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Nio Power Swap Stations in Europa
Mehr Batteriewechsel-Stationen in Deutschland

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Der Elektroautobauer Nio betreibt nun auch in Europa seine Akku-Tauschstationen – die erste in Europa haben wir bereits ausprobiert. Bei der Expansion in Deutschland kooperieren die Chinesen mit EnBW.

03/2022
Foto: NIO

Nio setzt beim Thema Lade-Infrastruktur auf eine Idee, die einmal bereits grandios gescheitert ist und um die die meisten anderen Elektroautobauer bislang einen großen Bogen machen: Wechsel-Akkus. Schon seit 2018 können Nio-Kunden in China per sogenanntem "Power Swap" in einer containerartigen Tauschbox mit Robotertechnik einfach den Akku ihres Fahrzeugs tauschen lassen, statt ihn per Kabel zu Hause oder an öffentlichen Stromsäulen zu laden. Die Idee ist bestechend einfach, die technischen Herausforderungen aber waren mehr als komplex. Das musste 2013 bereits das Start-up Better Place erkennen, das seinerzeit spektakulär 850 Millionen Dollar in den Sand setzte und in der Folge hunderte Patente an Nio abgeben musste.

Unsere Highlights

Warum sich Nio-Chef William Li von Beginn an sicher war, dass seine Akku-Wechseltechnik nicht auch krachend scheitert? "Unser System ist viel günstiger!", erklärte Li damals. Außerdem habe man technische Fortschritte gemacht. Dabei entscheidend: Nio hebt die Autos in der Box über eine Hebebühne an und tariert sie perfekt aus. Nur so kann der Wechsel-Roboter den über 500 Kilogramm schweren Akku millimetergenau platzieren und fixieren. Bei Better Place blieben die Autos auf ihren Rädern stehen, was für Probleme sorgte. Einfach nur, weil nicht alle vier Räder eines Fahrzeugs immer gleich prall aufgepumpt sind und das ganze Auto damit minimal "schief" stand.

Ein Netz aus Tauschboxen

Und tatsächlich: Nios Konzept mit den Power Swap Stations (PSS) geht zunehmend auf. Im Jahr 2018 waren die Chinesen mit acht Batteriewechsel-Stationen entlang der Autobahn G2 zwischen Peking und Shanghai gestartet. Zwischenzeitlich wuchs das Netz bis 2020 auf 158 Tauschboxen. Ende 2021 ging in Lianyungang schon die 700. Nio Power Swap Station ans Netz. Mittlerweile betreibt Nio in der Volksrepublik über 860 Wechselstationen; weltweit ist von 1.200 die Rede. Nach Angaben des Unternehmens wurden an den Swap Stations insgesamt schon 7,6 Millionen Tauschvorgänge vollzogen. Der große Clou: Ein solcher soll laut Nio samt autonomem Ein- und Ausparken des Fahrzeugs in die Tauschbox innerhalb von etwa fünf Minuten komplett über die Bühne gehen.

Nio hat zur Bewerkstelligung der Mammutaufgabe, ein möglich engmaschiges Netz aus Power Swap Stations zu knüpfen, einen Deal mit Shell eingestielt. In China kooperiert Nio dahingehend zudem mit dem Erdgas- und Ölkonzern Sinopec. Weltweit will der E-Auto-Hersteller bis 2025 insgesamt 4.000 Tauschstationen aufstellen, davon 1.000 außerhalb Chinas. Und Nios Group Vice President Hui Zhang lässt aufhorchen: "Wir sind offen gegenüber weiteren Partnerschaften und auch bereit, unsere Swap Stations für andere Hersteller zu öffnen, wenn diese ihr Batterieformat entsprechend anpassen."

Power Swap Stations in Deutschland

In Norwegen hat Nio im Januar 2022 Europas erste PSS in Betrieb genommen; im Jahresverlauf kamen in Europas E-Auto-Pionierland 19 Swap Stations hinzu. Seit Herbst nimmt der Autobauer mit seinen Modellen die Märkte Deutschland, Schweden, Dänemark und Niederlande ins Visier. Auch hierzulande will er seine Kunden mit den Power Swap Stations von seinen Produkten überzeugen. Der erste Standort befindet sich in Zusmarshausen an der A8 zwischen München und Stuttgart. Seit Ende Oktober ist die zweite Station am Autobahnkreuz Hilden in Betrieb; Deutschlands PSS Nummer drei befindet sich in Berlin.

Um die Batterietausch-Stationen in Deutschland flächendeckender zu verteilen, hat Nio zudem mit dem Energieversorger EnBW einen Deal abgeschlossen. Bis zu 20 Schnellladeparks im EnBW-HyperNetz sollen obendrein zum PSS-Standort werden, unter anderem Herleshausen (Hessen) und Großburgwedel (Niedersachsen).

So läuft der Power Swap ab

Zurück nach Norwegen, wo wir im Frühjahr 2022 an der Pionierstation getestet haben, ob der Power Swap wie gewünscht funktioniert. Sie leistet Nio-Kunden täglich von sieben bis 20 Uhr ihre Dienste und steht auf einem Rastplatz an der E18 bei Lier zwischen Oslo und Drammen – unmittelbar angrenzend an ein Burger-King-Restaurant, einen Tesla-Supercharger und einen Mer-Ladepark. Da Nio zweigleisig fährt, befinden sich direkt neben der Swap Station auch zwei Nio-Ladesäulen, an denen via CCS-Stecker mit bis zu 120 kW geladen werden kann – für den Fall, dass es beim Batterietausch zu Wartezeiten kommt.

Die Tauschboxen, die im Schnitt so viel Platz wie drei Stellplätze brauchen, haben es in sich: Installieren lässt sich so ein Container innerhalb von 18 Tagen. Das linke Abteil beinhaltet im hinteren Drittel einen kleinen Mitarbeiterraum. Davon abgetrennt befindet sich weiter vorne ein mit Tauschakkus geladenes Magazin. Insgesamt 13 Exemplare der 100-kWh-Batterien lagern hier regalartig links und rechts aufgebahrt. Währenddessen werden die Akkus mit 20 bis 80 Kilowatt Gleichstrom versorgt und durch ein Kühlsystem auf Temperatur gehalten. Lädt das System mit 80 Kilowatt, ist ein leerer Akku in gut einer Stunde zu 90 Prozent gefüllt. Die Ladeleistung variiert je nach Nachfrage. Geht diese über Nacht zurück, wird schonend geladen. Im rechten Container-Part, der Garage, vollzieht der Roboter den Akkuwechsel am Fahrzeug.

Vollautomatischer Vorgang

In der Nio-Smartphone-App und auf dem Infotainment-Display sehen Kunden vorab, ob geladene Batterien zur Verfügung stehen; zudem vergibt die Anwendung bei Bedarf Nummern. An der Swap Station wird dann nach dieser Reihenfolge getauscht. Vordrängeln? Geht nicht. Zur Überwachung der Tauschbox und des Wechselvorgangs beschäftigt Nio in Norwegen noch einen Mitarbeiter, den sogenannten Power Operator. Der ES8, den das Unternehmen als Testfahrzeug stellt, parkt automatisch per Autopilot rückwärts in die Swap Station ein, nachdem der Fahrer das Auto vorher auf einer markierten Fläche quer vor dem Container postiert hat. Der Befehl zum Einparken wird vom Kunden im Fahrzeug via Infotainment erteilt.

03/2022_NIO Power Swap
Sandro Vitale
Damit der ES8 per Autopilot rückwärts in die Swap Station einparkt, muss man ihn vorher auf einer markierten Fläche quer vor dem Container postieren.

Nach Abschluss des Einparkvorgangs stehen alle vier Räder auf Rollen, sodass Schiebe-Vorrichtungen das Auto final ausrichten können. Eine kleine Hebebühne hebt das Fahrzeug um circa fünf Zentimeter an und tariert es aus. Indes öffnet die Swap Station am Boden eine Luke und gibt eine Aussparung frei. Aus dem 75 Zentimeter tiefen Schacht erhebt sich der Tauschroboter. Der verfügt eine Art Plattform, aus der spezielle Steckschlüssel herausragen. Sie docken direkt an die insgesamt zehn schraubbaren Bolzen an, die den Akku am Fahrzeug-Unterboden fixieren. So werden die Bolzen gelöst. Anschließend senkt sich das Trägersystem samt des leeren Batteriepacks ab, die Luke schließt sich. Anstatt den gebrauchten Akku jedoch direkt nach links ins Laderegal zu fahren, schiebt ihn der Roboter kurzzeitig rechts zur Seite. "Das spart beim Tauschvorgang Zeit", erklärt Gert-Jan Gerrinckx, der früher für Tesla arbeitete, jetzt bei Nio als Head of Power fungiert und für den Rollout der Swap Stations zuständig ist.

Wie das Warten in der Waschstraße

Direkt im Anschluss bedient sich der Wechselroboter im Akkuregal und nimmt ein frisches Batteriepaket Huckepack. Aus der sich erneut öffnenden Luke erhebt sich das Trägersystem wieder – diesmal samt Tauschakku, der nun mit den Bolzen wieder am Fahrzeug-Unterboden festgeschraubt wird. Und der Fahrer? Der rührt hinterm Steuer während des gesamten Vorgangs keinen Finger. Das Prozedere fühlt sich ein bisschen an wie das Warten in der Waschstraße. Bis auf einige laute metallische Einrast- und Schraubgeräusche kriegt man nichts mit.

03/2022_NIO Power Swap
Sandro Vitale
Der Tauschroboter verfügt über eine Art Plattform, aus der spezielle Steckschlüssel herausragen. Sie docken an die zehn schraubbaren Bolzen an, die den Akku am Fahrzeug-Unterboden fixieren.

Nachdem der Roboter samt Trägersystem wieder im Boden verschwunden und die Luke dicht ist, dauert es noch einige Sekunden, dann poppt auf der Ampelanzeige der Swap Station anstatt des roten Kreuzes ein grüner Pfeil auf. Die Fahrt kann mit frischem Akku weitergehen. Und der Blick auf die Stoppuhr verrät: Samt vollautomatischem Einpark-Vorgang dauerte der Batteriewechsel exakt fünf Minuten und 47 Sekunden. Eine stolze Zeit. Laut Nio seien pro Stunde zwölf Tauschvorgänge möglich, was somit aber nicht ganz hinhauen dürfte. Pro Tag sollen es insgesamt 312 sein.

Getauscht werden nur Mietakkus

Und das Geschäftsmodell? Das ist recht simpel. Nio bietet seine Modelle entweder total modern im Aboservice oder ganz klassisch zum Kauf an. Bei letzterer Option gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist die Batterie inklusive, dann steigt jedoch der Anschaffungspreis und Power Swaps sind dann nicht möglich. Oder die Kunden mieten die Batterie: "Unser Battery as a Service macht den Wagen deutlich günstiger in der Anschaffung", stellt Hui Zhang klar. Pro Monat sind zwei Batteriewechsel und 200 kWh Energie gratis. Jeder weitere Power Swap kostet zwischen 25 und 30 Euro. Übrigens: In China will Nio ab dem vierten Jahresquartal auch eine 150-kWh-Batterie zum Wechsel anbieten – eine Option, die der Hersteller später auch für Europa anpeilt.

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Ja, das Konzept ist auch für Europa vielversprechend.Nein, durch den Ausbau der Schnellladeinfrastruktur wird das Ganze sowieso überflüssig.

Fazit

Der 850-Millionen-Dollar-Flop rund ums Thema Akkuwechsel feiert ein wuchtiges Comeback. Die Nio-Batterietausch-Boxen kosten deutlich weniger als die damaligen Better-Place-Varianten und sind technisch entscheidend weiterentwickelt worden. Bei unserem Probe-Batteriewechsel funktionierte das System reibungslos.

Teuer bleiben die Stationen dennoch. Und es bleibt die Frage, ob man die Wechsel-Idee zukünftig überhaupt noch braucht. Es ist der perfekte Ansatz, um Menschen mit ausgeprägter Reichweitenangst fürs elektrische Fahren zu begeistern. Das dürfte aber mit einem gut ausgebauten Schnellladenetz genauso gelingen. Und das ist im Zweifel die effizientere Lösung. Das weiß man übrigens auch bei Nio und setzt deshalb auf beide Technologien. Das ist mehr oder weniger die perfekte Lösung. Wenn man sie sich als Firma leisten kann. Und will.

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