, kalibrieren sie und zeichnen die Daten während unserer Testfahrten auf. Das Equipment erfasst mit 1.000 Hz beispielsweise alle Fahrzeugbewegungen, die gefahrene Geschwindigkeit sowie per Satellitentechnik (GPS, Glonass, Galileo, Beidou) die Positionskoordinaten. Diese Daten legen die MdynamiX-Experten anschließend über ein speziell für Assistenzsystemtests erstelltes Kartenmaterial, das präzise Scans der Straßen inklusive aller Spurmarkierungen beinhaltet. Am Ende kann MdynamiX zentimetergenau auswerten, wie sich die Autos innerhalb der Markierungen bewegt haben.

Unsere erste Messfahrt führt über eine Autobahn, die Geschwindigkeitsregelanlagen stehen auf 130 km/h. Geradeaus arbeitet die Spurführung aller Systeme überwiegend sehr gut – die Orientierung in der Fahrspur weicht zwar zwischen den Testwagen leicht ab, doch subjektiv fahren alle präzise geradeaus. In den typischen eher weiten Autobahnkurven ändert sich das Bild kaum: Die Lenkbewegungen sind mindestens sauber, im Falle des Mercedes sogar extrageschmeidig. Jedenfalls haben wir Redakteure die E-Klasse nach jeder der mehrfach durchfahrenen Testabschnitte eine Ecke besser bewertet als ihre Konkurrenten. Objektiv positionieren sich die Autos im Kurvenverlauf hier und da minimal abweichend – aber auf der äußerst linken Spur fahrend höchstens leicht in Richtung Leitplanke und nicht zu den Spurnachbarn. Ein für unseren Test zwar irrelevanter, ansonsten jedoch schwerwiegender Nachteil steckt im Volvo: Seine Temporegelanlage erlaubt bis zu 150 km/h, bei aktivem Pilot Assist allerdings nicht mehr als Richtgeschwindigkeit. Das sind oft schlicht einige km/h zu wenig, um im Fluss von Autobahnkolonnen mitrollen zu können.

Wie mittig führen die Systeme?

Die Daten für diese Diagramme wurden auf einer sehr kurvigen Bundesstraße bei Tempo 120 gemessen. Die Spurmarkierungen liegen circa drei Meter auseinander.

Spurtreue in Kurven, AMS Sonstige Tests, ams1025
Mdynamix
Spurtreue in Kurven, AMS Sonstige Tests, ams1025
Mdynamix

Nio ET5 Touring: Nio lernt im Eiltempo

Assistenzsysteme Mercedes, Nio, Volvo, Tesla
Arturo Rivas

Lange ist es nicht her, da haben die Spurführungssysteme in Nio-Modellen selbst auf Autobahnen nur Kraut und Rüben zusammengelenkt – erstaunlich, welch riesige Fortschritte die chinesische Marke in kurzer Zeit gemacht hat. Problemlos läuft aber nicht alles, beispielsweise muss man beim Spurwechseln trotz gesetztem Blinker öfters einen Widerstand überlenken.

Arturo Rivas
Arturo Rivas

Mercedes E-Klasse: Auf der Bahn hervorragend

Assistenzsysteme Mercedes, Nio, Volvo, Tesla
Arturo Rivas

Auf der Autobahn führt der Lenkassistent hervorragend. Und wegen der tollen Limousinen-Ergonomie fallen die Hände mit abgestützten Ellenbogen ganz automatisch auf das Lenkrad – so ergibt sich im Benz so etwas wie ein Autopilot-Gefühl. Der Spurhalteassistent scheint teils zu verstehen, wenn man absichtlich über Fahrbahnmarkierungen fährt, reagiert aber oft nicht, wenn er definitiv sollte.

Arturo Rivas
Arturo Rivas

Tesla Model Y: Gut, trotzdem nutzlos

Assistenzsysteme Mercedes, Nio, Volvo, Tesla
Arturo Rivas

Die optionalen Assistenzpakete ("Enhanced Autopilot", "Volles Potenzial für autonomes Fahren") beinhalten eine nicht abschaltbare Spurwechselfunktion. Die funktioniert so: Blinker setzen, Spurwechselankündigung abwarten und sie dann per Lenkimpuls bestätigen – dann wechselt der Y die Spur, bricht dabei aber auch oft ab. Manuelle Spurwechsel beenden den Lenkassistenten.

Arturo Rivas
Arturo Rivas

Volvo EX30: Nur Richtgeschwindigkeit

Assistenzsysteme Mercedes, Nio, Volvo, Tesla
Arturo Rivas

Die Spurführungsqualität auf der Autobahn passt, das maximal einstellbare Tempo von 130 km/h eher nicht, da Kolonnen sich bei dem Tempo typischerweise einige km/h schneller bewegen. Außerdem dauert es nach der Aktivierung teilweise sehr lange, bis das System die Lenkung übernimmt. Störend sind auch die "Bitte-Lenkrad-drehen"-Aufforderungen, obwohl man es mit beiden Händen hält.

Arturo Rivas
Arturo Rivas

Vertrauensverlust auf der Bundesstraße

Für den nächsten Test wechseln wir auf eine vierspurige Bundesstraße, deren Tempolimit von 120 km/h genügt, um die Autos teils stark herauszufordern. Die Messstrecke startet gleich mit einer vergleichsweise engkurvigen Bergabpassage. Hätten wir hier kurz vor knapp nicht gegengelenkt, wäre der Volvo in die Leitplanke gerauscht. Zugegeben, in mindestens zwei Kurven der Prüfstrecke sind 120 km/h schon ziemlich viel, um die Lenkarbeit an eine Software abzutreten – das wäre selbst dann unangenehm, wenn sie perfekt funktionieren würde. Und trotzdem darf man in solchen Situationen Warnmeldungen erwarten, die im Volvo nie kamen. Auch im weiteren Verlauf strauchelt der EX30 auf der Route, die anschließend über entspanntere Kurven führt, die dennoch spitzer verlaufen als die auf den meisten Autobahnen.

Der Mercedes fährt auf demselben Abschnitt mehrmals an die Spurmarkierungen heran, manchmal sogar darüber. In diesen Situationen warnt er und lenkt in die Spur zurück – eine gute Leistung sieht zwar anders aus, aber das Vertrauen enttäuscht er so zumindest nicht radikal. In weiten Teilen der Testroute führt er deutlich besser in der Spur, den Bergauf-Rückweg bewältigt er souverän – anders als der Volvo, der sich in den meisten Testläufen auch dort schwertut. Dem Nio gelingt die Spurführung auf der Bundesstraße teils gut, je nach Testlauf fährt er in manchen Bereichen allerdings direkt neben der durchgezogenen Spurmarkierung am Außenrand. Die grenzt sehr eng an die Leitplanken, weshalb das Sicherheitsgefühl besonders leidet. Ergo nimmt auch der Komfortfaktor der Funktion stark ab.

Das Model Y hält die Spur am zuverlässigsten. Die Diagramme auf Seite 65 stellen einen Teil der Prüfstrecke dar, auf dem sich der Tesla in den Kurven maximal 30 Zentimeter von der Spurmitte entfernt – bei seinen Kontrahenten ist es teils ein halber Meter und mehr. Zwar verhält sich kein Testauto in allen Testläufen immer gleich, doch der Tesla bestätigt seine gute Leistung am häufigsten. Dennoch verpufft sie, weil die Lenkassistent-Beta keine manuellen Spurwechsel erlaubt, sondern nur einen halbautomatischen, der Zeit kostet, selten gut funktioniert und somit Nerven raubt. In den anderen Autos sind die Spurführer während des Blinkens inaktiv.

So haben wir getestet

Diesen und weitere Assistenzsystem-Tests haben wir mit der MdynamiX AG durchgeführt, einem Unternehmen, das mit den Hochschulen München und Kempten kooperiert. Es ist auf die Evaluierung solcher Systeme für Kunden der Fahrzeugindustrie spezialisiert.

ADMA-G, AMS Sonstige Tests, ams1025
Mdynamix

Die Messfahrten finden auf öffentlichen Straßen statt, zu denen MdynamiX präzises Kartenmaterial vorliegt, das unter anderem auch Daten zu den Fahrbahnmarkierungen enthält. Um die Distanz von den Autos zu den Markierungen bestimmen zu können, werden an jedem Testwagen zunächst mehrere Punkte vermessen. Zu ihnen gehört die exakte Position der Reifenaußenkanten – sie ist nötig, um den Abstand zu den Fahrbahnmarkierungen ermitteln zu können. Auf dem Dach tragen alle vier Autos je zwei Antennen (WLAN, GPS), im Innenraum sind sie mit einer speziellen Messtechnik ausgerüstet, die sämtliche Fahrzeugbewegungen aufzeichnet. Die anschließende Datenanalyse erfolgt über die von MdynamiX entwickelte und vertriebene Software MXeval.

Spurverlassenswarner mit Lenkeingriff

Einen Betatest haben wir zusätzlich mit MdynamiX durchgeführt, denn die Truppe entwickelt derzeit eine Testprozedur für die Spurhalteassistenz-Systeme aus der ersten Kategorie – also jene, die helfen sollen, wenn man über Markierungen fährt. Auf dem Cockpitfoto des Model Y sehen Sie deshalb die Kamera an der Sonnenblende und den QR-Code-ähnlichen Sticker auf dem Lenkrad. Veröffentlichungsreif sind die ermittelten Daten noch nicht, die von uns auf den Prüfrouten festgestellten Verhaltensweisen aber schon.

Geprüft haben wir die Systeme, indem wir ohne Lenkeingabe abgewartet haben, bis die Autos in Richtung gestrichelte und durchgezogene Linien gewandert sind. Alternativ sind wir auf leichte Kurven zugefahren, ohne an deren Eingang zu lenken. Ergebnis? Der Nio reagiert am zuverlässigsten, oft aber deutlich zu spät. Der Mercedes lenkt mit Abstand am geschmeidigsten zurück in die Spur, reagiert aber am häufigsten gar nicht. Und Tesla, Volvo? Irgendwo dazwischen. Unser Test bestätigt jedenfalls, dass die Spurhaltesysteme zwar helfen können und das in der Praxis auch tun. Aber eben nur mit eingeschränkter Verlässlichkeit.